Aufstieg und Fall der Gießkanne
Wirtschaftsforscher:innen in Österreich dürften mittlerweile schon langsam keine Haare mehr am Kopf haben. Denn Grund zum Haareraufen hatten sie in den letzten Jahren mehr als genug.
Seit Ausbruch der Covid-Pandemie gilt für die Österreichische Wirtschaftspolitik vor allem eines: Geld ist abgeschafft. Die Steuermilliarden werden seit Ausbruch der Pandemie Jahr für Jahr beidhändig unters Volk geworfen. Angesichts der insgesamt rund 47 Mrd. EUR, die die Bundesregierung bisher für Covid-Hilfen ausgezahlt hat und angesichts immer neuer Anti-Teuerungspakete – es wurden bisher Maßnahmen in Höhe von fast 40 Mrd. EUR beschlossen, aber weitere Pakete bereits angekündgt – wirken die stundenlangen Nationalratsdiskussionen geradezu absurd, wenn es z.B. um das Bundesbudget im Bereich Konsumentenschutz geht. Gesamtbudget 2022: 6,7 Mio. EUR.
Während über einstellige Millionenbeträge im Budget mitunter wochen- und monatelang verhandelt wird, werden in Namen der Krisenbewältigung Transfers und Subventionen im Höhe von mehreren Milliarden Euro ohne Begutachtung und mit minimaler Diskussion durch den Gesetzgebungsprozess durchgewunken. Das Ergebnis: Rekord-Budgetdefizite und Rekord-Schuldenstände.
Kollateralschäden der Gießkanne – Überförderung und Wettbewerbsverzerrung
Was als ursprünglich als Kompensation für Covid-Lockdowns an betroffene Unternehmen gedacht war, wuchs – über Umsatzersatz, Verlustausgleich, Ausfallsbonus, Investitionsprämie und Co. – in den vergangenen Jahren zu einem Gießkannen-Subventionsnetz an. Mit dem Ergebnis, dass Österreich EU-weit jenes Land ist, das am meisten für seine Covid-Hilfen ausgegeben hat.
Kollateralschäden in Form von mangelnder Treffsicherheit, Überförderung und Wettbewerbsverzerrungen wurden dabei in Kauf genommen, wie unter anderem der Rechnungshof feststellte. Bei manchen Maßnahmen musste nicht einmal nachgewiesen werden, dass durch Covid-Maßnahmen ein wirtschaftlicher Schaden entstanden war. Begründet wurde die mangelnde Treffsicherheit der covid-Hilfen lediglich damit, dass man „rasch handeln“ musste. Und bequem war es auch – die Anrufe erboster Hoteliers und Gastwirte hörten spätestens nach der Auszahlung des Umsatzersatzes wohl schlagartig auf.
Eine umfassende mikro- und makroökonomische Evalierung der gesetzten Maßnahmen wurde von der Regierung zwar in Aussicht gestellt, ist aber nach wie vor ausstehend. Die wiederum könnten unbequem werden.
Die Gießkanne ist nicht treffsicher
Gelernt hat man daher aus dem Management der Covid-Hilfen ganz offensichtlich zu wenig. Denn ein Blick auf die im Jahr 2022 gesetzten Maßnahmen der Bundesregierung gegen Teuerung und hohe Energiepreise zeigen, dass auch hier zur – wenig treffsicheren – Gießkanne gegriffen wird.
Ein paar Beispiele: Der Energiekostenausgleich geht an alle österreichischen Haushalte unter der ASVG-Höchstbeitragsgrundlage, der aufgestockte Klimabonus grundsätzlich an fast alle – nur die Höchsteinkommensbezieher müssen ihn versteuern. Genauso die Einmalzahlung im Rahmen der Familienbeihilfe.
Symbolbild, produziert mit Midjourney AI
Vorteil dieser breiten Cash-Transfers an alle ist, dass sie in der Bevölkerung für gute Stimmung sorgen – wer freut sich nicht über Geldgeschenke? Bei jenen Haushalten, die diese Zahlungen aufgrund ihres Haushaltseinkommens nicht wirklich brauchen, schafft man damit zumindest eine gewisse Akzeptanz nach dem Motto: Wenn man diese Transferzahlungen schon durch die eigene Steuerleistungen finanziert, dann hat man in diesem Fall wenigstens auch mal was davon.
Der gravierende Nachteil bei der ganzen Sache: diese Instrumente sind extrem teuer – und wirken in Zeiten von Angebotsengpässen zudem inflationstreibend, wie auch der IMF in seiner Kritik an den europäischen Anti-Teuerungshilfen feststellt.
Strompreisbremse – bequem für die Regierung, teuer für den Steuerzahler
Die Strompreisbremse, die wir uns 2023 bis zu 6 Mrd. Euro im Budget kosten lassen (müssen), ist ein weiteres gutes Beispiel für die Gießkanne. Denn hier werden Förderungen unabhängig von Bedarf und Bedürftigkeit ausgezahlt – und damit werden all die Fehler wiederholt, die wir schon aus der hilflosen Covid-19-Förderpolitik kennen.
Dank Strompreisbremse können alle Haushalte subventionierten Strom in Höhe bis zu 2.900 kWh/Jahr zu einem gedeckelten Preis von 10 Cent/kWh beziehen, wobei man hier weder Bedarf noch Haushaltsgröße nachweisen muss. Damit werden Zweitwohnsitze gefördert – und in Kombination mit diversen Strompreis- und Energiekostenzuschüssen der Länder kann man ab Dezember – zumindest am Papier – mit Stromverbrauch sogar Geld machen. In Niederösterreich liegt der Preis pro kWh z.B. bei -1 Cent pro Haushalt.
Energiesparen – derzeit im Sinne der Versorgungssicherheit eigentlich das Gebot der Stunde – macht somit für die meisten Haushalte zumindest aus ökonomischer Perspektive wenig Sinn. Die Regierung verteidigt die mangelnde Treffsicherheit damit, dass ein Instrument, das auf die Haushaltsgröße abzielt, technisch unmöglich und rechtlich unzulässig wäre. Ökonom:innen aber sehen das anders: Österreich verfüge mit dem Zentralen Melderegister „über eine ideale Datenbasis für diese konkrete Problemstellung“. Sie orten hingegen ein österreichisches „Kulturproblem“, nämlich mangelndes Interesse an einer modernen und effizienten Verwaltung, an ein gemeinsamen Datenmanagementsystem und entsprechender Transparenz.
Gießkanne „goes Europe“
Fairerweise muss an dieser Stelle gesagt, dass Österreich mit seiner Liebe zur Gießkanne nicht allein dasteht. Auch Deutschland setzt mit seinem bereits im Oktober angekündigten „Abwehrschirm“ in Höhe von 200 Mrd. EUR, über den die Preise für Strom und Gas für seine Unternehmen und Haushalte gedeckelt werden und der Staat die Differenz zu den Marktpreisen übernimmt, im Namen der Standortsicherung auf das Modell „Gießkanne“.
Nachdem zuletzt auch die Europäische Kommission – auf Druck der Mitgliedstaaten – Ende Oktober den EU-Beihilferahmen weiter gelockert hat, gibt es europaweit kein Halten mehr. Auch Österreich schießt jetzt nach und kündigte Ende Dezember für 2023 Energiekostenzuschüsse in Höhe „eines hohen einstelligen Milliardenbetrags“ an. Zusätzlich zu den 1,3 Mrd. EUR an Energiekostenzuschüssen im Jahr 2022.
Dabei gilt für Österreichs Strompreisbremsen und Energiekostenzuschüsse dieselbe Kritik führender deutscher Wirtschaftsforschungsinstitute, die diese auch an der deutschen „Doppelwumms“ äußerten: Hohe Energiepreise gehören zur „neuen Realität“. In dieser könne man nicht mehr wettbewerbsfähige Technologien und Strukturen nicht weiter „am Leben halten“. Statt zu subventionieren müsse es Unternehmen ermöglicht werden, die hohen Preise weiterzugeben, indem vor allem geringe private Haushaltseinkommen gestützt würden. Die Einkommensverluste könne man durch „keine Finanzpolitik dieser Welt“ auffangen. Wichtig sei, die Preissteigerungen nicht weiter anzuheizen.
Das Geld, das wir derzeit per Gießkanne mit beiden Händen aus dem Fenster werfen, wird uns in den nächsten Jahren bei Investitionen in Bildung, Forschung, Entwicklung und Energietransformation fehlen. Bereiche, die für zukünftiges Wachstum und Wohlstand unserer Volkswirtschaften von zentraler Bedeutung sind. Das Haar von Österreichs Wirtschaftsforscher:innen werden wohl auch in den nächsten Jahren nicht nachwachsen können.