Kein Mensch braucht eine staatliche Journalismus-Ausbildung
Die Bundesregierung will die älteste noch erscheinende Zeitung der Welt zu einer Hauptanbieterin für journalistische Ausbildungen machen. Inklusive Näheverhältnis zum Bundeskanzleramt.
Die Wiener Zeitung ist ein politisches Problem. Sie ist die älteste Zeitung der Welt, erscheint seit 1703 und wird daher oft als ein „Stück Geschichte“ bezeichnet. Die Zeitung einzustellen hieße also, diese Erfolgsgeschichte mangels Vision zu beenden. Und dafür will politisch natürlich niemand verantwortlich sein.
Bisher hat das Medium sein Geld vor allem mit den sogenannten Pflichtveröffentlichungen gemacht. Ein Teil jeder Unternehmensgründung ist die Kundmachung im Amtsblatt der Wiener Zeitung. Eine unternehmerische Hürde, die heutzutage nicht mehr angemessen ist – immerhin könnte man das jederzeit kostenlos erledigen, und es spricht auch nichts dafür, das gerade in einem Printprodukt tun zu müssen.
Darum will die Bundesregierung mit einem neuen Gesetzesentwurf die Wiener Zeitung umgestalten. Sie soll zukünftig nur noch einmal im Monat in gedruckter Form erscheinen und sonst zum Digitalmedium werden.
Pläne für eine staatliche Journalismus-Ausbildung
Das alleine wäre schon Grund genug für eine medienpolitische Debatte. Man kann ganz grundsätzlich diskutieren, ob es zusätzlich zum ORF ein öffentlich-rechtliches Print- oder Online-Medium braucht, und auch die Kritik, die Pläne wären ein „Todesstoß auf Raten“, sollte man ernst nehmen.
Aber das ist nicht der einzige Punkt der Reform, der politisch brisant ist: Denn zusätzlich zum Umbau in ein digitales Medienhaus soll die Wiener Zeitung in Zukunft zur Hauptanlaufstelle für die Ausbildung von Journalist:innen werden. Sechs Millionen Euro pro Jahr stehen dafür zur Verfügung, etwa das Zehnfache des bisherigen Branchenbudgets für Ausbildung. Brisant ist, wer diese anbieten soll: der „Media Hub Austria“. Er gehört ebenfalls zur Wiener Zeitung GmbH und ist damit – genau wie die Zeitung – im Eigentum der Republik.
Dazu kommt, dass die Auszubildenden auch von der „Content Agentur Austria“ lernen sollen – also der PR-Agentur der Mediengruppe Wiener Zeitung. Auf ihrer Website finden sich als Beispiele für ihre Arbeit die Social-Media-Betreuung der Europäischen Kommission und die Erstellung des Magazins „Unser Europa. Unsere Gemeinde.“ für das Kanzleramt.
Strukturelle Schwächen
Schon alleine die Optik ist schief: Das Bundeskanzleramt könnte – rein strukturell zumindest – über das Media Hub Austria darauf Einfluss nehmen, welche Inhalte angehende Journalist:innen in ihrer Ausbildung lernen. Im besten Fall haben alle Beteiligten einen anständigen Berufsethos und wissen ein kritisches Selbstverständnis der Medien zu schätzen. Im schlimmsten Fall führt das zu einem Beißreflex, weil angehende Journalist:innen ihr Handwerk aus der PR lernen, und nicht von kritischen Vorbildern aus der Branche.
Und ja, auch in der Öffentlichkeitsarbeit wird im weiteren Sinne „journalistisch“ gearbeitet. Recherche, verständliche Formulierungen und ein knackiger Titel sind in der PR genauso wichtig wie im Journalismus. Allerdings sollten aus staatsbürgerlicher Sicht die Alarmglocken läuten, wenn zukünftige Journalist:innen ihr Handwerk aus den Public Relations lernen – und damit Persuasionskommunikation betreiben statt faktenbasierter Recherche. Nicht umsonst rekrutiert sich die PR-Branche aus früheren Redakteur:innen, und nicht umgekehrt.
Natürlich müssen all diese Befürchtungen nicht genau so eintreten. Das Media Hub Austria hat das neue Ausbildungsprogramm der Wiener Zeitung noch nicht umgesetzt, das Gesetz ist noch nicht einmal durch. Aber alleine die strukturelle Nähe, die Möglichkeit der Beeinflussung, sollte Grund genug sein, diese Konstruktion zu überdenken – immerhin sitzt im Aufsichtsrat der Wiener Zeitung GmbH auch Werner Suppan, der ÖVP-Politiker:innen wie Sebastian Kurz vertritt.
Zukunftsvorschläge für die Wiener Zeitung
Man kann der Bundesregierung immerhin dazu gratulieren, einige Herausforderungen spät, aber doch erkannt zu haben. Eine Zeitung, die von Pflichtveröffentlichungen lebt, ist kein zukunftsfähiges Modell, und bei der Ausbildung zukünftiger Journalist:innen fehlt es den Redaktionen oft an Geld. Aber ihre Lösung in dieser Form ist keine, sondern wirft neue Möglichkeiten für strukturelle Medienbeeinflussung auf. Daher ein paar Verbesserungsvorschläge:
- Die Inhalte der Ausbildung sollten ausschließlich von Journalist:innen oder anderen Medienprofis kommen, die in jedem Fall unabhängig sein müssen. Die Redaktion der Wiener Zeitung braucht hier ein Mitspracherecht, politischer Einfluss sollte ausgeschlossen sein.
- Zukünftige kritische Journalist:innen dürfen nicht unter dem Banner der staatlich zertifizierten Ausbildung für die PR der öffentlichen Hand eingesetzt werden. Sie sollen journalistische Methoden lernen, und nicht, wie man besonders überzeugend für das Bundeskanzleramt argumentiert.
- Sechs Millionen Euro für einen Anbieter sind zu viel. Besser eingesetzt wäre das Geld, indem sich mehrere Anbieter mit eigenen Innovationskonzepten für diese Mittel bewerben können. Damit würde die Medienvielfalt gefördert und das Missbrauchspotenzial gemindert.
- Ein öffentlich-rechtliches Medium braucht eine klare Definition seiner Aufgaben – und „einmal im Monat eine Zeitung herausbringen“ kann dazu nicht ausreichen. Wenn man sich zur Wiener Zeitung bekennt, braucht es einen ambitionierten Plan für ihre Zukunft.
- Die beste Medienpolitik, die in dieser Causa überhaupt nicht angesprochen wird, wäre aber ein Ende der gelebten Praxis der Inseratenkorruption. In einem System, das Qualität und Vielfalt fördert, müsste man die Frage der Journalist:innen-Ausbildung vermutlich gar nicht in dieser Form diskutieren.
Wenn die Bundesregierung diese Punkte berücksichtigt, wäre nicht nur der Wiener Zeitung, sondern auch der Medienbranche an sich geholfen. Das ist aber nicht das wahrscheinlichste Szenario – denn in einem politischen Minenfeld wie der Wiener Zeitung sind mutige Reformen selten.