Wie liberal ist … The Boys?
Bevor wir heute wieder den Liberalismus in allen möglichen Dingen suchen, muss ich mich als popkulturelle Basic Bitch outen: Ich mag Superhelden-Filme. Ich weiß alles über das Marvel Cinematic Universe und habe schon als Kind vor allem die Serien geschaut, bei denen die spannendste Frage war, wie jemand noch stärker werden kann. (Dragonball Z ist eine heimliche Superhelden-Serie.)
Aber heute geht es weder um Marvel noch um Dragonball Z, sondern um die wahrscheinlich politischste aller Serien aus dem Superhelden-Genre.
The Boys spielt in einer Welt, in der Superkräfte real sind – die Grundprämisse vieler anderer Werke. Aber anders als das Marvel-Universum, das im Wesentlichen vom Recht des Stärkeren mit einigen gescheiterten Versuchen der Institutionalisierung lebt, beschäftigt sich der Amazon-Prime-Hit genau mit der politischen Ebene. Die Serie ist eine schwarze Komödie über „Supes“, wie die Helden dort abgekürzt werden – aber genauso eine dramatische Gesellschaftskritik, die aus liberaler Weltsicht eine Dystopie beschreibt.
Die Privatisierung der Superkräfte
Ein wesentlicher Unterschied zwischen The Boys und anderen Werken mit Superhelden ist die Erklärung, woher sie ihre Superkräfte haben. Anders als im Marvel Cinematic Universe, wo vom Biss einer radioaktiven Spinne, futuristischer Technologie, Magie oder „irgendwas mit Quanten“ alles vorkommen kann, beziehen die Supes ihre Kräfte durch Compound V, ein Mittel, das vom Vought-Konzern hergestellt wird. Das ist derselbe Konzern, der diese Superhelden unter Vertrag hat.
Mit der Existenz von Superhelden entsteht nämlich ein neuer Markt. Neben Fanartikeln, Auftritten bei Veranstaltungen, Filmen und Serien verdient der Konzern auch dadurch, seine Popstars als private Söldner einzusetzen. Im Laufe der Serie wird das Ziel des Konzerns immer offener, auch das US-Militär von sich abhängig zu machen – man könne immerhin nicht wollen, dass andere Supermächte oder gar Terroristen zuerst mit Superkräften kämpfen würden. Vought ist also ein Mega-Konzern, der in den Bereichen Unterhaltung, Pharma und Sicherheit tätig ist. Und als wäre das nicht beunruhigend genug: Wir reden von einem Monopol. Im wesentlichen beschäftigt sich die ganze Serie mit den Auswirkungen dieser Problematik.
Die Prämisse ist also nicht, dass die Guten und die Bösen, die mehr oder weniger zufällig an ihre Superkräfte kommen, einen noblen Kampf für ihre Sache führen. Sondern dass auch das Versprechen von Superkräften sofort kommerzialisiert wird – eine wesentlich realistischere Variante, die sich intuitiv korrekt anfühlt. Wenn Superman heute existieren würde, wäre er nicht nur Popstar und Influencer, sondern würde auch genau in die Pseudo-Alpha-Male-Bubble hineinstrahlen, die sich unbedingt für besser als alle anderen halten will. Und wenn dieser Superman keinen guten Charakter hätte, würde er genau diese Bubble bedienen. Darum ist eine der Hauptfiguren auch eine Mischung aus Clark Kent und Donald Trump: Homelander.
Politik mit autoritären Posterboys
Was Homelander darstellen soll, ist wenig verschleiert. Man stelle sich einen Populisten vor, der nicht nur glaubt, über den Regeln zu stehen, sondern auch ganz konkret physisch überlegen ist. Niemand kann ihn bestrafen, einsperren oder gar im Kampf besiegen, die letzten verbleibenden Hebel sind Beliebtheitswerte und das eigene Vergnügen. Er ist der Prototyp des Autoritären, des „starken Manns“, der sich um keine Regeln kümmern muss, das Mussolini-Äquivalent eines Superhelden.
Und auch die anderen Supes kann man sich in etwa so vorstellen: bekannte Superhelden aus anderen Werken, mit neuen Namen als billiges Knock-off mit Problemen, die in der heutigen Zeit realistisch wären. Der superschnelle Flash aus dem DC-Universum erscheint auf Amazon Prime als „A-Train“, der seine Rekorde als schnellster Mann der Welt halten will, und den Drogen verfällt. Die Aquaman-Kopie „The Deep“ missbraucht seine Macht gegenüber Frauen und löst einen „MeToo-Skandal“ aus, von dem er sich schnell erholt – ganz wie ein echter Superstar eben.
Anders als in anderen Werken aus dem Superhelden-Genre schaut die Politik nicht tatenlos zu. Sie fordert einen rechtsstaatlichen Rahmen dafür, was Superhelden tun können und was nicht. Das US-Militär sieht im Einsatz von Homelander im Nahen Osten nicht nur eine Chance, sondern auch ein Risiko der Verantwortlichkeit – und der Abhängigkeit von einem privaten Rüstungskonzern. Und wir sehen eine Kongressabgeordnete, erinnernd an die US-Demokratin Alexandria Ocasio-Cortez, die den rechtlichen Kampf dorthin bringt, wo er geführt gehört: zum Vought-Konzern.
Versteckte liberale Hoffnungen
Das Universum, in dem The Boys stattfindet, ist eine Warnung vor dem, was viele unter einer turbokapitalistischen Dystopie verstehen. Dabei hätten genau Liberale, denen diese Vorstellungen oft unterstellt werden, erst recht keine Freude damit. Nicht nur würden sie bei der autoritären Übermächtigung eines Homelander schaudern, sie hätten eine Monopolbildung auf die Entwicklung von Superkräften nie entstehen lassen. Alleine die Tatsache, dass es keinen Wettbewerb im Superhelden-Business gibt, macht die zahlreichen Fehler von Vought umso schwerwiegender: Die Frage ist nicht, welchen Supes man anhängt, sondern ob man es sich mit all diesen Übermenschen verscherzen will.
Und noch etwas hebt The Boys von Marvel und DC ab: Man sieht das Leben in einer Welt voller Superkräfte eben nicht nur aus der Sicht der vermeintlichen Helden. In Marvel-Filmen nehmen die normalen Menschen nur eine Statistenrolle ein – Doc Ock wirft ein Auto auf Spiderman, und es ist uns völlig egal, wem dieses Auto gehört, oder ob jemand drinsitzt. The Boys dagegen fängt genau mit einem dieser „Kollateralschäden“ an: Im Drogenrausch tötet A-Train bei einem seiner superschnellen Sprints die Freundin des Hauptcharakters Hughie.
Hier zeigt die Serie die andere Seite der Medaille, und genau dadurch zündet die politische Botschaft: Für jeden Superhelden, der im Fernsehen damit glänzt, besser als die anderen zu sein, gibt es unzählige Opfer eines Systems, das diese Selbstjustiz durchgehen lässt. Als Hughies Freundin umgebracht wird, startet keine Aufarbeitung, sondern Litigation-PR, ein Prozess der Verschleierung. Wo ein Mensch sich über andere erhebt und ein Konzern seine Monopolstellung ausnutzt, fühlt man mit dem Protagonisten eine schreiende Ungerechtigkeit, auf die sich wohl nicht nur Liberale einigen können.
Zusammen mit anderen Betroffenen begibt sich Hughie auf einen Rachefeldzug. Sie planen nicht nur einen ungleichen Kampf gegen übermächtige Supes, sondern einen Angriff auf das gesamte System. Auf die Firma, die von diesem Status quo profitiert, auf die Öffentlichkeit, die bei Verbrechen wegsieht und auf eine Gesellschaft, die sich so sehr nach Heldenfiguren sehnt, dass sie ins Autoritäre abdriftet. Die Hauptfiguren der Serie sind eben nicht die Superhelden, sondern die normalen Leute, die unter diesem System leiden: die Boys.
Eine Warnung vor der Dystopie
Auch wenn The Boys in vielen Belangen nicht mit Marvel mithalten kann: In Sachen Realitätsbezug und Gesellschaftskritik ist die Serie das beste Superhelden-Werk unserer Zeit. Für eine unrealistische Prämisse – Menschen haben Superkräfte – zeichnet sie ein beunruhigend realistisches Szenario. Auch die Rolle von sozialen Medien im öffentlichen Diskurs, Politikverdrossenheit und der Wille nach einem „starken Mann“ fügen sich nahtlos in die Handlung ein, ohne belehrend zu wirken. Man weiß, was gemeint ist, ohne dass die Anspielung auf reale Zustände das Hauptthema wird. Ob Homelander nun Donald Trump sein soll oder nicht, ist fast schon nebensächlich: Die Serie funktioniert auch ohne eine Antwort ganz gut.
Die Welt, in der The Boys spielt, ist weit entfernt vom Liberalismus: Die Macht eines privaten Monopols, das Fehlen eines rechtsstaatlichen Rahmens und die Idee, dass manche Menschen einfach aufgrund ihrer Biologie „besser“ sind als andere, das sind allesamt Ideen, die Liberale zu Recht zum Schaudern bringen. Was allerdings dafür sorgt, dass das Gesamtwerk umso liberaler ist: Es funktioniert als Warnung. Als Fingerzeig vor den schlechten Teilen unserer Gesellschaft, mit denen wir auch ohne Superhelden einen Umgang finden müssen.