Wie liberal ist … Quentin Tarantino?
Quentin Tarantino ist ein Künstler im wahrsten Sinne: exzentrisch, kreativ und meisterhaft zwischen Genie und Wahnsinn wandelnd. Obwohl er zum Establishment Hollywoods zählt, ist er in gewisser Weise ein schwarzes Schaf – und ein Freigeist, der für seine Projekte viele Freiheiten einfordert.
Wer heute in einem Tarantino-Streifen spielt, hat es endgültig geschafft. Von Leonardo DiCaprio bis Margot Robbie, Tarantino hatte sie alle vor der Linse – außer Will Smith, der für Django Unchained abgesagt hat. Das ist wenig verwunderlich, schließlich hat er auch für die Rolle von Neo in Matrix abgesagt – er hat also nicht nur ein Händchen für Chris Rock, sondern auch bei der Rollenauswahl. Aber was macht Tarantino als Filmemacher so einzigartig, dass (fast) niemand ein Angebot von ihm ablehnt?
Entdecker und Karrieren-Reanimateur
Was man Tarantino zugute halten muss, sind nicht nur seine Starbesetzungen, sondern auch sein Händchen bei der Rollenbesetzung. Pulp Fiction hat wohl zu großen Teilen nur deshalb so gut funktioniert, weil Tarantino John Travolta wieder- und Samuel L. Jackson entdeckt hat. Ein wahrer Glücksgriff war auch die Besetzung des Hans Landa in Inglourious Basterds mit Christoph Waltz, dem mit dieser oscarprämierten Leistung der internationale Durchbruch gelang. Die Rolle musste laut Tarantino so perfekt besetzt sein, dass er bereits darüber nachdachte, den Film gar nicht erst zu drehen, wenn sich kein geeigneter Schauspieler finden würde. Dass Waltz in Django Unchained als Dr. King Schultz zur Antithese Hans Landas wurde – und dafür erneut einen Oscar bekam – spricht einerseits für seine Wandelbarkeit und andererseits für Tarantinos Talent bei der Rollenbesetzung.
Tarantino hatte schon in den 90ern den (damals noch) Mut, starke weibliche Charaktere zu schreiben. Besonders hervorzuheben sind die Rollen von Uma Thurman im zeitlosen Pulp Fiction und ganz besonders als Braut in Kill Bill, vielleicht eine der besten Blaupausen für Rachefilme. Konventionen haben ihn noch nie sonderlich interessiert, egal ob beim Geschlecht, der Hautfarbe oder dem Ruf der Schauspielenden.
Es braucht mehr Kontroversen!
Vieles, wofür man die heutigen 08/15 Hollywood-Blockbuster kritisieren kann, zum Beispiel die immergleiche Erzählstruktur, flache Charaktere, schlechte Dialoge, austauschbare Soundtracks und allgemeine Mutlosigkeit, findet man bei Tarantino nicht. Ein wiederkehrendes Element ist – neben exzessiver Gewalt und den wohl glaubhaftesten (weil real wirkenden) Dialogen – die Rache. Aber auch dieses Element wird verschiedenst variiert und mit Once Upon A Time in Hollywood neu gedacht. Im Vorfeld des Films wurde vielfach nur darüber geschrieben, dass es um die Tate-Morde von Charles Manson und seiner „Family“ aus dem Jahr 1969 gehen sollte. Wer mit dieser Erwartungshaltung in dem Film ging, wurde enttäuscht, denn Manson selbst ist nur wenige Augenblicke zu sehen. Tarantino nahm sich die Freiheit, einen alternativen Zeitstrahl zu zeichnen: Sharon Tate wird nicht ermordet, sondern von Rick Dalton (Leonardo DiCaprio) und Cliff Booth (Brad Pitt) gerettet, die die potenziellen Attentäter in einer Tarantino-typischen Gewaltorgie umbringen. Der Film kann also auch als metaphorische Rache an Manson verstanden werden. Ein „Was wäre, wenn?“, bei dem Rick Dalton am Ende den (metaphorisch passenden) Cielo Drive hinaufgeht und bei der unversehrten Sharon Tate klingelt.
Es ist nicht das erste Mal, dass Tarantino die jüngere Geschichte umschreibt. Inglourious Basterds zeichnet die Geschehnisse des Zweiten Weltkriegs neu, indem Hitler, Goebbels und weitere hochrangige Nazis von den selbsternannten Basterds umgebracht werden. Darf man Geschichte so umschreiben? Selbstverständlich darf man das! Es bräuchte viel mehr solcher Grenzgänger, die neue Wege gehen. Trauen tun es sich die Allerwenigsten.
Tarantino ist bekannt dafür, sich nicht dreinreden zu lassen, was in Hollywood äußerst unüblich ist. Aus Angst vor Kontroversen redet das Studio als Geldgeber meistens mit und kann sowohl Drehbuchschreiber als auch Regisseur überstimmen. „They wouldn’t let you do this today“ ist ein Satz, den man häufig hört in Bezug auf ältere Filme, die anecken und heute als kontrovers gelten: „Who the fuck is they?“ ist Tarantinos Antwort – er lässt sich von niemandem in seine Kunst reinreden. Einen Film wie The Hateful Eight, der rund drei Stunden lang nur auf einer verschneiten Hütte spielt und dabei trotzdem funktioniert – sowas kann sich wohl nur Tarantino erlauben und (das ist mindestens genauso wichtig) ein Budget dafür bekommen.
Der Letzte seiner Art?
Tarantino liebt Filme, und er liebt es, Filme zu machen. Seine Maxime: den Film drehen, den man noch nie gesehen hat. Ob er dabei aneckt oder Kontroversen auslöst, scheint ihm egal zu sein. Wenn Studios nur auf Sicherheit und Mainstream geeicht sind, werden Kaliber wie Tarantino irgendwann aussterben. Umso wichtiger ist es daher, dass Künstler wie er die Freiheit, die sie sich erarbeitet haben, voll ausschöpfen. Die Dichotomie der Gewalt in Django Unchained ist ein gutes Beispiel: Die Gewalt im Film, die sich gegen Weiße richtet, ist nahezu comichaft überzeichnet. Die Gewalt gegen Schwarze hingegen ist aufgrund ihrer rohen Brutalität kaum zu ertragen, von der Sprache ganz zu schweigen. Auch diesen Film konnte wohl nur Tarantino realisieren. Ob er dabei Grenzen überschreitet oder jemandem auf den Schlips tritt, darf keine Rolle spielen. Man sagt, was gesagt werden muss, und zeigt, was gezeigt werden muss. Am Ende kommt ein Werk dabei heraus, das vielleicht nicht jedem gefällt, aber ohne Zweifel eines, das mit Leidenschaft und Mut erschaffen wurde. Oder um es mit seinen Worten zu sagen:
„If you truly love cinema with all your heart and with enough passion, you can’t help but make a good movie.“