Wie liberal ist … Political Correctness?
Heute reden wir über Political Correctness.
Ich weiß, das Thema ist überraschend für die Rubrik „Wie liberal ist …“, denn die meisten werden instinktiv sagen: Gar nicht. Und auch ich bin kein großer Fan von verschiedenen Entwicklungen und Forderungen, die in der gesellschaftlichen Debatte auftauchen. Trotzdem wollen wir heute darüber reden, wieso politische Korrektheit nicht komplett illiberal ist.
Das Problem an der Diskussion zur Cancel Culture ist, dass man damit extrem viele Ansichten vermischt. Für viele bedeutet der Begriff zum Beispiel, dass andere einem den Mund verbieten wollen. Aber wo beginnt das? Wenn deine politische Meinung an der Universität für Nachteile sorgt? Oder wenn dir ein Mensch, der sich keinem Geschlecht zugehörig fühlt, seine Pronomen mitteilt?
Man kann sich über beides aufregen – aber ich finde, eines dieser Beispiele ist deutlich schlimmer als das andere. Ich habe selbst im Studium der Politikwissenschaft mitbekommen, dass ich es mit einer pro-kapitalistischen Einstellung bei einer Lehrveranstaltungsleitung schwerer hatte, was mich natürlich bis heute ärgert. Aber meine Welt geht nicht unter, wenn mir jemand, den ich als Mann eingeschätzt hätte, mitteilt, gerne als Frau angesprochen zu werden.
Wo wir politische Korrektheit spüren
Genau um dieses Beispiel dreht sich der Diskurs um die politische Korrektheit aber viel zu oft. Aber wie realitätsnah ist dieses Beispiel? Wie oft „misgendert“ man eine Transperson und, noch viel wichtiger, wie oft ist diese dann wütend darüber, mit dem falschen Pronomen angesprochen zu werden? Aus meinen (ebenfalls nicht zahlreichen) Erfahrungen mit dieser Situation würde ich sagen: Die meisten kennen diese Situation, und mit einem freundlichen Hinweis ist es eigentlich getan.
Meine Devise in vielen „Man muss ja aufpassen, was man sagt“-Situationen ist daher, einfach zu versuchen, kein Arschloch zu sein. Meine persönliche Einstellung dazu, wie viele Geschlechter es gibt, ist relativ egal – wenn sich jemand als Frau fühlt und darum bittet, dass ich das respektiere, habe ich absolut keinen Nachteil davon, das auch zu tun. Mir erklärt ja auch niemand, welcher Kategorie ich mich zugehörig zu fühlen hätte. Warum sollte ich das bei jemand anderem tun?
Und so ist es mit mehreren Themen. Ja, es gibt Menschen, die Gendern verlangen und semi-ironisch unter jeden ungegenderten Satz fragen, ob keine Frauen dabei waren. Aber viele passen ihre Sprache an, ohne sie anderen aufzudrängen. Das ist z.B. auch die Gender-Richtlinie in der Materie: In Beiträgen der Redaktion gendern wir, aber externe Beitragende können sich aussuchen, ob sie das tun wollen.
Jetzt gibt es mehr Themen als Gendern und Pronomen. Aber meine These ist, dass wir viele davon nur als Extrembeispiele aus den Medien mitkriegen. Im Alltag lässt uns die politische Korrektheit aber die meiste Zeit in Ruhe – und wenn nicht, dann ist es oft sehr leicht, sie mit einem gewissen Maß an Höflichkeit und Entgegenkommen zu entschärfen.
Sind illiberale Entwicklungen der Mainstream?
Es gibt natürlich trotzdem problematische Entwicklungen im Bereich der Cancel Culture, die real sind. Wenn Studierende z.B. verlangen, dass man große Vergangenheitsliteratur nicht mehr lesen dürfe, weil sie „problematische“ Inhalte verbreite, muss man aufpassen. An Universitäten sollte man sich selbstverständlich auch mit anderen, teilweise auch unangenehmen Ideen auseinandersetzen – vor allem, wenn es darum geht, ob Kant oder Shakespeare die Sprache ihrer Zeit verwenden und die damals vorherrschende Einstellung repräsentieren. Das muss nicht jedem gefallen. Aber es zu verbieten, wäre selbstverständlich illiberal.
Und ja, es gibt auch Gedankengut im Camp der politischen Korrektheit, das man als autoritär bezeichnen darf. Wenn andere darüber entscheiden wollen, was gesagt oder sogar gedacht werden darf und was nicht, wenn alltägliche Dinge als undiskutabel und problematisch dargestellt werden oder wenn man fordert, gewisse politische Meinungen komplett aus dem Diskurs zu tilgen, ist das alles andere als eine liberale Entwicklung. Vieles mag gut gemeint sein, aber nicht alles hat wirklich mit Gerechtigkeit zu tun.
Trotzdem handelt es sich – und das darf man auch bei reißerischen Schlagzeilen nicht vergessen – immer noch um ein Nischenphänomen. Forderungen nach politisch korrekten Leselisten an Unis regen genau deswegen auf, weil sie eben nicht die Norm sind, sondern ein radikaler Ausreißer, der zu Recht auf breite Ablehnung in der Gesellschaft stößt. Man kann und soll sich damit auseinandersetzen und davor warnen. Aber ob das wirklich das große Problem unserer Zeit ist?
Wie politische Korrektheit liberal sein kann
Zum Schluss noch ein Gedankenanstoß: Vieles, was für uns heute als selbstverständlich gilt, wurde früher auch als nervige politische Übertreibung gesehen. Dass Frauen wählen und ihr Leben frei von einem Mann ausüben können, war vor 100 Jahren kontrovers – heute bezeichnen wir Menschen, die sich gegen diesen Fortschritt wehren, zu Recht als ewiggestrig. Auch die Gleichberechtigung der LGBTIQ-Community, z.B. in Form der Ehe für alle, mag vielen wie eine logische Entwicklung vorkommen, obwohl sie eigentlich eine sehr neue ist, über die wirklich lange diskutiert wurde.
Viele dieser Fortschritte waren einmal kontrovers und haben einen großen Teil der Gesellschaft aufgeregt. Gekommen sind sie trotzdem. Jetzt sage ich nicht, dass die Frage nach dem richtigen Pronomen die neue Ehe für alle ist – ich sage nur, dass wir jetzt noch nicht wissen, was in Zukunft absolut logisch und natürlich wirken wird. Ich habe aber zumindest die Vermutung, dass einige Dinge, die heute als übertriebene politische Korrektheit gelten, für zukünftige Generationen sehr unkontrovers sein werden.
Darum plädiere ich dafür, politische Korrektheit trotz aller radikalen Ausflüge nicht als zu 100 Prozent illiberal zu sehen. Denn in der öffentlichen Diskussion vermischen wir meistens die absurdesten Beispiele aus US-amerikanischen Unis mit verständlichen Forderungen nach einem gerechten Umgang miteinander, die durchaus das Potenzial haben, sich durchzusetzen. Wie eine Bitte nach Rücksicht, die alles andere als wahnsinnig ist. Darum wäre es wichtig, hier zu differenzieren – politische Korrektheit kann liberal sein.