Blaue Fieberträume: Die neue Strategie der FPÖ
Österreich ist bedroht. Sinistre Kräfte agieren hinter den Kulissen, wollen einen „tiefen Staat“ aufbauen, in dem sie versteckt agieren und die Bevölkerung regieren können. Fast alle Parteien sind in diese finstere Kabale verstrickt, gleichzeitig auch global vernetzt, durch Bilderbergtreffen und undurchsichtige WHO-Verträge. Und das alles finanziert von George Soros. Dieser steckt auch gleich hinter dem Great Reset, mit dem diese Globalisten die alteingesessene Bevölkerung des Westens durch Migranten ersetzen wollen, um noch leichter herrschen zu können.
So oder so ähnlich geht die Geschichte.
Die Geschichte, die die FPÖ, aktuell stimmenstärkste Kraft in den Umfragen, erzählt. Dass diese zusammengezimmert ist und auf global verbreiteten Verschwörungstheorien basiert, scheint kein Problem für die FPÖ zu sein. Der Schaden ist allerdings enorm, vergiftet die Partei doch damit das politische System und die Gesellschaft.
Verschwörungstheorien statt politischer Debatte
Es ist eine Sache in der Politik, Gegner:innen auszumachen. Das ist altes politisches Handwerk. Eine Gruppe steht gegen die Interessen jener ein, die eine Partei ansprechen will. Es ist leicht verständlich und emotional bewegend. Was allerdings vor allem seit der Corona-Pandemie bei der FPÖ zu bemerken ist, ist das Einweben großer Verschwörungstheorien. Die anderen Parteien, die Regierung, die Wissenschaft, Medien und Wirtschaft sind nicht mehr nur Konkurrenz um die beste Idee – sie haben sich zusammengetan, um die Menschheit zu unterwandern, und nur die FPÖ spricht diese angebliche Entwicklung aus. Aus der normalen politischen Debatte wird ein Kampf um die Wahrheit. Passend dazu bezeichnet die FPÖ die anderen Parteien auch als „Systemparteien“ und nicht genehme Medien als „Systempresse“. Diese Begriffe wurden bereits von den Nazis verwendet, doch für die Strategie der FPÖ sind sie so praktisch, weil sie alle Andeutungen knapp verständlich mit transportieren.
In der Corona-Pandemie stellte sich die FPÖ klar auf die Seite der Maßnahmen-Kritiker:innen: Sie relativierte nicht nur die Bedrohung durch das Virus, sondern framte die Einschränkungen im Alltag, um die Ausbreitung zu stoppen, als Putsch, mit dem die Rechte der Bevölkerung beschnitten werden sollten. Statt einer inhaltlichen Debatte über die Ausgestaltung der Lockdowns und anderer Maßnahmen wurde vonseiten der Freiheitlichen der Fiebertraum einer autoritären Übernahme durch die Bundesregierung herbeifantasiert.
Jetzt nehmen sie uns auch noch das Bargeld weg!!!
Mit dem Abebben der Corona-Pandemie wurde die Weite der bedrohlichen Erzählung der Blauen nicht weniger. Immer neue Gefahren wurden aufgezählt und in die große Erzählung eingeflochten.
Ein gutes Beispiel dafür ist die Debatte über ein angebliches Bargeldverbot. Aus der Idee der EU-Kommission, im Kampf gegen Geldwäsche eine (hohe) Obergrenze für Barzahlungen zu machen, flocht die FPÖ Pläne über ein generelles Verbot des Bargelds. Das ist nicht neu – bereits 2015 findet man eine erste Aussendung der Partei über angebliche Pläne dazu. Doch nach Corona und der viel weiteren Verbreitung von Verschwörungstheorien ist es jetzt auf viel fruchtbareren Boden gefallen.
Im Frühling und Sommer dieses Jahres spielten die Blauen das Thema massiv. Sie machen das nicht in einem Vakuum, die Warnung vor dem Verbot des Bargelds wird auf rechten Verschwörungstheorie-Plattformen im Westen massiv verbreitet. Ein Alleinstellungsmerkmal für Österreich ist, dass mit der FPÖ eine große Partei diese Erzählung übernommen hat und ihr damit mehr Einfluss und Bekanntheit gibt. Die negativen Folgen davon waren auch ersichtlich: Mitten im politischen Sommerloch sprang die ÖVP mit Kanzler Karl Nehammer auf die Forderung der FPÖ auf und sprach sich plötzlich für ein Recht auf Bargeld in der Verfassung aus. Der ÖVP hat das freilich nicht aus dem Umfragetief geholfen, dafür die Warnungen der FPÖ und ihre Aura der Kämpferin gegen die Verschwörungen von oben gestärkt.
Eskalationsspirale der Verschwörungen
Deshalb ist auch nicht davon auszugehen, dass die FPÖ von den großen Verschwörungswarnungen Abstand nehmen wird. Zu gut funktioniert ihre aktuelle Strategie. Als alleinige Kämpferin gegen die Bedrohung der Menschen ist man gleichzeitig Opfer und Heldin in den Augen der eigenen Wähler:innen. In dieser David-gegen-Goliath-Erzählung verschlägt es die Zuseher:innen dann emotional schnell auf die Seite von David – egal ob es Goliath gibt oder nicht. Gleichzeitig ist die Debatte über das Thema auch immer positiv für die FPÖ, denn Wähler:innen zu überzeugen, dass ein Gerücht erfunden wurde, kostet viel Zeit und Ressourcen. Und man spricht trotzdem nur über das Thema, das der Gerüchtekoch einem auftischen wollte.
Dazu kommt noch, wie wir in der Materie über Verschwörungstheorien aufgearbeitet haben, dass solche Theorien nach außen hin recht dicht sind. Wenn Medien oder andere Parteien versuchen, das Lügengebäude zu kritisieren, werden sie als Teil der Verschwörung wahrgenommen, als „Teil des Systems“. Womit wir wieder bei der Strategie hinter den Bezeichnungen wie „Systemmedien“ sind.
Die große Gefahr ist, dass Verschwörungstheorien dazu neigen, immer mehr zu wachsen. Was zuerst „nur“ der Glaube ist, dass es die Mondlandung vielleicht gar nicht gab, oder dass Marilyn Monroe ermordet wurde, führt zu Überlegungen, wer dahintersteckt. Aus einer Regierung oder einem Geheimdienst wird dann ein globales Bündnis im Schatten, etwa die Freimaurer oder die Bilderberger. Und plötzlich führt alles – das Ende des Bargelds, die Corona-Maßnahmen, Chemtrails – zu dieser finsteren Kabale im Hintergrund, von der FPÖ gerne „Globalisten“ genannt. Ein Begriff, der oberflächlich schwammig genug ist, um nicht weiter aufzufallen. Doch in rechten Verschwörungskreisen ist das eine Chiffre für finanzkräftige Hinterleute und klar antisemitisch kodiert.
Die Folgen für die Politik
Dass Verschwörungstheorien oder Anspielungen an sie in der Politik Einzug gehalten haben, ist eine Gefahr. Denn auch andere Parteien können, wenn unter Druck, ihre moralischen Prinzipen über Bord werfen und offen mit ihnen werben.
Das Beispiel der ÖVP-Forderung nach einer Bargeld-Absicherung wurde schon genannt. Doch der gefallene ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz griff auch auf Verschwörungserzählungen zurück, als die Ermittlungen gegen ihn Fahrt aufnahmen. Im Sommer 2021 fabulierte er von „roten Netzwerken“ in der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft, die die Ermittlungen und Hausdurchsuchungen nur vorantreiben würden, um ihm und der ÖVP zu schaden. Die Idee dahinter ist klar: Er sei das Opfer, das gegen sinistre Kräfte im Verborgenen kämpfen muss.
Den Schaden hat die Gesellschaft als Ganzes. Denn die Verschwörungstheorien zerren an einem generellen Verständnis, was wahr und was falsch ist. Es gibt keinen gemeinsamen Referenzrahmen mehr, auf den sich alle einigen können. Diese Entwicklung ist durch Corona massiv beschleunigt worden, die aktuelle Positionierung der FPÖ verstärkt sie noch weiter. Und von sich aus wird die FPÖ kaum damit aufhören.