Die Wirtschaftskammer: Eine Körperschaft? – Hunderte!
Dass „big“ nicht unbedingt „beautiful“ bedeutet, zeigt sich in Österreich unter anderem bei den Kammern. Wer bei ihnen Mitglied ist, kann sich zu Recht fragen, ob man tatsächlich diese Größe und diese Strukturen braucht, um die jeweilige Klientel gut zu vertreten. Ein Beispiel dafür ist die Wirtschaftskammer. Diese Organisation ist nämlich so kompliziert gebaut, dass sich für die zahlenden Mitglieder die Frage aufdrängt, ob das effizient ist, was auch in Medienberichten immer wieder thematisiert wird.
Vorab die Klärung einer einfachen Frage, die für das Verständnis der Organisation aber essenziell ist: Was ist der Unterschied zwischen WKÖ und WKO? Hier die Erklärung: WKÖ steht für „Wirtschaftskammer Österreich“ und WKO steht für „Wirtschaftskammerorganisation“ – und um die geht es in diesem Artikel.
Die Aufgaben der Wirtschaftskammer sind im Wirtschaftskammergesetz klar definiert: Sie ist eine Körperschaft öffentlichen Rechts, die der Gesetzgeber geschaffen hat, damit diese die Interessen der Wirtschaftstreibenden vertritt. Startet man in der Betrachtung mit der Dachorganisation WKO, erstreckt sich dieses Dach über die bereits genannte WKÖ, also die Wirtschaftskammer im Bund, und neun Landesorganisationen, also die WK Wien, WK Niederösterreich usw. Die Landeskammern sollen die regionalen Interessen der Unternehmen der verschiedensten Branchen vertreten.
Diese zehn Kammern sind wiederum in Fachverbänden (auf Bundesebene) und Fachgruppen (auf Landesebene) organisiert. Ist die wirtschaftliche Bedeutung einer Gruppe zu gering, um die Errichtung einer Fachgruppe zu rechtfertigen, werden ihre Interessen vom Fachverband vertreten.
Von Verbänden, Innungen und Gremien
Ein Beispiel für eine solche Interessenvertretung ist der Fachverband der Kino-, Kultur- und Vergnügungsbetriebe. Manche Interessenvertretungen nennen sich jedoch nicht Verband, sondern Innung. Das hat historische Gründe. So sind die meisten handwerklichen und gewerblichen Unternehmen in Innungen organisiert, wie etwa die Maler und Tapezierer, aber auch Friseure.
Interessanterweise definiert der Duden eine Innung wie folgt: „durch freiwilligen Zusammenschluss von selbstständigen Handwerkern [des gleichen Handwerks in einem bestimmten Bezirk] entstandener Verband“. Das war einmal. Jetzt ist von Freiwilligkeit keine Rede mehr – denn in Österreich ist die Mitgliedschaft bei der Wirtschaftskammer für Unternehmen verpflichtend.
Und dann gibt es noch eine Besonderheit für den Handel: In dieser Sparte heißen die Fachorganisationen meist Gremien, also zum Beispiel das Landesgremium Kärnten des Fahrzeughandels. Die Zuordnungen der Gewerbe zu den Fachgruppen bzw. Fachverbänden erfolgt mit Nummern und kann nach Bedarf von den zuständigen Gremien geändert werden. So sind etwa in der Sparte Gewerbe und Handwerk im Jahr 2015 die Steinmetze (Nr. 102) zum Bauhilfsgewerbe (Nr. 106) gewandert.
Insgesamt 684 Körperschaften
Jede dieser Organisationseinheiten ist eine Körperschaft öffentlichen Rechts, in der die Mitgliedschaft der Betriebe gesetzlich geregelt ist. Ihre Anzahl ist beachtlich: Es gibt pro Bundesland durchschnittlich 65 Fachorganisationen, also Fachgruppen, Innungen, Gremien und Fachvertretungen. Eine schlanke Organisation sieht anders aus. Es gibt wohl niemanden, der sein Unternehmen so strukturieren würde – denn ingesamt besteht die Wirtschaftskammerorganisation (per Stand Oktober 2022) aus zehn Kammern, 93 Fachverbänden und 581 Fachgruppen. Das sind zusammen 684 Körperschaften öffentlichen Rechts.
Beachtlich ist die Möglichkeit für Mehrfachmitgliedschaften – ebenfalls ein Punkt, der vielen Unternehmen ein Dorn im Auge ist. Denn eine solche besteht, wenn ein Unternehmen mehrere Gewerbe angemeldet hat bzw. in mehreren Bundesländern aktiv ist. Betreibt also ein Tiroler Tischler auch einen Möbelhandel, ist er nicht nur Mitglied der Landesinnung und Bundesinnung der Tischler, sondern auch Mitglied des Landesgremiums und des Bundesgremiums des Elektro- und Einrichtungsfachhandels sowie der Wirtschaftskammer Tirol und der WKÖ.
Kenner der Materie fragen sich jetzt: Und was ist mit den Sparten? Die sollten die Interessen der verschiedenen Organisationseinheiten thematisch zusammenfassen. Sie sind keine Körperschaften öffentlichen Rechts, sondern organisatorische Konstrukte innerhalb der Kammer. Aktuell sind sämtliche Fachgruppen (Innungen, Gremien) und Fachverbände in sieben Sparten zusammengefasst: Gewerbe und Handwerk, Industrie, Handel, Banken und Versicherungen, Transport und Verkehr, Tourismus und Freizeitwirtschaft, Information und Consulting. Jeder dieser Sparten steht ein Obmann oder eine Obfrau vor, also ein Unternehmer oder eine Unternehmerin, um für diese Sparte zu sprechen. Die Organisation und Verwaltung in der Kammer übernimmt der:die jeweilige Geschäftsführer:in, der:die bei der Wirtschaftskammer angestellt ist, samt dazugehörigem Mitarbeiterstab.
Gewerbebezeichnungen ohne Ende
In diesem umfangreichen Organisationskonstrukt finden also alle Platz, die ein Gewerbe ausüben. Dabei wird zwischen den 82 reglementierten Gewerben laut Gewerbeordnung und den freien Gewerben unterschieden, die wiederum der „Bundeseinheitlichen Liste der freien Gewerbe“ auf 32 Seiten aufgelistet sind. Wer meint, dass damit alle möglichen Gewerbe definiert sind, irrt allerdings – denn wer sein Unternehmen bei der Bezirksverwaltungsbehörde anmeldet, wird dort mitunter mit anderen Gewerbebezeichnungen konfrontiert.
Wie zum Beispiel das „Sammeln von Zeitungsausschnitten und deren Weitergabe an Dritte unter Ausschluss jeder an einen Befähigungsnachweis gebundenen Tätigkeit“. Diese Gewerbebezeichnung ist auf den 32 Seiten der Freie-Gewerbe-Liste nicht zu finden, was die Gewerbebehörde offenbar zu dieser Kreation veranlasst hat. Denn der österreichische Staat nimmt es mit der Gewerbebezeichnung sehr genau, was in der Gewerbeordnung nachzulesen ist, wo es zur Findung der eindeutigen Gewerbebezeichnung unter anderem heißt: „Es wird dabei vom Zweck der gesetzlichen Vorschrift und vom allgemeinen Sprachgebrauch des betroffenen Berufskreises abhängen, ob die Unschärfe eines Begriffes noch erträglich ist.“
Die weitere Kuriosität beim Fall des Sammelns von Zeitungsausschnitten: Obwohl es um sogenannte Medien-Clippings geht – also Belege dafür, wo jemand in einem Medium vorgekommen ist – gehört dieses Unternehmen nicht, wie man annehmen könnte, der Fachgruppe Werbung und Marktkommunikation an. Sondern jener der gewerblichen Dienstleister, in der zum Beispiel auch Adressenbüros, Berufsdetektive und Tauchunternehmer vertreten werden. Die Zuordnungslogik sei hier mal dahingestellt.
SISSI EIGRUBER ist ehemalige Wirtschaftsjournalistin (WirtschaftsBlatt; Wiener Zeitung) und seit 2020 mit ihrer Agentur „TextHelden“ als PR-Beraterin selbstständig. Seit Anfang 2023 betreut sie die Kommunikation von Unternehmerisches Österreich (UNOS) und schreibt für Materie.