Auf der Suche nach liberaler Wohnpolitik: Lokalaugenschein in den Niederlanden
Der Immobilienmarkt – für junge Leute ein Frustthema. Wer vor einigen Jahrzehnten einen vorteilhaften Mietvertrag abgeschlossen oder ein Haus gekauft hat, ist fein raus. Für diese Menschen sind die monatlichen Zahlungen niedrig, die Zukunft ist abgesichert.
Wer dagegen neu in den Immobilienmarkt einsteigen will, muss erstmal schlucken. Eine Neubauwohnung mit drei Zimmern kostet in Wien 500.000 Euro aufwärts, davon muss man mindestens 100.000 Euro als Eigenkapital mitbringen. Außerdem darf die Kreditrate 40 Prozent des Nettoeinkommens nicht übersteigen. Bei 35-jähriger Laufzeit muss man also minimal 4.700 Euro netto verdienen, um mitspielen zu können.
Der Traum vom Eigenheim
Dabei lernen wir von klein auf: Wer mietet, verliert. Mittels Wohnkredit ein Haus kaufen und abbezahlen ist wie mieten, nur dass die monatlichen Zahlungen nicht in den Taschen anderer Leute verschwinden, sondern Stück für Stück das Eigenheim in den eigenen Besitz übertragen. Statt jeden Monat einen großen Teil des Einkommens ins Nirvana verschwinden zu sehen, zahlt man den Kredit zurück und trägt so zum Aufbau des eigenen Vermögens bei – einzig die Zinszahlungen sind verlorenes Geld.
Häuser steigen relativ konstant im Wert, dienen zur Altersvorsorge und können innerhalb der Familie mit geringen Kosten weitergegeben werden. Sie sind als Investment sicherer als die meisten Finanzprodukte und verzeichnen auch (beziehungsweise gerade) in Zeiten von Niedrigzinspolitik Wertsteigerungen. Außerdem scheint es auf nationaler Ebene einen Zusammenhang zwischen hohem Anteil an Eigenheimbesitz und niedrigerer Ungleichheit zu geben. What’s not to love?
Es gibt nur einen Haken: Unglücklicherweise konnte die Einkommensentwicklung in den letzten Jahren nicht einmal ansatzweise mit den Wertsteigerungen bei Immobilien mithalten. Konnte man zu Jugendzeiten meiner Großeltern noch mit einem Gehalt bequem eine Wohnung kaufen, haben in großen Städten inzwischen selbst gutverdienende Paare das Nachsehen. Wer keine reichen Eltern hat, bleibt im Mietsektor hängen – und sieht die Häuserpreise weiter ins Unermessliche steigen, während die Gehälter nur zaghaft angehoben werden.
Das Häuserkarussell – höher und immer höher
Inzwischen dreht sich das Häuserkarussell weiter: Wer schon eine Wohnung hatte, kann sie mit Wertsteigerung verkaufen und durch eine bessere Immobilie ersetzen. Der Logik nach sollten so kleinere Wohnungen frei werden – „Erstes Eigenheim“-Potenzial. Doch hier hat man die Rechnung ohne Investor:innen gemacht, denn gerade solche Wohnungen eignen sich großartig als Investitionsobjekte. Investor:innen treiben Preise so für junge Leute in oft unerschwingliche Höhen. Die erstandenen Objekte werden dann entweder vermietet oder verbleiben im Leerstand – ein leerer Geldspeicher, der jedes Jahr im Wert steigt. Junge Menschen verpassen währenddessen den Einstieg in den Immobilienmarkt und schauen finanziell durch die Finger.
Maßnahmen zur Unterstützung von Einsteiger:innen
Das ist nicht nur in Österreich und auch nicht erst seit gestern so. In den Niederlanden hat man sich darum einiges einfallen lassen, um Wohnungserwerb von jungen Leuten zu erleichtern. Zur teilweisen Steuerabsetzbarkeit der Zinszahlungen, die es bereits seit 2001 gibt, kam die „Jubelton“, eine steuerfreie Geldsumme von bis zu 107.000 Euro, die Eltern ihren Kindern zum Kauf eines Hauses übertragen können. Und auch bei der Grunderwerbsteuer gab es Erleichterungen: Ist man jünger als 35 und kauft eine Wohnung, in der man selbst wohnen wird, und die weniger als 440.000 Euro kostet, zahlt man keine Steuer für die Transaktion. Bei Ferienhäusern, Anlagen- und Geschäftsobjekten fallen hingegen 10,4 Prozent Grunderwerbsteuer an.
Die Maßnahmen kurbelten die Nachfrage nach Wohnimmobilien an und verhalfen einigen jungen Menschen zum ersten Eigenheim. In Kombination mit einer geringen Zahl an Neubauten taten sie aber vor allem eines: Sie heizten den Wohnungsmarkt weiter an. Im Global Real Estate Bubble Index von UBS steht Amsterdam inzwischen auf Platz 7 der blasengefährdetsten Städte der Welt.
Der Fluch des unelastischen Angebots
Da das Wohnungsangebot von vielen Faktoren abhängt und nur sehr langsam auf Änderungen in der Nachfrage reagiert, konnten zwar mehr Personen ihren Hut in den Ring werfen, sie sahen sich aber gleichzeitig mit mehr Konkurrenz konfrontiert, die von den gleichen Vorteilen profitiert. Das Geld, das man früher für Grunderwerbsteuer zur Seite gelegt oder an Schenkungssteuer abgetragen hätte, wurde flugs auf die höchstmögliche Kaufsumme addiert, um nicht ausgestochen zu werden.
So gingen Wohnungen, die mit einem Fragpreis von 250.000 Euro für Einsteiger vielleicht noch erschwinglich gewesen wären, schließlich für 300.000 Euro oder mehr über den Maklertisch. Wer sich ohne Förderung keine Wohnung leisten konnte, hatte mit Förderung auch nicht viel mehr Chancen.
Investor:innen haben noch immer die Oberhand
Auch Investor:innen ließen sich von den Maßnahmen nicht weiter beeindrucken. Wer bereits in Immobilien investiert war, konnte junge Einsteiger weiterhin ohne Probleme überbieten, zumal die gestiegene Nachfrage den Preis des eigenen Portfolios weiter in die Höhe treibt. Dazu kommt, dass Einkünfte aus Miete in den Niederlanden nicht der Einkommensteuer unterliegen, sondern bloß (weitaus niedrigere) Vermögenssteuern auf fiktives Rendement abgeführt werden müssen. 2025 soll sich das ändern, zurzeit gilt allerdings noch: Wer sich den Erwerb einer Immobilie inklusive Nebenkosten leisten kann, lässt einfach die Mieter:innen den Wohnkredit zurückzahlen.
Auch bei der Zielgerichtetheit der Maßnahmen kommen Fragen auf: Für den Teil der Bevölkerung, der am bedürftigsten ist, ist Eigentum unerreichbar. Alle Förderungen, die Eigentumserwerb effektiv unterstützen, verbessern die finanzielle Situation von Wohneigentümer:innen gegenüber der von Mieter:innen. In den Niederlanden ist es mit Blick auf die monatlichen Zahlungen teils billiger, ein vergleichbares Objekt mit Wohnkredit zu kaufen, als zu mieten. Der Haken: Personen mit niedrigem Einkommen erhalten keinen Kredit und bleiben so auf den (höheren) Mietzahlungen sitzen.
Ein Rundumerfolg? Leider nein
Die Maßnahmen, die junge Leute beim Erwerb von Eigenheimen unterstützen sollen, kommen nicht nur überwiegend Personen mit höherem Einkommen zugute, sondern werden auch größtenteils wieder durch Marktmechanismen aufgefressen. Freuen dürfen sich all jene, die bereits in Immobilien investiert haben, und diejenigen, die ihr Brot mit dem Handel in Immobilien verdienen – Banken, Makler:innen, Notar:innen. Kostspielige Maßnahmen also, schließlich kostete 2021 allein der Steuerabzug von Zinszahlungen den Fiskus 9 Milliarden Euro.
Einzelne Regelungen werden darum auch rückgebaut. Ab 2024 verfällt die „Jubelton“, und auch der Prozentsatz der Zinszahlungen, der abgesetzt werden darf, sinkt. Eine starke Verringerung bzw. gänzliche Abschaffung wäre nicht so schnell durchsetzbar. Viele Haushalte rechnen mit der Entlastung durch die Steuerabsetzbarkeit und könnten finanzielle Probleme bekommen, wenn die Regelung fällt.
Verschuldung – nicht nur ein Problem des Staates
Auch um die Schuldenlast der niederländischen Haushalte ist man national sowie international besorgt. Durch die steigenden Immobilienpreise bei vergleichsweise moderater Entwicklung der Löhne nehmen Haushalte in Relation zum Einkommen stets mehr Schulden auf, um den Traum vom Eigenheim zu finanzieren. Die Steuerabsetzbarkeit der Zinszahlungen hatte zudem früher den aversen Effekt, dass Rückzahlungen auf die lange Bank geschoben wurden, weswegen die steuerliche Absetzbarkeit in einer Novelle auf 30 Jahre beschränkt wurde.
2022 betrug die Gesamtverschuldung der privaten Haushalte durch Wohnkredite in den Niederlanden 800 Milliarden Euro, ca. 45.000 Euro pro Person. Zum Vergleich: In Österreich belief sich die Pro-Kopf-Verschuldung durch Wohnkredite laut einem OeNB-Bericht aus 2018 auf ca. 15.000 Euro.
Symbolbild, produziert mit Midjourney AI
Liberale Wohnpolitik – was ist das eigentlich?
Die Recherche dauerte viel länger als erwartet und ließ mich mit einigen Fragen zurück. Überraschenderweise ging es viel weniger um die komplexen Details des Markts und der Fördersysteme, sondern vielmehr um Prinzipienfragen und ethische Dilemmata.
- Wie garantiert man Einwohner:innen ein Dach über dem Kopf, ohne im freien Sektor den optimalen Wettbewerb zu gefährden?
- Wie stoppen wir das Häuserpreiskarussell, bevor es in Höhen schwingt, wo Normalsterbliche nicht mehr einsteigen können, oder zur Blase wird, die uns unsanft auf den echten Wert der Immobilien aufmerksam macht?
- Wie schaffen wir den Ausstieg aus dem Karrussell, ohne jenen zu schaden, die erst kürzlich eingestiegen sind?
- Mit Blick auf Überbewertung, Volatilität des Markts und Überschuldungsgefahr: Ist Eigentum wirklich das Nonplusultra, als das es gehandelt wird?
- Und ganz prinzipiell stellt sich die Frage: Wenn Leistung ein Kernprinzip des Liberalismus ist – ist es dann in Ordnung, dass Immobilienbesitzer:innen von exorbitanten Wertsteigerungen profitieren, zu denen sie selbst nichts beigetragen haben?
In der Wohnpolitik prallen die ökonomischen und sozialen Strömungen des Liberalismus aufeinander und wissen nicht so recht, in welche Richtung es gehen soll. Mehr Freiheiten, für einen besser funktionierenden Markt? Oder doch mehr Maßnahmen, um den Eigentumsaufbau von Einwohner:innen zu fördern und die Wohnsituation von vulnerablen Personen abzusichern?
Liberale Ideensammlung
Ideen gibt es zuhauf: So könnte man ungerechtfertigte Privilegien auslaufen lassen, die Miete im sozialen Wohnbau einkommensabhängig machen, Grund stärker besteuern, um Teile der Wertsteigerung der Allgemeinheit zuzuführen und Preise zu drücken, Miet-Kauf-Modelle pilotieren und den Faktor Arbeit entlasten, sodass Leistung wieder Steine kaufen kann.
Eine Warnung gibt uns das Beispiel Niederlande: Ohne ausreichendes Angebot verkommen selbst gute Maßnahmen zu Preistreibern, die das Staatsbudget belasten. Die kurzfristigen Lenkungsmechanismen in Bezug auf das Wohnungsangebot sind begrenzt, da weder Rom noch ein Wohnhaus je an einem Tag erbaut wurde.
Ein Instrument gäbe es, um den Anteil an leeren Geldspeichern zu reduzieren: die Bekämpfung von Leerstand. Das könnte durch Modernisierungen im Mietrecht passieren, aber auch durch eine sogenannte Leerstandsabgabe, die Eigentümer:innen dazu anregt, ihre leerstehende Wohnung zu vermieten. Wer das nicht will, zahlt einen Beitrag, der dann wieder in den Wohnbau fließen kann – in beiden Fällen wirkt die Abgabe angebotserhöhend. Kurioserweise ist das eine Maßnahme, die man in den Niederlanden noch nicht probiert hat.