KI: Österreich vergisst auf die Zukunft
Die österreichische Politik verschläft seit Jahren ihre Chance, First Mover im Bereich künstliche Intelligenz (KI) zu werden. Künstliche Intelligenz und die damit verbundenen Technologien sind für die langfristige Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Österreich von entscheidender Bedeutung. Obwohl gute Rahmenbedingungen dafür sprechen, fehlt es an politischem Willen und Engagement.
Vor etwa 20 Jahren wäre unsere Realität ein Hollywood-Blockbuster gewesen: intelligente Häuser, virtuelle Assistenten und Chatbots, automatische Übersetzungen, Sprach- und Gesichtserkennungssysteme, selbstfahrende Autos und Roboter, die in der Industrie, der Logistik oder bei Computerspielen eingesetzt werden. Die Welt der künstlichen Intelligenz (KI) ist voller faszinierender Möglichkeiten und Potenziale.
Heute ist diese intelligente Technologie kein Zukunftstraum mehr, sondern ein wichtiger Faktor im Hier und Jetzt. Während andere Länder bereits voller Begeisterung in die Zukunft investieren, scheint Österreich ein bisschen hinterherzuhinken und Innovationen auszubremsen. Dabei wären die Voraussetzungen eigentlich gut.
Österreich vertritt mit den drei ELLIS-Einheiten (European Laboratory for Learning and Intelligent Systems) das europäische KI-Netzwerk von 39 europäischen Standorten, das sich auf Grundlagenforschung, technische Innovation und deren Auswirkungen auf die Gesellschaft konzentriert. Das Ziel von ELLIS ist es, durch den Aufbau von KI-Forschungsinstituten in ganz Europa nicht von China und den USA abgehängt zu werden. Mit den drei ELLIS-Hotspots an der JKU Linz, der TU Graz und im ISTA (Institute of Science and Technology Austria, Klosterneuburg) hat Österreich eigentlich ideale Rahmenbedingungen.
Keine Fördermittel für KI
Viele europäische Staaten haben sich schon längst auf die digitale Reise in die Zukunft gemacht und das große KI-Potenzial erkannt – Österreich scheint sich aber noch dagegen zu wehren. Mitte März gaben das Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung und der Wissenschaftsfonds FWF die Gewinnerprojekte der „Clusters of Excellence“-Initiative bekannt: Für fünf Projekte werden Fördermittel in Höhe von 9 bis 21 Millionen Euro vergeben, insgesamt sollen 135 Millionen in den ersten fünf Jahren in das Forschungsvorhaben fließen.
So weit, so gut. Trotzdem wurde kein einziges Projekt mit KI-Schwerpunkt für den Exzellenz-Cluster ausgewählt – obwohl die JKU Linz, das AI Lab und die ELLIS Society teilgenommen haben. Förderungen in Millionenhöhe wurden für die fünf Themenfelder Quantenforschung, Materialien für die Energiewende, Mikrobiomforschung, den Umgang mit der „Krise des Wissens“ und einen neuen Blick auf die Geschichte Eurasiens vergeben. Trotz des vielversprechenden Potenzials des KI-Vorhabens von KI-Forscher Günter Klambauer von der JKU Linz wurde sein Antrag vom FWF und dem Wissenschaftsministerium abgelehnt.
Im Fall des FWF liegt dieser Mangel an geförderten KI-Projekten an einer Idee, die eigentlich sinnvoll ist: Geförderte Projekte werden in einem internationalen Peer-Review-Prozess ausgewählt, und die Konkurrenz ist quer durch alle Bereiche groß. Der Vorteil daran ist, dass diese Projekte nicht politisch ausgesucht werden, der Nachteil, dass mit den vorhandenen Mitteln nicht alle exzellenten Projekte auch wirklich gefördert werden. Denn eigentlich gäbe es eine große Menge an KI-Projekten mit großem Potenzial, wie man auch beim FWF betont.
Die politische Frage dahinter ist: Warum gibt es nicht längst eine eigene Förderung für KI-Projekte? Oder warum wird alternativ nicht das Budget für Grundlagenforschung erhöht, damit mehr Projekte in den Exzellenz-Cluster aufgenommen werden? Diese Frage bleibt weiterhin ein undurchsichtiges Rätsel.
Der weltweit anerkannte KI-Forscher Sepp Hochreiter von der JKU Linz zeigt sich ebenso frustriert über die Unterfinanzierung der KI-Forschung in Österreich, die sogar dazu führt, dass von ihm entwickeltes Sprachmodell „Austro ChatGPT“ nicht weiter trainiert werden kann. Österreich riskiert, wertvolle Zukunftschancen zu verschenken: Hochreiter steht nun vor der Herausforderung, die Finanzierung der KI-Forschung weiter voranzutreiben, und zieht in Erwägung, mit Unternehmen wie Amazon oder Facebook zusammenzuarbeiten.
Symbolbild, produziert mit Midjourney AI
Andere Länder finanzieren fleißig
Die niederländische Regierung hat allein für die Einrichtung eines nationalen Bildungslabors 80 Millionen Euro bereitgestellt, um mehr Kooperation zwischen Wissenschaftler:innen, Schulen und Unternehmen im KI-Bereich zu fördern. Außerdem hat die Regierung das Förderprogramm AiNed für 2021–2027 aufgelegt und stellt für die erste Phase 204,5 Millionen Euro für KI-Projekte zur Verfügung: Über den gesamten Zeitraum soll über eine Milliarde Euro an Fördergeldern in KI-Projekte fließen.
Und auch in Schweden haben umfangreiche öffentliche Investitionen in die KI-Forschung und der Ausbau von Bildungsangeboten dazu große Priorität: eine halbe Milliarde Euro hat Schweden in ein KI-Förderprogramm mit 50 Professuren, 400 Doktorand:innen sowie 60 Forschungsgruppen investiert. In Österreich dagegen gibt es vereinzelte Projekte und einige Mini-Förderprogramme, in denen KI zeitweise auftaucht.
Deutschland stellt bis 2025 für die Umsetzung der KI-Strategie insgesamt 5 Milliarden Euro bereit. Um die Forschung nach vorne zu bringen und einen Beitrag bei der KI-Nachwuchsausbildung zu leisten, werden seit Juli 2022 fünf deutsche KI-Kompetenzzentren an den Hochschulen dauerhaft und institutionell vom Bund mit 50 Millionen Euro jährlich gefördert.
Wie eine Analyse der US-Denkfabrik Brookings zeigt, rangiert Österreich hingegen im Bereich KI-Grundlagenforschung auf dem Niveau von Uganda und Mexiko und ist weit abgeschlagen hinter anderen europäischen Ländern wie Deutschland, Frankreich, Schweden, den Niederlanden oder Italien.
Unser Bundeskanzler setzt falsche Prioritäten und bevorzugt alte Technologien gegenüber neuen: Erfreut pocht er darauf, dass der Verbrennungsmotor eine große Zukunft vor sich habe. Obwohl der Wissenschaftsfonds FWF 2022 mehr Projekte der Grundlagenforschung als im Vorjahr gefördert hat, wird die Forderung nach mehr Mitteln für die Grundlagenforschung immer lauter.
An Förderungen mangelt es nicht
Österreichische Politiker:innen sind gerade in Krisenzeiten stolz auf den Geldregen. Klingt großartig, und die Förderpolitik an sich ist eigentlich keine schlechte Sache – doch jede staatliche Hilfsleistung hat ihren Preis. Eine aktuelle Studie des österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung bewertet, dass die Höhe der klimaschädlichen Subventionen in Österreich 4,1 bis 5,7 Milliarden Euro beträgt. Damit wird Verhalten gefördert, das direkt zu mehr CO2-Ausstoß führt – behalten wir diese Summe im Kopf.
In den Corona-Jahren 2020 und 2021 gab der Bund für Corona-Maßnahmen mehr als 25 Milliarden Euro für direkte Förderungen aus. Betrachtet man das in Relation zum Bruttoinlandsprodukt (BIP), ist die heimische Förderpolitik im EU-Vergleich sehr großzügig: Österreich ist im Jahr 2021 auf Platz 4! (Agenda Austria) Nur Griechenland, Malta und Frankreich sind unter den Top 3.
Für den Energiekostenzuschuss I (1,3 Milliarden Euro), mit dem die hohen Energiepreise aus dem Jahr 2022 für Unternehmen abgefedert werden sollten, hat die Bundesregierung das Doppelte des Jahresbudgets 2023 für Innovation und Wissenschaft (UG34) im Budget veranschlagt. Allerdings muss man dem Umstand Rechnung tragen, dass während beider Krisen nicht alle Unternehmen im gleichen Umfang üppige Transfersummen brauchten. Es ist empörend, dass auf Forschung und Entwicklung lediglich ein Bruchteil des gesamten Fördervolumens entfällt.
Die Ministerien pumpen lieber Unsummen in Eigenwerbung als in die KI-Forschung oder die Finanzierung von KI-Startups. Dabei bräuchten vor allem kleine und mittlere Unternehmen mehr konkrete, zielgerichtete Unterstützung beim Einsatz der KI im Geschäftsalltag. Eine großangelegte Fraunhofer-Studie mit 455 Unternehmen aus ganz Österreich zeigt, dass ein Großteil der befragten Unternehmen fehlendes Know-how bei den Mitarbeitenden und hohe Anschaffungskosten als größte Herausforderungen für den Einsatz von KI in ihren Unternehmen sieht. Nur bei 9 Prozent der befragten Unternehmen sind solche bereits operativ im Einsatz. Laut Ansicht von Expert:innen wäre das Potenzial aber enorm – und die Einsatzmöglichkeiten so vielfältig, dass die Chance nicht ignoriert werden darf. KI darf also nicht nach hinten priorisiert werden, will man nachhaltig wettbewerbsfähig bleiben. Österreichs Politik verspielt eine Chance.
Fehlender Mut bei Innovation und KI
KI ist ein mächtiges digitales Werkzeug, das über Branchen- und kulturelle Grenzen hinweg eingesetzt werden kann, um traditionelle Methoden nachhaltiger und effektiver zu gestalten. Aus vielen Branchen ist KI nicht mehr wegzudenken: In der Automobilproduktion wird monotone und teilweise gefährliche Arbeit automatisiert, in der Medizin können KI-basierte Werkzeuge Krankheiten diagnostizieren und im Frühstadium erkennen, auch im Bildungsbereich sind KI-Tools ein Gamechanger für die didaktische Planung.
Trotz relativ geringer Finanzierung in der Vergangenheit entwickelt sich die KI-Technologie in einem rasanten Tempo, und in den kommenden Jahrzehnten wird sie immer leistungsfähiger. Wie Our World in Data zeigt, können sich die Investitionen auszahlen: Die jährliche Anzahl wissenschaftlicher Veröffentlichungen zu künstlicher Intelligenz weltweit hat sich seit 2010 verdoppelt, die jährliche Teilnahme an wichtigen Konferenzen zu KI hat sich seit 2010 verzehnfacht.
Die wahre Kraft der KI liegt jedoch in der innovativen Zusammenarbeit mit Forschung und Hochschulen, Industrie, Unternehmen, Startups & Scale-ups. Um ein vertrauenswürdiges KI-Ökosystem zu schaffen, sind zweifellos mehr finanzielle Mittel erforderlich, um die entsprechende technische Infrastruktur auszubauen, Awareness für intelligente Systeme im relevanten Umfeld zu schaffen, digitale Kompetenzen zu verbessern, die Spitzenforschung voranzutreiben und damit sicherzustellen, dass der Rechtsrahmen Innovationen und Fortschritt ermöglicht.
Ansonsten droht ein Verlust von Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft. Es besteht die Gefahr, dass kluge Köpfe ins Ausland abwandern – was angesichts der Personalnot für unseren Innovationsstandort noch fataler wäre.