Datenblindflug: Der zähe Kampf um Registerdaten für die Forschung
Staaten verfügen über jede Menge Daten ihrer Bürgerinnen und Bürger. Viele Informationen liegen in digitaler Form verstreut in den unterschiedlichen Verzeichnissen, Datenbanken oder ähnlichen Anwendungen oder Verarbeitungsplattformen der Republik. Die Verknüpfung dieser Registerdaten spielt eine wichtige Rolle in der wissenschaftlichen Forschung und der evidenzbasierten Politikgestaltung. Sie ermöglicht es Forscher:innen, tiefgreifende Analysen durchzuführen, um Erkenntnisse über gesellschaftliche und ökonomische Entwicklungen zu gewinnen.
Gerade in Zeiten von Krisen und großen politischen Herausforderungen wäre das entscheidend – denn gerade jetzt sind evidenzbasierte Politik und ein verantwortungsvoller Umgang mit Steuergeld noch wichtiger als ohnehin schon. Der Staat sollte seine Möglichkeiten also endlich nutzen.
Wozu es Registerforschung braucht
Verknüpfte Registerdaten erlauben es, Muster und Zusammenhänge zwischen verschiedenen Faktoren zu identifizieren. Inwiefern tragen staatliche Förderungen dazu bei, die internationale Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen zu erhöhen? Welche Umweltfaktoren können das vermehrte Auftreten von bestimmten Krebsarten auf regionaler Ebene erklären, und wie lässt sich dem entgegenwirken? Welche Maßnahmen zur Beschäftigungsförderung eignen sich am besten, um Arbeitssuchende dauerhaft in das Arbeitsleben zu integrieren? Viele solche Fragen stellen sich für die politischen Entscheidungsträger:innen in Österreich, die mangels aufgearbeiteter Daten weiterhin im Dunkeln tappen.
Durch die Verknüpfung anonymisierter öffentlicher Daten kann die Wissenschaft also die Effektivität von politischen Maßnahmen genauer bewerten – und damit den Grundstein für faktenbasierte Diskussionen über notwendige politische Weichenstellungen legen. Sie sind also entscheidend, um die Wirksamkeit von Maßnahmen zu erkennen und gezielte Maßnahmen zur Verbesserung zu entwickeln.
Status quo: Neues Datencenter, alte Blockadepolitik
Aktuell gestaltet sich der Zugang zu verbundenen Registerdaten in Österreich aber eher schwierig. Das Austrian Micro Data Center wurde 2022 ins Leben gerufen und ermöglicht ausgewiesenen Forschungseinrichtungen den Zugang zu Mikrodaten. Das war ein bedeutender Fortschritt, da es den Forscher:innen erlaubt, auf individueller Ebene auf wertvolle Daten zuzugreifen.
Allerdings gibt es immer noch erhebliche Einschränkungen im Bereich Registerdaten. Obwohl ein Gesetz den Zugang zu diesen Daten für Forschungszwecke ermöglicht, haben bisher nur wenige Ministerien von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Bisher hat nur das Bildungsministerium umfassend Registerdaten für die Forschung freigegeben. Andere Ministerien hingegen zögern, Daten bereitzustellen, bzw. verknüpfen nur einzelne Register.
Symbolbild, produziert mit Adobe Firefly AI
Gerade in der Gesundheitspolitik scheint es großen Widerstand gegen mehr wissenschaftliche Evidenz zu geben – obwohl man gerade da davon profitieren könnte. Bundesminister Rauch wollte in Gesetzesinitiativen (z.B. zum Eltern-Kind-Pass oder Änderung des Gesundheitstelematik- und das Epidemiegesetzes) die Forschung sogar explizit ausschließen. Nach kritischen Stellungnahmen aus der Forschung ruderte der Bundesminister wieder zurück.
Ministerien prüfen Potenzial für Registerforschung
Der Status quo ist also wenig beeindruckend: Ein Jahr nach Veröffentlichung der ersten Verordnung durch Bundesminister Polaschek Ende Oktober 2022 sind noch immer keine wesentlichen Fortschritte erzielt worden.
Aber: Eine Serie von parlamentarischen Anfragen hat gezeigt, dass langsam, aber doch hinter den Kulissen an weiteren Verknüpfungen gearbeitet wird. Bundesministerin Gewessler erklärt darin etwa, im vierten Quartal 2023 einen Verordnungsentwurf vorlegen zu wollen, damit die Einbringung der Register im ersten Quartal 2024 erfolgen könne. Finanz-, Gesundheits-, Justiz- und Landwirtschaftsministerium prüfen nach eigenen Angaben weitere Schritte.
Forschung fordert mehr Ambition
Die heimische Forscher:innen-Szene – allen voran die Mitglieder der Plattform Registerforschung – ruft die Politik immer wieder zu mehr Engagement auf. Klare Worte kamen auch wiederholt vom Chef der Statistik Austria, Tobias Thomas: „Mehr Daten heißt nicht mehr Information“, hielt Thomas fest und wies auf die Notwendigkeit hin, die Daten entsprechend aufzubereiten und zu verknüpfen, damit diese als Entscheidungsgrundlage nutzbar werden.
Überhaupt fehlt es Österreich an einer Strategie, wie der Staat mit den eigenen Daten umgehen soll. Auch das kritisiert der Statistik-Austria-Chef. Während andere Länder schon längst über einen solchen Plan verfügen, wurde in Österreich erst Anfang Juni 2023 der zuständige Staatssekretär Tursky damit beauftragt. Da verwundert es auch wenig, dass die Umsetzungsfrist des EU Data Governance Acts im September 2023 von der Bundesregierung verschlafen wurde.
Vage Hoffnung auf ein digitales Österreich
Aktuell fehlt somit nicht nur eine übergeordnete Strategie, wie die Verwaltung in Österreich mit den eigenen Daten umgehen will. In Österreich mangelt es konkret an einem umfassenden Registerdatenverbund – also einer Sammlung von anonymisierten Daten, mit denen die Forschung arbeiten kann. Das behindert die wissenschaftliche Forschung und erschwert eine evidenzbasierte Politikgestaltung erheblich.
Das Grundproblem liegt wohl im Selbstverständnis der heimischen Verwaltung, den eigenen Datenschatz nur für sich haben zu wollen. Ein veraltetes Silo-Denken mit vielen Nachteilen für die Bürger:innen, für die Forschung und letztlich sogar für die Minister:innen selbst. Andererseits kann es für Regierungsmitglieder auch angenehmer sein, auf Datenevidenz zu verzichten, die für ungewollten Widerspruch sorgen könnten: Wer sich etwa mit dem österreichischen Potenzial im KI-Bereich beschäftigt, muss wohl das Urteil aushalten, dass es da bis jetzt keine Fortschritte gibt.
Diese Lücken im österreichischen Datensystem müssen dringend geschlossen werden – im Sinne einer evidenzbasierten, unaufgeregten und sachlichen Politik, im Sinne eines funktionierenden und krisenfesten, moderneren Staates und letztlich auch im Sinne einer effizienten Verwendung von Steuergeld.