2024 wird ein globales Superwahljahr
Wenn man Demokratie nur durch die Abhaltung von Wahlen definiert, wird nächstes Jahr ein gutes Jahr in der Menschheitsgeschichte: Ein Drittel der Welt schreitet zur Wahl. Selten konnten mehr Menschen ihre Stimme nutzen. Es ist eine gute Zeit, könnte man meinen.
Pessimistischer wird der Ausblick nur, wenn man Demokratie als mehr als nur Wahlen definiert. Denn einige der Wahlen im Jahr 2024 muss man eher unter Anführungszeichen sehen, weil sie nicht fair sind – und in anderen drohen Autoritäre an die Macht zu kommen, die es mit demokratischen Grundwerten nicht so genau nehmen. Ein Überblick über die wichtigsten weltpolitischen Schauplätze im globalen Superwahljahr.
Die größte Wahl der Welt und Stimmungstest im Südchinesischen Meer
Los geht das Jahr mit der Präsidentschaftswahl in Taiwan. Die Insel, die von Festland-China als abtrünnige Provinz bezeichnet wird, genießt viele Freiheiten, die im autoritären Regime der Kommunistischen Partei kaum denkbar wären. Das und die immer deutlicheren Gesten Chinas in Richtung „Wiedervereinigung“ sorgt dafür, dass die Beziehung zwischen China und Taiwan zum bestimmenden Thema im Wahlkampf wird. Eine neue Staatsspitze wird es auf jeden Fall geben: Präsidentin Tsai Ing-Wen darf nicht mehr kandidieren, da die Verfassung von Taiwan maximal zwei Amtszeiten vorsieht.
Bald danach folgt die größte, die die Welt je gesehen hat: Im April oder Mai wird Indien ein neues Parlament wählen. Dabei werden 543 Personen in Einserwahlkreisen gewählt – und entscheiden am Ende darüber, ob Premierminister Modi weiterhin eine Mehrheit hat. Die „nationale demokratische Allianz“, angeführt von Modis Bharatiya Janata (Indische Volkspartei), kämpft um die Stimmen von Milliarden. Wie viele Menschen genau in Indien wählen dürfen, ist noch unbekannt, 2019 waren es noch 900 Millionen.
Auch für Österreich und Europa sind diese Wahlen relevant. Einerseits, weil der asiatische Raum ein wesentlicher geopolitischer Konfliktpol ist. Aber auch, weil Indien durch seine riesige Bevölkerung und seine aufstrebende Wirtschaft einer der wesentlichen globalen Player ist. In welche Richtung Indien geht, hat Auswirkungen auf Handelsbeziehungen, auf die globalen Bemühungen im Klimaschutz und darauf, in welche Richtung die Welt steuert: Demokratie oder Autokratie?
Die wichtigste Wahl für unser Leben
Eine der entscheidendsten Wahlen für unser Leben findet im Juni statt: Die Wahl zum Europäischen Parlament. Beziehungsweise eigentlich die Wahlen – immerhin wählen 27 Nationen ihre Vertreterinnen und Vertreter, um den Großteil unserer Gesetze zu produzieren. Gesetze in Bereichen, über die Nationalstaaten immer weniger Kontrolle haben: In Bereichen wie Konsumentenschutz und Tech-Regulierung etwa haben wir nur deshalb starke Rechte gegenüber großen Konzernen, weil diese nicht den Zugang zum europäischen Markt verlieren wollen.
Aber die EU-Wahlen sind auch entscheidend, weil sie den Kurs der EU-Außenpolitik prägen. 2019 hat neben der oft zitierten „grünen Welle“ starke Ergebnisse für die Liberalen gebracht – dadurch wurden wichtige Schritte im Klimaschutz möglich. Eine „rechte Welle“ als populistische Antwort auf die Krisen der letzten Jahre könnte umgekehrt dafür sorgen, wieder mehr von russischem Gas abhängig zu sein und die Hilfe für die Ukraine aufzuweichen. Wer in der EU das Sagen hat, bestimmt auch maßgeblich, wie sich Europa im geopolitischen Mächtespiel positioniert. Und damit auch unsere Sicherheit.
Wahlen im Schatten des Ukraine-Krieges
Nicht überall, wo „Wahl“ draufsteht, wird auch wirklich gewählt: Denn auch in Russland gibt es diese zumindest formell. Wladimir Putin, der die Ukraine seit 2022 mit einem Angriffskrieg einzunehmen versucht, stellt sich zumindest der Inszenierung einer Wahl.
Schon von 2000 bis 2008 war Putin Präsident von Russland, bevor er die Macht in einer „Rochade“ über zwei Amtszeiten an seinen Parteifreund Dmitri Medvedev übergab. Damals kündigte er noch an, keine dritte Amtszeit anzustreben, weil er nicht „süchtig nach der Macht“ sei. Mittlerweile sind mehr als 15 Jahre vergangen – und Putin hat die Verfassung ändern lassen, um die früher vorgesehene Höchstzahl an Amtsperioden übertreten zu dürfen. Da die Opposition in Russland zensiert, unterdrückt oder sogar getötet wird, liegt das Ergebnis sehr nahe: Es wird seine fünfte Amtszeit werden.
Symbolbild, produziert mit Adobe Firefly AI
Echte demokratische Wahlen könnten dafür dort stattfinden, wo russische Truppen gerne wären, aber sich nicht durchkämpfen konnten: Denn auch in der Ukraine stünde ein Wahltermin an. Wie dieser mitten im Krieg stattfinden soll und wie man trotzdem freie, faire und sichere Wahlen sicherstellen kann, das ist eine Herausforderung. Trotzdem könnte Russland einiges von seinem pro-europäischen Nachbarn lernen. Alleine, weil diese Frage überhaupt gestellt wird.
Showdown in den USA
Gegen Ende des Jahres wird es dann nochmal spannend: Denn weltpolitisch gibt es kaum wichtigere Wahlen als die US-Präsidentschaftswahlen. Joe Biden hat bereits angekündigt, trotz seines hohen Alters von 81 für weitere vier Jahre antreten zu wollen. Die Republikaner schicken, wenn die Umfragen recht behalten, erneut den 77-jährigen Donald Trump ins Rennen, der seine Wahlniederlage 2020 nicht eingestehen wollte. Zwei Männer im hohen Pensionsalter könnten also zur Auswahl im Rennen um die Atom-Codes stehen.
Interessant ist es in den USA aber schon länger: Immerhin müssen die Kandidatinnen und Kandidaten durch die „Primaries“, also die parteiinternen Vorwahlen, quer durch alle Bundesstaaten antreten, um ihre Kandidatur zu sichern. Und mit dem Gouverneur von Florida, Ron DeSantis, der früheren UN-Botschafterin Nikki Haley und dem Unternehmer Vivek Ramaswamy gibt es drei nicht ganz chancenlose Namen, die noch das Momentum entwickeln könnten, Trump zu verhindern. Wenn er überhaupt antreten darf – denn der Ex-Präsident steht auch vor rechtlichen Problemen, die zu einer Verhaftung führen könnten.
Das globale Superwahljahr
Die erwähnten Wahlen sind nur die größten und wichtigsten, aber es gibt noch viele weitere Wahlen im Jahr 2024. Schon Anfang des Jahres wählt Pakistan, eine Schlüsselnation in Asien, die nicht nur aufgrund der Spannungen zu Indien relevant ist: Pakistan ist auch eines der Länder auf der Welt, die am meisten vom Klimawandel betroffen sind. In Südafrika etwa entscheidet sich die Zukunft des African National Congress, der das Land seit dem Ende der Apartheid regiert, mit Ghana und Mali wählen zwei afrikanische Staaten in einer Region, die in letzter Zeit vor allem durch Instabilität aufgefallen ist.
Und auch in Europa wird mehr gewählt als das Europäische Parlament: Neben Österreich wählen auch Belgien, Litauen, Rumänien und Kroatien ihre Parlamente, in der Slowakei stehen Präsidentschaftswahlen an. In der Schweiz stehen nächstes Jahr einige Volksabstimmungen an. Dazu gibt es noch den ein oder anderen Stimmungstest: In Deutschland etwa wählen mit Sachsen, Thüringen und Brandenburg gleich drei Bundesländer ihren neuen Landtag.
Die Liste könnte beliebig weitergehen: Von El Salvador über Georgien bis Südkorea nutzen die Menschen ihre Stimme. Es bleibt zu hoffen, dass sich in den meisten dieser Länder auch wirklich die Freunde der Demokratie durchsetzen – und nicht jene, die es mit der Freiheit nicht so genau nehmen. Immerhin stehen auch in Österreich Wahlen an. Und Umfragen legen nahe, dass nicht nur bei uns eine autoritäre Partei an die Macht kommen könnte.