Die Dringlichkeit eines starken Europas

Gleich zwei wesentliche EU-Treffen standen Ende Jänner auf dem Programm: Das EU-Ratstreffen zur Außenpolitik unter Leitung der EU-Außenbeauftragten Kaja Kallas und das EU-Ratstreffen unter der aktuellen polnischen Präsidentschaft. Beide Treffen machen eines klar: Europa muss nach innen so gestärkt sein wie noch nie, um international endlich als Global Player ernst genommen zu werden.
Zu besprechen gab und gibt es viel: Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine droht immer mehr zu einem Zermürbungskrieg zu werden und die Ukraine völlig zu zerstören. Wie befürchtet, zeigt sich der neue US-Präsident Donald Trump bei deren Unterstützung weit weniger entschlossen als sein Vorgänger Joe Biden. Von seiner zuvor angekündigten 24-Stunden-Lösung ist schon lange keine Rede mehr. Auch dürfte er mit seinem Vorschlag, den Gaza-Streifen zu räumen, weder die komplexe Realität bedenken noch auf Deeskalation setzen. Und dass jetzt Grönland tatsächlich unter US-amerikanische Kontrolle bzw. annektiert werden soll, wie Trump in seiner ersten Präsidentschaft angekündigt hat und jetzt unter seiner zweiten umsetzen will, könnte neben dem Ukraine-Krieg den nächsten globalen Konflikt auf europäischem Boden garantieren. Zumal erstmals in der Geschichte der NATO ein Bündnispartner den anderen angreifen und neben dem NATO-Vertragsbruch auch einen schweren Völkerrechtsbruch begehen würde.
Klare Kante der EU zu den USA
Wenig überraschend stehen die EU-Mitgliedsländer, die meisten (nämlich 23) davon auch europäische NATO-Länder, hinter Dänemark. Beim EU-Außenminister:innen-Treffen am 27. Jänner wurde die Unterstützung für Grönland auch eindeutig klargestellt. Unmissverständliche Worte finden neben der EU-Außenbeauftragten Kaja Kallas auch der EU-Kommissar für Verteidigung Andrius Kubilius und der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz. Auf EU-Ebene wird man sich auch in nächster Zeit mit den EU- und US-Beziehungen intensiv beschäftigen. Deutlich geworden ist bisher, dass die EU mit all ihrer Größe und Einigkeit den USA gegenübertreten muss, anstatt sich durch bilaterale Deals auseinandertreiben zu lassen. Immer offensichtlicher wird es nämlich, dass US-Vertreter:innen unter Trump II den direkten Kontakt zur EU meiden, sprich „ghosten“, und mit kleinen, bilateralen Deals zu spalten versuchen. Dass der US-Staatssekretär Marco Rubio unterdessen am Telefon mit Kallas in wichtigen globalen Fragen übereinstimmte, so hinsichtlich des notwendigen Drucks auf Russland, gibt Anlass zu vorsichtigem Optimismus.
Gemeinsame EU-Position bei laufenden Konflikten und Kriegen
Beim besagten Außenminister:innen-Treffen wurde einmal mehr die Fortsetzung der Ukraine-Hilfe und Sanktionspolitik gegenüber Russland beschlossen. Auch plant man auf EU-Ebene, den Friedensprozess und Wiederaufbau im Nahen Osten zu unterstützen, hier besonders mit Blick auf Israel, Gaza und den Libanon. Auch die Wirtschaftssanktionen gegenüber Syrien wurden gelockert, um den Wiederaufbau des Landes zu erleichtern. Verschärft wurden dagegen Visaregelungen gegenüber georgischen Regierungsvertreter:innen wegen ihrer Russland-Nähe. Beschlossen wurde außerdem ein striktes Cyber-Sanktions-Regime der EU infolge von Cyberattacken gegen Estland, allesamt gegen prorussische Täter:innen und Organisationen.
Sicherheit als Priorität der polnischen EU-Ratspräsidentschaft
Sicherheit und Verteidigung gehören nicht nur zu den Grundpfeilern der zweiten Amtszeit von Ursula von der Leyen, sondern auch zu den Prioritäten der polnischen EU-Ratspräsidentschaft. Das zeigte sich mitunter beim EU-Ratstreffen zu allgemeinen Angelegenheiten unter polnischem EU-Vorsitz am 28. Jänner. Ganz anders als noch unter der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft verlief dieses EU-Ratstreffen in der üblichen professionellen Gepflogenheit. Zudem wurde klar, dass sich der polnische EU-Vorsitz mit den gesetzten Schwerpunkten auch aktuellen Herausforderungen unmissverständlich stellt. An erster Stelle steht daher Sicherheit, die von Verteidigung und Grenzschutz über Resilienz gegenüber internationaler Einflussnahme durch Desinformation bis zu Energiesicherheit und Sicherheit in Landwirtschaft sowie Gesundheit reicht. Als klares Zeichen in Richtung der eigenen Vorgängerregierung kann auch der Fokus auf die Gewährleistung von Rechtsstaatlichkeit in Ungarn, Portugal, Rumänien und der Slowakei gewertet werden. Schließlich wurde das Artikel-7-Verfahren gegen Polen erst unter der liberaldemokratischen Regierung von Donald Tusk eingestellt, der nun ebenfalls klare Kante in Richtung eines gemeinsamen Europas unter Sicherung der Grund- und Menschenrechte setzt. So erscheint es auch logisch, dass sich Polen unter Donald Tusk für die EU-Erweiterung einsetzt.
EU-Erweiterung dringender denn je
Die Wiederbelebung des EU-Erweiterungsprozesses könnte jetzt nicht wichtiger sein, zumal sie die liberaldemokratischen Proteste gegen autokratische Regierungen unterstützt und den Menschen den so wichtigen Eindruck vermittelt, Teil eines gemeinsamen Europas unter Schutz von liberaler Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu werden. Wichtig ist das in Georgien, wo die prorussiche Regierung die EU-Beitrittsverhandlungen auf Eis gelegt hat, in der Republik Moldau, wo sich die proeuropäische Präsidentin Maja Sandu aufseiten der liberaldemokratischen Zivilgesellschaft für den EU-Beitritt stark macht, und in Serbien, wo die Stabilokratie unter Aleksandar Vučić ernsthafte Risse bekommt. Denn seit dem tragischen Einsturz des Vordachs am Bahnhof in Novi Sad, bei dem am 1. November 2024 15 Menschen ums Leben kamen, halten die Proteste gegen das behördliche Versagen des korrupten Regimes in Serbien unvermindert an.
Notwendig: liberaldemokratische Zivilgesellschaft einbinden
Zwar wird seit vielen Jahren gegen den omnipräsenten Präsidenten Vučić demonstriert – wohlgemerkt einst hoher Funktionär der Radikalen Partei Serbiens (SRS) und ehemaliger Informationsminister des damaligen Milošević-Regimes. Jedoch ist das Durchhaltevermögen dieser landesweiten Studierendenproteste, unterstützt von vielen Bürger:innen vor Ort und aus der Diaspora, bemerkenswert. Zumal es den Geist der regimekritischen Proteste der 1990er Jahre, als damalige Studierende, jetzt teilweise Eltern der aktuell Demonstrierenden, in sich trägt. Auch wenn sich die internationale Aufmerksamkeit vorerst nur auf die Berichterstattung der jetzt größten Proteste seit dem Sturz des Milošević-Regimes 2000 begrenzt, dürfen diese landesweiten Proteste auf EU-Ebene nicht länger übersehen und der Stabilokrat Vučić nicht länger hofiert werden. Stattdessen benötigt die liberaldemokratische Opposition, die auch ehrlich für den serbischen EU-Integrationsprozess steht, internationale Unterstützung. Dass es jetzt einen neuen EU-Sonderbeauftragten für den Dialog zwischen Belgrad und Pristina gibt, ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Keinesfalls darf man sich aber auf EU-Ebene von der autokratischen Taktik täuschen lassen, die liberaldemokratische Opposition vor Ort durch forcierte äußere Konflikte mundtot zu machen. Das zu erkennen ist auch Teil eines gemeinsamen Europas. Alle folgenden EU-Ratstreffen werden dieses so dringend benötigte starke Europa unter Beweis stellen können. Gemeinsame europäische Ziele müssen jetzt endlich auf der Tagesordnug stehen.