Die fade, aber beste Lösung für billigen Wohnraum
Wenn es um hohe Wohnkosten geht, schreien viele nach einem starken Staat, der die Preise senken soll. Dabei vergessen sie eine langweilige, aber effiziente Methode, um die Wohnpreise zu senken: mehr zu bauen.
Die steigenden Preise am Wohnungsmarkt beschäftigen Österreich nicht erst seit Zeiten zweistelliger Inflation – sie sind ein Dauerthema. Kaum ein anderes politisches Problem ist im Alltag so deutlich spürbar wie jenes, dass man im Durchschnitt 8,9 Euro pro Quadratmeter im Monat für die Miete bezahlen muss. Und dass sich diese in den letzten Jahren für die meisten mehrmals erhöht hat.
Wie bei jeder politisch heiklen Frage wird dadurch der Ruf nach einem starken Staat laut. In der öffentlichen Debatte überbieten sich Parteien mit Vorschlägen, wie sie in den Markt eingreifen, Preise regulieren oder durch neue Steuern mehr Gemeindebauten errichten. Aber rein rational betrachtet muss man erst das Problem verstehen, um eine Lösung zu formulieren. Warum sind die Wohnkosten eigentlich so hoch?
Wie in jedem anderen Markt bilden sich die Preise am Wohnmarkt durch Angebot und Nachfrage. Hohe Wohnkosten bedeuten also nichts anderes, als dass mehr Leute eine Wohnung suchen, als am Markt verfügbar sind. Wer die Preise gesetzlich festschreibt, schafft also kurz Entlastung, würgt aber auch die eigentliche Lösung ab: mehr neuen Wohnraum zu bauen.
Es wird gebaut – aber nicht für alle
Dabei wird gar nicht wenig gebaut: Laut dem Neubaubericht des Immobiliendaten-Anbieters Exploreal wird 2023 mehr Wohnraum fertiggestellt als in den Jahren davor.
Ein Blick auf die Aufteilung dieser Projekte lässt allerdings schnell vermuten, warum man im Alltag wenig davon mitbekommt: Ein Großteil dieser Projekte entfällt entweder auf Eigentum – das für viele ohne Erbschaft nicht leistbar ist – oder den geförderten Mietbereich. Der „frei finanzierte“ Mietmarkt wird in diesem Jahr laut Branchenbericht um „nur“ 8.294 Wohnungen wachsen. Obwohl 93 Prozent des Immobilienwachstums auf Wohnungen entfallen, kommen relativ wenige Mietwohnungen am privaten Markt dazu.
Alle, die eine Mietwohnung suchen und sich nicht für den geförderten Bereich qualifizieren – dieser ist nicht nur mit niedrigen Einkommen, sondern oft z.B. auch mit dem bisherigen Wohnsitz verbunden – konkurrieren also um diese 8.294 Wohnungen. Sobald die 8.295 Person in diesem Segment auf Wohnungssuche ist, steigen die Preise. In Salzburg fällt dieser Trend mit 1,5 Prozent am geringsten aus, in Tirol mit 14,8 Prozent am höchsten. Angebot und Nachfrage eben.
Es ist also nicht so, als würde Österreich nichts bauen – es fühlt sich nur für viele so an, weil in einem Segment zu wenig gebaut wird. „Nur“ 63 Prozent der Wohnbauleistung wird von gewerblichen Bauträgern erbracht, der Rest ist gefördert und daher nicht allen zugänglich. Darunter fallen Gemeindewohnungen, die gering verdienenden Personen vorbehalten sind, aber auch Genossenschaftswohnungen. Der Rest vom Kuchen – und damit das, was sich alle teilen – ist die Chance am privaten Mietwohnungsmarkt. Und genau dort wird relativ wenig gebaut.
Regionale Unterschiede beim Bauen
Wenig überraschend wird vor allem dort gebaut, wo die Nachfrage groß ist, sprich: wo die Bevölkerung wächst. Im Bundesländer-Vergleich dominiert Wien die Baustatistik vor Vorarlberg und Niederösterreich. Obwohl die Bundeshauptstadt den größten Zuzug in Österreich aufweist, steigen die Preise dort nicht am stärksten: Tirol ist mit 14,8 Prozent Preissteigerung am Wohnungsmarkt deutlich teurer geworden als Wien mit 7,9 Prozent.
In internationalen Medienberichten wird Wien dafür oft als Positivbeispiel für Wohnpolitik gelobt. Dabei wird oft der Gemeindebau erwähnt, weil er für gerade für den US-amerikanischen Medienmarkt als „sozialistisches“ Paradebeispiel gilt. Das ist aber nur ein Teil der Erklärung: Ein Blick auf Kennzahlen am Immobilienmarkt zeigt, was die Preise in Wien relativ niedrig hält. („Relativ“ heißt hier „für eine Hauptstadt mit großem Bevölkerungswachstum“.)
Etwa der Unterschied zwischen „Wohnprojekten“, der Anzahl der fertiggestellten Projekte an sich, und der „Wohneinheiten“, also dem, was wirklich vermietet oder verkauft wird. Ein Wohnprojekt kann z.B. ein Einfamilienhaus sein, aber auch ein großes Wohnbauprojekt mit vielen kleinen Wohnungen. Niederösterreich wird 2023 etwa 927 Wohnprojekte fertigstellen und damit 20.343 Wohneinheiten schaffen. Wien stellt zwar etwas weniger Wohnprojekte fertig (892), schafft damit aber 48.286 Wohneinheiten. In Wien gibt es also mehr große Projekte, in denen mehrere Wohnungen gebaut werden – aber oft nur kleine. Gerade Familien, in denen ein Kinderzimmer mit einem Extra-Zimmer kombiniert werden soll, etwa für Homeoffice, bräuchten wohl eher 4-Zimmer-Wohnungen – gerade diese werden aber besonders selten gebaut.
Dass Wien trotz Zuzug in der Bundesländer-Statistik so gut davonkommt und auch im Vergleich mit vielen anderen europäischen Staaten gut dasteht, hat aber mehrere Gründe. Einerseits liegt das natürlich an der starken Tradition des geförderten Wohnbaus, die für viele Menschen die Preise künstlich klein hält – die Stadt Wien ist die größte Immobilienbesitzerin Europas. Für den Rest bleibt der teurere private Mietmarkt. Für diesen ist Wien aber eben genau deshalb attraktiv, weil die hohe Nachfrage garantiert ist. Beide, Staat und Markt, wenden aber in Wien die richtige Lösung an: Sie bauen.
Bauen ist auch eine ökologische Aufgabe
Dazu kommt das Problem der zunehmenden Bodenversiegelung: Nicht nur, aber gerade das klassische Einfamilienhaus, das am Ortsrand neu dazugebaut wird und Straßen, Kanal und Glasfaser-Anschluss braucht, verbraucht wertvollen Boden, der wichtige Umweltfunktionen hat.
Die Raumordnungs-Expertin Gerlind Weber formuliert im Gastbeitrag für die Materie einen Vorschlag, wie man das Bedürfnis nach mehr leistbarem Wohnraum mit ökologischer Verantwortung verbinden kann. Denn Bauen bedeutet nicht automatisch, neue Böden zu versiegeln. Statt sich auf das Freiland zu konzentrieren, sollte z.B. Leerstand genutzt und revitalisiert werden. Nicht nur in Städten kann auch in die Höhe gebaut werden, und auch bereits gewidmetes Bauland kann genutzt werden. „Mehr Bauen“ alleine wäre zwar eine Lösung für die Preise, aber noch keine perfekte – mit einer Novelle der Raumordnung könnte man dieses Anliegen mit der Umwelt- und Klimapolitik verbinden.
Nur Bauen bringt nachhaltige Preissenkung für alle
Fassen wir also nochmal zusammen: Die Preise für Wohnraum sinken, wenn das Angebot die Nachfrage übersteigt. Dafür muss entweder das Angebot steigen oder die Nachfrage sinken – was bei einem Grundbedürfnis wie Wohnen sehr unwahrscheinlich ist, solange die Bevölkerungszahl steigt. Bleibt also nur, mehr Angebot zu schaffen.
Als Antwort auf steigende Wohnkosten ist das natürlich extrem unsexy. Immerhin versprechen andere mit Mietpreisbremsen, dass schnell und einfach alle Preise sinken. Als Reaktion darauf würde aber genau das Gegenteil dessen passieren, was es eigentlich braucht: Wenn der Staat privaten Bauträgern verbietet, mit Angebot auf ein stark nachgefragtes Produkt auch Gewinn zu machen, wird es weniger produziert. Darum wurde die Mietpreisbremse überall, wo sie eingesetzt wurde, auch bald wieder außer Kraft gesetzt – weil es auf Dauer keine Lösung ist, wenn nicht mehr vermietet, gebaut oder saniert wird.
Und auch andere Lösungsansätze werben damit, dass man doch nur in den freien Markt eingreifen müsse. Dabei hat Österreich ohnehin schon eine hohe Dichte an sozialem und öffentlichem Wohnbau, die Stadt Wien ist der größte Immobilien-Besitzer Europas. Der Ruf nach einem starken Staat wird also bereits beantwortet, aber die Vorteile genießen nicht alle – geförderter Wohnbau ist für viele nicht die Norm. Wenn wiederum mehr Wohnangebot am Markt ist, profitieren alle: Auch Genossenschaftswohnungen könnten dadurch billiger werden, weil auch Mitglieder der Genossenschaft plötzlich mehr Optionen hätten.
Für eine echte Senkung der Wohnkosten gibt es nur eine Lösung, und zwar die allerfadeste: Dafür müsste ganz einfach mehr gebaut werden.
Symbolbild, produziert mit Midjourney AI