Berge, Klimawandel und Massentourismus: Gedrängel in der Höhe
Der Berg ruft – und immer mehr hören ihn.
Während der Pandemie und jetzt auch danach zieht es immer mehr Menschen in die Berge. Allerdings trifft dort stärker belastete Infrastruktur auf mehr Menschen (wie wir hier aufgezeigt haben), was bedeutet, dass die vorhandenen Angebote mehr genützt werden. Der Tourismus ist einerseits wichtige Einnahmequelle und lebt von intakter Natur, andererseits gefährden Bauprojekte und andere Eingriffe oder Störungen das Ökosystem Alpen. Wenn immer mehr Menschen die Berge als Ziel wählen, hat das auch Einfluss auf die Landschaft.
Dieses Problem des Overtourism ist nicht neu. Die Salzburger Innenstadt kann ein Lied davon singen, Hallstatt ebenso. Dort demonstrierten sogar die Einwohner:innen diesen Sommer gegen zu viele Tourist:innen. Auch Städte wie Venedig, Prag oder Barcelona leiden unter zu vielen Besucher:innen, die die Infrastruktur überlasten und die Lebensqualität der Wohnbevölkerung beeinträchtigen. Üblicherweise betrifft das aber Städte, nicht Naturräume.
Die Bergwelt ist aber fragiler als ein Ballungsraum, vor allem auch, weil der Alpenraum jetzt schon stärker von der Klimaerwärmung betroffen ist als die Täler und Ebenen Europas. Die Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) fasst die Daten so zusammen:
Der Alpenraum war vom Klimawandel bis jetzt stärker als andere Regionen betroffen. So wurde in den österreichischen Alpen ein höherer Temperaturanstieg als im globalen Vergleich gemessen. Die Jahresniederschlagsmenge wird sich in Zukunft vermutlich nur geringfügig ändern, wobei Niederschlagstrends Unterschiede zwischen dem Nord-Westen mit einer Zunahme und dem Süd-Osten mit einer Abnahme innerhalb des Alpenraums vorhersagen. Grundsätzlich wird man auch mit einer kürzeren Schneedeckendauer im gesamten Alpenraum rechnen müssen.
Eine Mischung, die den Alpenraum massiv belastet.
Stau auf den Wanderwegen
Der Ausbruch der Corona-Pandemie mit dem Lockdown hat zunächst zu großer Ruhe in den Bergen, gleichzeitig aber auch zu Sorgen in den vom Tourismus abhängigen Gemeinden geführt. Die Lockerungen der Coronabeschränkungen haben den Besucher:innendruck aufs Gebirge dann wieder steigen lassen. Urlaub im Inland war angesagt, und die Situation im Sommer und Herbst 2020 war in den Alpen geprägt von Menschenmassen, die vorwiegend mit dem eigenen Auto anreisten.
Doch die Berge sind gefährlicher geworden, nicht nur für Menschen, die sich im alpinen Gelände bewegen. Durch den Klimawandel kommt es zu einer Zunahme an Felsstürzen. Die Erwärmung und die Wetterextreme führen zu Gletscherabbrüchen wie jenem auf der Marmolata im Juli 2022, aber auch zu Gesteinsabbrüchen. Im hochalpinen Gelände über 2.500 Meter Seehöhe hält ewiges Eis die Berge zusammen. Dieser Permafrost taut und macht sie instabil: Mehr Unfälle bedeuten auch mehr Rettungseinsätze, die das Rettungsnetz auch mehr beanspruchen.
Gerade Krisen wie Corona oder die Teuerung führen zu erheblich mehr Nahurlaub, wie der deutsche Naturbund für die dortigen Alpen erhoben hat – die Situation in Österreich ist gleich. Mehr Menschen auf den Wanderwegen, mehr Anfahrten mit dem PKW, mehr Lärm und Müll, was wiederum Fauna und Flora belastet – die Probleme sind bekannt. Allerdings sind diese Faktoren im Gebirge schwerwiegender. Denn die Fläche ist kleiner, viel Platz für die Tierwelt um auszuweichen, gibt es nicht. Gleichzeitig sind der Abtransport von Müll und die Belieferung der Berghütten viel schwieriger und langfristiger. Mehr Hubschrauberflüge für Lieferungen und Bergungen oder neue Straßen zum Erschließen von Hütten bedeuten zusätzlichen Druck auf die Natur – und auch auf das Klima.
Natur unter Druck
Durch die Erwärmung der Alpen wandert auch die Waldgrenze nach oben – damit wird der Lebensraum darüber kleiner. Doch sowohl Pflanzen als auch Tiere haben sich auf das Leben im Gebirge oberhalb der Waldgrenze spezialisiert. Die Folgen hat eine Studie des WWF und der Österreichischen Bundesforste so beschrieben:
Auf nur 3 % der Fläche Europas oberhalb der Waldgrenze leben 20 % von Europas Pflanzenvielfalt. An dieser „Kältegrenze des Lebens“ wird sich der Klimawandel am stärksten zeigen. Wärmeempfindliche Arten werden in höhere Lagen ausweichen. Wenig mobile Arten oder solche ohne Auswanderungsmöglichkeit werden stark eingeschränkt oder verschwinden. Im Gegenzug werden Tiere und Pflanzen aus wärmeren Regionen nach Österreich einwandern.
Der Klimawandel wird die Klima- und Vegetationszonen in Österreich also erheblich verschieben und hat es schon getan – und damit die Artenvielfalt in Österreich in Zukunft stark verändern. Viele dieser Veränderungen sind irreversibel. Negativ betroffen sind vor allem die an kühle Lebensräume angepassten Tiere und Pflanzen der Alpen. Viele Pflanzen, Fische und Bäume werden in höher gelegene Regionen oder flussaufwärts ausweichen müssen. Zum Teil kann darauf reagiert werden. Die Bundesforste haben entsprechend bereits begonnen, andere, wärmeresistentere Bäume in allen Lagen zu pflanzen, um auch im Alpenraum weiterhin einen Schutzwald zu erhalten, der bei Felsstürzen oder Lawinen oft größere Schäden im Tal verhindern kann.
Die Frage bleibt aber: Was kann getan werden, um den Klimawandel zu bremsen und den Wanderboom nachhaltiger zu gestalten?
Lösungen für die Berge
Die Beliebtheit der Berge und des Bergsports ist auch eine Chance, allerdings muss sie genutzt werden. Die Alpinvereine aller Alpenanrainerstaaten haben Initiativen gestartet, die nachhaltigere Anfahrten in die Berge bewerben und leichter machen sollen, zum Beispiel die Plattform Bahn zum Berg, die Vorschläge für Bergtouren anbietet, die gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreicht werden können, um damit die Anzahl der Anfahrten mittels PKW zu reduzieren.
Gleichzeitig soll das Projekt Bergsteigerdörfer das Zerfransen des Bergsports auf immer mehr neu zu erschließende Flächen beschränken. Dieses Netz von Dörfern und Gemeinden quer durch den gesamten Alpenbogen bietet nachhaltige Wandermöglichkeiten durch Sammeltaxis, geführte Touren und gute Erreichbarkeit, auch mit Öffis.
Doch diese rein auf die Alpen abzielenden Bemühungen reichen nicht aus, auch die weiteren Bestrebungen im Kampf gegen den Klimawandel sind notwendig.