Bringt die Zinswende das Reformstau-Ende?
Die Zinsen sind deutlich gestiegen. Das belastet angesichts hoher Schulden auch das Budget. Es wäre politisch hoch an der Zeit, das offen anzusprechen und die richtigen Schlüsse zu ziehen.
Der Wind hat sich gedreht. In den vergangenen Jahren gab es einen Trend, der allen Finanzministern – und einer Finanzministerin – das Leben in Österreich leichter gemacht hat: immer niedrigere Zinsen. Dass die Zinskosten trotz immer höherer Staatsschulden stetig kleiner geworden sind, hat den Spielraum für jeden Finanzminister seit 2009 erhöht. Mithilfe der sinkenden Zinskosten wurden Reformen auf die lange Bank geschoben und Ausgaben nach dem Gießkannenprinzip ermöglicht.
Damit ist nun Schluss, denn die Zinswende ist da. Das zeigt schon ein Blick in das Budget 2023: Die Kosten für die Staatsschulden werden dort mit 8,7 Milliarden Euro angegeben, rund 4,2 Milliarden Euro mehr als 2021.
Einerseits sind das massiv steigende Kosten. Andererseits könnte es auch noch wesentlich schlimmer kommen. Denn zum einen erwartet die Bundesregierung offenbar, dass die Zinswende sich nicht weiter verschärft. Und zum anderen bezahlt Österreich die Zinsen längst für wesentlich höhere Staatsschulden.
In der Pandemie hieß es nicht nur „Koste es, was es wolle“, die vielen Lockdowns und Hilfen kosteten im internationalen Vergleich wirklich viel Steuergeld. Wenn nun die Zinsen vielleicht doch schneller und höher steigen als erwartet, dann werden die Kosten für die Budgets deutlich steigen.
Zeitenwende für Europas Staatsschulden
Nun verteilen sich die hohen Zinskosten zwar effektiv über die lange Laufzeit der österreichischen Staatsanleihen. Doch wie man es auch dreht und wendet: Für die Republik bedeuten die steigenden Zinsen auch eine höhere budgetäre Belastung. Das gilt auch für alle übrigen europäischen Länder. Aktuelle Schätzungen der EU-Kommission zeigen, dass die Zinskosten 2024 bereits um 108 Milliarden Euro höher sein werden als 2020. In Relation zur europäischen Wirtschaftsleistung bleiben die Zinskosten zwar noch niedrig, aber es gibt nicht länger Rückenwind für die Budgetkonsolidierung durch sinkende Zinskosten.
Dass die Zinswende damit auch eine europäische Zeitenwende darstellt, kommt in der öffentlichen Debatte viel zu selten an. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Zinswende eine unbequeme Wahrheit wieder in Erinnerung ruft: Staatsschulden haben einen Preis. Das Geld ist, anders als oft suggeriert wurde, nicht abgeschafft. Die geradezu paradoxe Situation der vergangenen Jahre – Staaten verschulden sich immer stärker und zahlen immer weniger Zinsen – war die Ausnahme und nicht die Regel. Die Phase sehr hoher Inflationsraten und die Zinswende bei den großen Zentralbanken werden auch die Staatsanleihenzinsen auf längere Sicht erhöhen.
Wie lässt sich dieser Effekt abschätzen? Ein einfacher Blick auf die langfristigen Zinsen genügt: Wie sich die 10-, 20- oder gar 30-jährigen Anleihen und ihre Zinsen entwickelt haben, spiegelt die neue Normalität an den Finanzmärkten wider. Die Zinsen werden demnach länger höher bleiben.
Daraus ergibt sich auch eine neue Priorität für die Wirtschaftspolitik: Sorgsamer Umgang mit Steuergeld ist wieder gefragt. Ausgaben sollten wieder wesentlich stärker darauf abgeklopft werden, ob sie die Produktivität und das langfristige Wachstumspotenzial erhöhen, und nicht einfach kurzfristige Subventionen mit der Gießkanne darstellen, die im besten Fall relativ ziellos verpuffen und im schlimmsten Fall die Inflation noch weiter befeuern. Die Zinswende sollte daher auch das Reformstau-Ende einläuten, so viel Einigkeit ist bei den versammelten Expert:innen des Budgethearings im November sichtbar gewesen.
Steigende Zinsen bedeuten jedenfalls, dass wir in den kommenden Budgets wieder Spielräume mit Reformen schaffen müssen. Etwa mit sichtbaren Erfolgen, dass Menschen in Österreich länger in Beschäftigung bleiben und später in Pension gehen. Dass weniger, aber treffsichere Unterstützungen ausreichen, um die Kosten der Energiekrise abzumildern. Der Wind an den Anleihenmärkten hat sich gedreht. Nun muss er sich auch noch im Finanzministerium drehen.