Dogwhistling – Wie man das Unsagbare sagt
1970 wollte der ÖVP-Bundeskanzler Josef Klaus bei der Nationalratswahl den ersten Platz seiner Partei und sein Amt behalten. Die SPÖ hatte mit Bruno Kreisky allerdings einen jüngeren, beliebten neuen Parteichef. Umfragen sagten ein Kopf-an-Kopf-Rennen voraus. Klaus wollte kein Risiko eingehen: Er ließ sich mit der Parole „ein echter Österreicher“ plakatieren. Womit, so das Kalkül, über den Juden und Emigranten Kreisky eh schon alles gesagt wäre. Kreisky, mit diesem Hintergrund, sei eben kein echter Österreicher.
Konkret ausgesprochen werden musste das nicht. Der Spruch griff auf bereits vorhandenes Wissen zurück und kam bei jenen an, die wussten, wie es gemeint war. Gleichzeitig konnte man über diese untergriffige Methode die Empörung umgehen. Freilich, es brachte der ÖVP nichts – Kreisky gewann mit der SPÖ die relative Mehrheit vor der ÖVP, bei den Neuwahlen ein Jahr später sollte er dann die Absolute erringen. Was Klaus machte, noch lange bevor es einen Fachbegriff dafür gab, war Dogwhistling oder Hundepfeifen-Politik: eine rhetorische Strategie, die vor allem in den letzten Jahren massiv zugenommen hat.
Was von wem wie gehört wird
Einen knackigen Sager tätigen, der nur für gewisse Gruppen eine tiefere, meist dunklere Bedeutung hat: Wie nur ein Hund die hochfrequenten Töne einer Hundepfeife hören kann, kommen auch die Botschaften dieser „Dog Whistles“ nur bei jenen Zuhörer:innen an, die für sie empfänglich sind. Auf diese Weise kann eine Aussage eine in der Regel unverfängliche Bedeutung für nicht eingeweihte Hörer:innen haben, aber eine völlig andere für die eigenen Anhänger:innen.
Als Werkzeug der Rhetorik waren Botschaften, die je nach Rezipient:in Verschiedenes bedeuten, auch schon im antiken Rom bekannt. 1969 beschrieb der Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawick in seinem Standardwerk Menschliche Kommunikation – Formen, Störungen, Paradoxien die grundlegenden Prinzipien von Kommunikation und lieferte damit auch – indirekt – eine Definition für Dogwhistling, noch bevor der Begriff erfunden wurde. Watzlawick definierte fünf Axiome. Das zweite davon beschreibt, wie der Inhalt einer Aussage immer durch die Erwartung und bereits vorhandenes Wissen definiert wird. Das bedeutet, dass jene Person, die eine Aussage tätigt, diese auch so formulieren kann, dass sie je nach Erwartung und persönlicher Haltung unterschiedlich aufgenommen wird. Das muss per se auch nicht negativ sein: Die Kommunikationswissenschaft gibt gerne als Beispiel dafür Witze oder Anspielungen in Kinderfilmen an, die auf Erwachsene ausgerichtet sind. Kinder nehmen sie durchaus als lustigen Moment wahr, aber Erwachsene können es tiefergehend, mit Augenzwinkern „verstehen“.
Als eigener Begriff für die Nutzung dieser Strategie für politische Kommunikation kam das Dogwhistling erst in den späten 1980ern auf, als die Reichweite von Interviews und Ähnlichem durch die massive Verbreitung des Fernsehens neue Möglichkeiten schuf. Erstmals benutzt wurde der Begriff 1988 durch Richard Morin, einen Reporter der Washington Post, wie Jennifer Saul in ihrem Werk Dogwhistles, Political Manipulation and the Philosophy of Language recherchiert hat. Um verschiedene mögliche Bevölkerungsgruppen zielgerichteter ansprechen zu können, wurde das Prinzip des politischen Dogwhistlings in dieser Zeit perfektioniert. Als eines der meisterforschten und berüchtigtsten Beispiele gilt jenes der „Welfare Queen“ von US-Präsident Ronald Reagan.
Die Verlockung des Unsagbaren …
Wie kann man Bewohner:innen der weißen, gut verdienenden Vororte der US-Vorstädte deutlich machen, dass man ihre Ablehnung von Afroamerikaner:innen im Wohnviertel unterstützt, ohne es direkt sagen zu müssen? In den 1980ern war das Civil Rights Movement der schwarzen US-Bevölkerung bereits so im Mainstream angekommen, dass man in der Politik nicht einfach offen sagen konnte, dass Schwarze nicht in den weißen Vierteln wohnen sollten. Der ehemalige Schauspieler, Kommunikationsexperte und republikanische US-Präsident Ronald Reagan fand einen Weg, zwischen den Zeilen zu sagen, was er wollte. Er sprach von „Cadillac fahrenden Welfare Queens“ und „strammen jungen Burschen, die sich mit ihren Lebensmittelmarken T-Bone-Steaks kaufen“.
Dem Großteil der Zuhörer:innen erschienen diese Aussagen bloß als Beispiele für ein zu großzügiges Sozialwesen, das Reagan kürzen wollte. Doch bei einer wesentlichen Minderheit suburbaner und ländlicher weißer Wähler:innen kam eine versteckte Botschaft an: Mit den Sozialhilfeschmarotzer:innen waren natürlich Schwarze in Amerikas Großstädten gemeint, die mit dem Geld vom Staat auch noch in die Vororte ziehen wollten. Reagan hatte seine Strategie gefunden.
So musste er in der breiten Gesellschaft unpopuläre oder verpönte Positionen nicht mehr offen artikulieren – ein Playbook, das auch heute noch viele verwenden. Es reicht, bestimmte Codes oder Signalwörter zu verwenden, deren Bedeutung der breiten Masse verborgen bleibt und potenzielle Wähler:innen nicht verschreckt, von der eingeweihten eigenen Anhängerschaft aber erkannt wird. Das Unsagbare, das so verlockend ist, um die dunkleren Gedanken von potenziellen Wähler:innen zu umschmeicheln, wird sagbar.
… und wie Grenzen verschoben werden
Seit Reagan hat sich die Hundepfeife zu einem beliebten Instrument in der Politik entwickelt. Vor allem Populist:innen verschieben damit immer mehr die Grenze des Sagbaren. Wie ein Forschungsprojekt der BBC zeigt, werden nach einiger Zeit funktionierende Codes „stumpf“ und müssen dann nachgeschärft werden. Donald Trump konnte als Präsident schon behaupten, dass Mexikaner:innen, die in die USA einwandern, vor allem Drogendealer, Kriminelle und Vergewaltiger seien. Auch antisemitische Anspielungen sind weniger problematisch geworden. Die ÖVP unter Sebastian Kurz konnte ungerührt vor „Silberstein-Methoden“ warnen und sich damit als Opfer von Dirty Campaigning darstellen – und alle, die dafür empfänglich sind, lesen heraus, dass Tal Silberstein, der Jude ist, natürlich für schmutzige Methoden steht.
Die Politik muss erkennen, dass der Griff zur Hundepfeife gefährlich ist. Das Hofieren von extremistischem Gedankengut, um Stimmen zu lukrieren, ist verlockend einfach. Doch es schadet der Allgemeinheit: Wenn Grenzen verschoben werden, leiden Menschen, Bevölkerungsgruppen, dann werden Gesetze, die Teilen der Gesellschaft schaden, leichter möglich. Am Ende entscheiden die Wähler:innen, ob Politiker:innen mit Dogwhistling erfolgreich werden oder nicht. Auch Medien sollten viel vorsichtiger dabei sein, ob und wie sie solche Zitate verwenden und kontextualisieren. Dieser Artikel ist – hoffentlich – ein Beitrag dazu.