Das ewige Zaudern Österreichs in der EU
66,6 Prozent der Österreicher:innen stimmten 1994 für den Beitritt zur EU. Das Eigenverständnis als neutrale Nation hat seither immer wieder für Reibungen mit Ideen einer tiefergehenden Union gesorgt. Bis heute. Im aktuellsten Eurobarometer, einer zweimal im Jahr herausgegebenen Umfrage über eine Reihe inhaltlicher Fragen, bildet Österreich bei entscheidenden Fragen über die Zukunft der EU immer ein Schlusslicht. Nach fast drei Jahrzehnten konstanter janusköpfiger Politik in Österreich – in Brüssel mitstimmen, in Wien die EU kritisieren – ist eine Skepsis gegenüber der EU kultiviert worden, bei der der Boulevard gerne mitaufspringt. Zum Schaden aller. Ein Überblick.
Das aktuellste Eurobarometer wurde im Sommer 2022 erhoben und kam im Herbst 2022 heraus. Die allgemeinste Frage – Wie zufrieden sind Sie mit der Demokratie in der EU? – hat eine positive relative Mehrheit. 49 Prozent in Österreich haben einen positiven Eindruck, 48 Prozent allerdings einen negativen. Bemerkenswert ist das auch ob des Zeitpunkts für die Befragung. Im Sommer 2022 hatte die EU bereits eine Reihe von Sanktionspaketen gegen Russland – überraschend – schnell auf den Weg gebracht, genauso wie erste Schritte für eine Exit-Strategie aus russischen Öl- und Gaslieferungen gesetzt.
Trotzdem fällt Österreich mit einem enorm skeptischen Abschneiden bei den meisten zentralen Fragen auf. Zwei Beispiele sollen hier tiefer analysiert werden:
Die Antwort auf die Frage, ob man für oder gegen eine Erweiterung der EU um neue Mitglieder ist, fällt besonders krass aus. Mit nur 33 Prozent der Menschen in Österreich, die das befürworten, rangieren wir auf dem letzten Platz der 27 EU-Mitgliedstaaten. Als einziges Mitgliedsland ist in Österreich sogar eine absolute Mehrheit – 56 Prozent – gegen eine weitere Erweiterung. Und das zu einem Zeitpunkt, als der Beitritt der Ukraine bereits diskutiert wurde. Nur der vorletzte Platz, Frankreich, hat auch eine relative Mehrheit gegen eine weitere Erweiterung.
Diese Ablehnung ist überraschend, da der Wohlstand Österreichs heute auch auf die vergangenen Erweiterungen im neuen Jahrtausend zurückzuführen ist. Eine dreijährige Studie der Akademie der Wissenschaften kam zum Ergebnis, dass Österreich überdurchschnittlich von der Erweiterung profitiert hat. Ein Land am Rande der Union war plötzlich in der Mitte des Wirtschaftsraums, Arbeitskräfte besonders im Sozialbereich, in der Gastronomie und in der Landwirtschaft füllten nun Lücken, die mit heimischen Ressourcen nicht zu füllen waren. Und österreichische Betriebe haben massiv in Osteuropa investiert, die Gewinne flossen – teilweise – zurück in die Mütterbetriebe in Österreich.
Ebenso verwunderlich ist diese Ablehnung, weil die aktuell anvisierten nächsten Erweiterungskandidaten mit den Westbalkanländern quasi alle zum traditionellen Interessengebiet Österreichs gehören – da muss man nicht einmal Habsburg-Nostalgiker:in sein.
Neutralität und Gemeinsame Sicherheitspolitik: Der ewige Konfliktherd
Ein weiteres Schlaglicht auf die EU-Skepsis in Österreich wirft die Frage nach der Unterstützung für eine gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Auch da fällt auf, dass Österreich am unteren Ende rangiert, auch wenn eine absolute Mehrheit dafür vorhanden ist. Im Unterschied zur Erweiterungsfrage, bei der Österreich über die Jahre skeptischer wurde, war dieser Bereich immer schon ein Konfliktherd, weil es immer die offene Frage der Kompatibilität mit der heimischen Neutralität gibt.
Von isolationistischen Kräften wird gern die Möglichkeit der „aktiven Außenpolitik“ Österreichs wie unter Bruno Kreisky als Gegenstrategie heraufbeschworen. Dass Österreich als neutrales Land zwischen den westlichen und östlichen Blöcken des Kalten Kriegs eine andere Ausgangssituation hatte, wird dabei aber verschwiegen. Gerade der Krieg Russlands gegen die Ukraine und die Reaktion des Westens sollte zeigen, dass falsch verstandenes Zögern unter dem Deckmantel der Neutralität Aggressoren eher hilft, als zu einer Deeskalation beizutragen – dafür ist Österreich zu klein. Mit der vereinten Wirtschaftsmacht der 27 EU-Staaten sind im Spiel der Weltmächte unsere Interessen eher zu wahren als mit verstaubten Neutralitätsnostalgien. Es wäre dringend an der Zeit, diese Positionen breit in der Gesellschaft zu diskutieren.
Wien und Brüssel
In einem anderen Beitrag zu dieser Materie wurde bereits über die Skepsis über ein gemeinsames Asylsystem geschrieben, und darüber, wie die rechtspopulistische schwarz-grüne Bundesregierung diese Skepsis für die eigenen Ziele ausnützt. Es scheint, als ob die janusköpfige Strategie der letzten Jahre das Meinungsklima in Österreich nachhaltig vergiftet hat. Es braucht endlich eine ehrlichere Debatte über die Chancen und Probleme innerhalb der EU, keinen verkürzenden Populismus.