Der Antifeminismus der Gen Z
Geht der Feminismus mit den Generationen Y und Z zugrunde? Mehr als die Hälfte der jungen Menschen ist der Meinung, Frauenrechte gehen mittlerweile so weit, dass Männer diskriminiert werden.
Als Millennial muss ich es mir immer wieder vor Augen führen: Meinen Großmüttern war es nicht erlaubt, ohne Einverständnis ihrer Ehemänner zu arbeiten. Sie hatten kein Anrecht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Beide hatten bei ihren ersten Schwangerschaften kein Anrecht auf Mutterschutz und Karenz. Für eine Abtreibung wären sie bestraft worden, die Fristenlösung kam erst 1975. Gegen Vergewaltigung in der Ehe gab es keine Handhabe, diese wurde erst 1989 strafbar.
Nur zwei Generationen liegen zwischen den eingeschränkten Rechten meiner Omas und meiner vermeintlichen Gleichberechtigung. Und jetzt soll der Kampf für Frauenrechte schon wieder vorbei sein? Das findet offenbar die Hälfte der Generationen Y (Millennials) und Z.
Sind 100 Jahre „Gleichberechtigung“ genug?
Laut einer britischen Studie, für die Personen aus 32 Ländern interviewt wurden, findet die Mehrheit der jungen Menschen, dass in ihren Ländern bereits genug dafür getan wurde, Frauen und Männern gleiche Rechte zu verschaffen. Seit der Pandemie ist diese Zahl schrittweise gestiegen.
Jüngere Generationen, unabhängig vom Geschlecht, sind zwar optimistischer, dass Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern in ihrer Lebenszeit erreicht werden kann, und bezeichnen sich auch eher selbst als Feminist:innen (Gen Z 45 %, Millennials 44 %) als ältere Generationen (Gen X 37 %, Baby Boomer 36 %). Gleichzeitig ist aber auch mehr als die Hälfte der Befragten der Meinung, dass das Streben nach Gleichberechtigung bereits zu einer Diskriminierung von Männern führt. 54 Prozent finden, dass von Männern zu viel verlangt wird, was ihre Unterstützung für gleiche Rechte betrifft. Auch diese Zahl ist seit 2019 gestiegen.
TikToxischer Algorithmus
Antifeministische Tendenzen – von Männern und Frauen – sind auch in den sozialen Netzwerken immer stärker zu beobachten. TikTok etwa ist voll mit sehr jungen, kuchenbackenden Hausfrauen in geblümten Kleidern, die unter dem Begriff Tradwives unironisch Dinge wie „Unsere natürliche Bestimmung ist es, unserem Ehemann zu dienen“ von sich geben. Die Verbreitung dieser „traditionellen Werte“ unter jungen Frauen geht Hand in Hand mit der enormen Popularität misogyner Influencer wie Andrew Tate (der wegen Vergewaltigung und Menschenhandel angeklagt ist).
Die zunehmende Gleichstellung und Unabhängigkeit von Frauen sehen viele junge Männer als Bedrohung an. In einer Welt, in der sie nicht mehr als Ernährer und Beschützer gebraucht werden und in der Frauen auch in Bezug auf Sex und Beziehungen mehr Autonomie haben, greift die Male Loneliness um sich: Eine weltweite Studie zeigt, dass so viele Männer wie nie zuvor angeben, einsam zu sein. Junge Männer sind davon am stärksten betroffen. Offen zu kommunizieren, über Gefühle zu sprechen oder bedeutungsvolle Beziehungen aufzubauen, fällt vielen Männern schwer – weil ihnen eingetrichtert wird, das sei unmännlich. Selbsternannte Alpha und Sigma Males bieten in kurzen, zugespitzten Videos in den sozialen Netzwerken vermeintlich einfache Auswege und Erklärungen.
Der Feminismus eignet sich dabei als ideales Feindbild für junge Menschen, die sich ohne festgeschriebene Rollenbilder in einer komplexen Welt nicht gleich zurechtfinden. Und das trifft auf Buben und Mädchen gleichermaßen zu: Während junge Männer ihre eigene Unsicherheit, Einsamkeit und Unzufriedenheit mit Frauenhass beantworten, stellen junge Frauen die Abkehr vom Feminismus als smarte Entscheidung dar.
Mit ihrer selbstauferlegten Rolle als Hausfrau entziehen sich Tradwives dem „kapitalistischen Zwang“ zu unterbezahlten, ungeliebten Jobs. Stattdessen bekommen sie von ihren Männern ein Taschengeld und kümmern sich dafür um den Haushalt und die Kinder, falls vorhanden. Die jungen Frauen sehen damit auch das Problem der unbezahlten Sorgearbeit gelöst – bedenken aber nicht, dass finanzielle Abhängigkeit sie immens anfällig für Missbrauch macht. Und anders als jene Frauen, auf deren „traditionellen“ Lebensstil sie sich beziehen – da wären wir wieder bei den Großmüttern –, haben sie sich selbst dafür entschieden. Niemand kann sie daran hindern, ihre Rechte, die von Generationen an Frauen vor ihnen erkämpft wurden, wahrzunehmen. Außer vielleicht jener Mann, von dem sie sich gerade abhängig machen.
Die Normalisierung von Gewalt und Missbrauch
Je stärker patriarchale Strukturen herausgefordert werden, desto vehementer – und gewalttätiger – werden die antifeministischen Widerstände. In der britischen Studie wird darauf hingewiesen, dass das Internet erniedrigendes Verhalten und Missbrauch für jüngere Generationen möglicherweise normalisiere. Während die große Mehrheit der Befragten verletzende und missbräuchliche Verhaltensweisen online für inakzeptabel hält, sehen das junge Menschen deutlich weniger drastisch. Als Digital Natives kommen sie schon ab einem sehr jungen Alter mit sexualisierter Gewalt im Netz in Berührung, was zu einer gewissen Abstumpfung und Akzeptanz führen könne.
Gleichzeitig fürchten sich Gen Zs am meisten (48 %) davor, was ihnen passieren könnte, wenn sie sich für Gleichberechtigung einsetzen. In der Umfrage werden etwa körperliche Gewalt, negative Auswirkungen auf die eigene Situation oder die eigene Außenwahrnehmung genannt. Dem gegenüber stehen nur 23 Prozent der Babyboomer, die ähnliche Befürchtungen haben.
Die Verbreitung eines toxischen Männlichkeitsbilds wie jenem der Alpha-Männchen wirkt sich insbesondere auf junge Menschen aus: Der Aussage, ein Mann, der zu Hause bleibt und auf seine Kinder aufpasst, ist unmännlich, stimmen jeweils 30 Prozent der Generationen Y und Z zu. Bei den Boomern sind es nur halb so viele. War’s das also mit dem Feminismus? Wurde bereits genug getan für equal rights?
Feminism’s not dead
Auf der einen Seite verdienen Frauen immer noch weniger als Männer, sind weniger oft in Führungspositionen, in öffentlichen Institutionen unterrepräsentiert, stärker armutsgefährdet, übernehmen den Großteil der unbezahlten Care-Arbeit, haben ein höheres gesundheitliches Risiko aufgrund des Gender-Data-Gap, finden ihre reproduktiven Rechte im Strafgesetzbuch wieder, sind einem höheren Risiko von sexualisierter und häuslicher Gewalt ausgesetzt und werden häufiger aufgrund ihres Geschlechts ermordet.
Auf der anderen Seite meinen ein paar Männer, dass es Frauen eh total super haben, weil sie nicht zum Bundesheer müssen – und übersehen, dass die stereotypen Männlichkeitsbilder einer patriarchalen Gesellschaft auch ihnen schaden, Stichwort Einsamkeit.
Also nein, es wurde noch nicht genug getan. Und nicht nur drohen die Bestrebungen für Gleichberechtigung stillzustehen – tatsächlich kommt es seit Jahren zu Rückschritten. Vom Comeback der Herdprämie bis zum Infragestellen körperlicher Selbstbestimmtheit: Frauenkörper, Frauenleben, Frauenrechte sind nach wie vor Kampfplätze für Showpolitik. Dabei wären progressive Maßnahmen enorm wichtig, denn Regierungen spielen eine entscheidende Rolle bei der Veränderung geschlechtsspezifischer sozialer Normen: von der gleichberechtigten Aufteilung der Elternkarenz, die die Ansichten über Betreuungspflichten verändern kann, über Arbeitsmarktreformen, die die Meinungen über Frauen in der Arbeitswelt und unbezahlte Betreuungsarbeit verändern können, bis hin zu Maßnahmen, die sich in Gewaltsituationen auf Opferschutz und Täterarbeit auswirken.
Wenn Frauen Freiheiten und Autonomie erlangen, profitieren alle. Und dafür brauchen wir den Feminismus. Das wird auch die Generation Z noch herausfinden. Wir sollten ihr dabei helfen.