Die Krisen überdecken die Kinderbetreuung
Durch die zahlreichen Krisen, mit denen sich die Politik beschäftigen muss, bleibt ein besonders wichtiger Lösungsansatz auf der Strecke: der Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung.
Pandemie, Klima, Krieg, Teuerung – die gefühlten oder medialen Katastrophen hören nicht auf. Für die Politik – oder besser, den medialen Eindruck von ihr – ist das aber besonders schlecht. Denn wer ständig Brände löschen muss, hat wenig Zeit, die Weichen für die Zukunft zu stellen.
Selbst in den friedlichsten Friedenszeiten geht der Politik die Arbeit nie aus: Wer stabile, politische Funktionsweisen will, muss sich darum kümmern, dass Gesetze aktualisiert werden, dass die Gesellschaft sich weiterentwickelt, dass Arbeitsbedingungen den Lebens-, Arbeits- und Wirtschaftsrealitäten entsprechen. Wird der (mediale) Druck erhöht, entsteht aber oft das Bedürfnis, mit Pomp und Feuerwerk irgendetwas vor den Vorhang zu holen, groß zu präsentieren, und die Bevölkerung wird schon das Gefühl haben, dass etwas passiert.
In Österreich ist das leider viel zu häufig – viele Umsetzungen haben fünf Pressekonferenzen, brauchen aber danach noch Jahre, bis etwas passiert. Auch aufgrund der vielen Zuständigkeiten, die es für diese Umsetzung braucht. Genau dadurch bleiben aber viele Probleme ungelöst. Alle schieben sich gegenseitig die Verantwortung zu, aber wenige tun etwas.
Genauso ist es bei der Kinderbetreuung. Die Familienministerin sieht die Länder in der Pflicht. Die Länder sehen die Gemeinden in der Pflicht. Und die Gemeinden? Der Gemeindebund verweist mittlerweile darauf, dass ja auch die Wirtschaft einmal einen Beitrag zur Kinderbetreuung leisten müsse. Der Punkt ist allerdings der: Soll Kinderbetreuung eine öffentliche Aufgabe sein?
Ist Kinderbetreuung immer noch Privatsache?
Früher war Kinderbetreuung ganz klar eine Privatangelegenheit. Wer Kinder hatte, musste sich um sie kümmern. Entweder übernahmen Frauen diese Aufgabe, oder sie konnte durch andere finanzielle Möglichkeiten gelöst werden. Wer viel Geld hatte, hatte Personal für die Kinder, wer wenig hatte und sich nicht leisten konnte, daheim zu bleiben, wich entweder auf die Großeltern aus oder bezahlte jemanden dafür, das Kind großzuziehen. Arbeiten, um irgendwie die Kosten für Kinderbetreuung zu decken, damit man arbeiten kann.
Symbolbild, produziert mit Midjourney AI
Ein Konzept, das heute noch teilweise noch genauso gilt. Als 2018 in Oberösterreich Nachmittagsgebühren für die Betreuung eingeführt wurden, führte das z.B. in den Kindergärten zu rund 3.500 Abmeldungen. Hauptargument waren damals aber die zusätzlichen Kosten – wer mehr zahlen musste und in ländlichen Gebieten mit eingeschränkten Öffnungszeiten längere Wege hatte, hat einfach beim Kindergarten eingespart. Auch, weil die Nachmittagsbetreuung mehr kostete, als Frauen mit mehr Arbeitsstunden verdient hätten.
In der kurzfristigen Rechnung hat die Kinderbetreuung durch Mütter Familien finanziell also „entlastet“. In der langfristigen Betrachtung hat es Frauen teilweise aus dem Arbeitsmarkt gedrängt und deren Pensionsbeitragszahlungen reduziert – also die finanzielle Abhängigkeit von ihren Partnern erhöht.
Betriebe kompensieren Stillstand in den Gemeinden
Was auch praktisch klingt, hat gerade unter den Aspekten der Teuerung und des Arbeitskräftemangels schwerwiegende Konsequenzen: Wer keine Kinderbetreuung hat, geht nicht arbeiten. Und wer nicht arbeiten geht, verschärft den Arbeitskräftemangel. Noch wichtiger für den Alltag: Wer nicht arbeiten geht, steht der Teuerungswelle noch hilfloser gegenüber. Die Frage sollte angesichts dieser Fakten also gar nicht sein, wie man mit der Inflation umgeht – sondern wie man mehr Menschen dazu bringt, mehr Geld zu verdienen. Ein Schritt in diese Richtung wäre mehr Kinderbetreuung.
Betriebe sehen diese Notwendigkeit langsam – und da es bei Gemeinden ganz offensichtlich seit Jahren zu wenig Bereitschaft gibt, noch mehr Kinderbetreuungsplätze und längere Öffnungszeiten zu schaffen, springen sie jetzt also selbst ein. Mittlerweile werden Betriebskindergärten auch bewusst eingesetzt, um für Arbeitskräfte attraktiver zu werden. Zumindest der Arbeitgeberseite ist also bewusst, dass mangelnde Kinderbetreuung für sie ein Grund für den Arbeitskräftemangel ist, wie selbst die Industriellenvereinigung bemerkt.
Gegenpart in dieser Diskussion ist allerdings der Gemeindebund. Im Familienministerium betont man stets die Zuständigkeit der Länder und Gemeinden, bei Anschubfinanzierungen zum Ausbau sei man ohnedies großzügig. Wie genau der Betrieb mit mehr Öffnungsstunden, Personalkosten und auch Personalmangel bewältigt werden solle, liege aber nicht in der Zuständigkeit des Ministeriums. Die Gemeinden, die schlussendlich die Kindergärten betreiben, feiern allerdings das Verhindern des Rechtsanspruchs – dieser würde für Gemeinden Unmengen an Problemen verursachen. Inoffiziell sieht man eben auch die Betriebe in der Verantwortung: Die Wirtschaft müsse auch einen Beitrag leisten.
Warum Kinderbetreuung die Lösung ist
Und ja, Betriebskindergärten sind auch eine Lösung. Aber es ist problematisch, wenn diese eine Diskussion über einen generellen Rechtsanspruch ersetzen. Denn ohne diese Diskussion wird sich die Teuerung auch in den Betreuungskosten niederschlagen – steigende Beitragszahlungen und Essenszuschüsse könnten aber wieder zu mehr Abmeldungen führen, besonders wenn Sozialleistungen und Zuschüsse angesichts der Teuerung weiter angehoben werden. So wichtig, richtig und unbestreitbar der Sozialstaat ist: Es darf keine Rechenbeispiele geben, in denen Kinderbetreuung daheim für Familien finanziell attraktiver ist, als Kinder in pädagogisch qualifizierten Betreuungseinrichtungen zu haben und arbeiten zu gehen.
Einerseits, weil Kinder den Kindergarten als erste Bildungseinrichtung brauchen, und andererseits wegen der Diskussion, ob oder wie Mütter arbeiten gehen. Die hat nämlich auch einige Aspekte, die langfristiger als eine Schlagzeile wirken: angesichts der Teuerung, angesichts der gesellschaftlichen Debatte über Familienbilder, wegen des Backlashs gegen den Feminismus und wegen der finanziellen Unabhängigkeit der Mütter.
Und zu guter Letzt: Diese Rechenbeispiele dürfen auch wegen des Staatshaushalts nicht geführt werden. Österreich hat eine der höchsten Sozialquoten, es gibt einen massiven Arbeitskräftemangel im Land und die Einnahmen aus mehr Arbeitsverhältnissen sind auch wirklich nötig, um den Erhalt des Sozialstaats zu gewährleisten. Dass gerade Kinderbetreuung angesichts der Krise nicht als Hauptlösungsansatz von allen Seiten propagiert wird, ist deshalb nicht nur kurzsichtig – es ist geradezu fahrlässig.