Douglas Hoyos: „Ich will dieses Europa weiterentwickeln“
Im Interview spricht der NEOS-Generalsekretär über verteidigungspolitische Visionen und europäische Zusammenarbeit.
Die Landesverteidigung ist in aller Munde. Ob Neutralitätsdebatte oder die Frage nach mehr oder weniger Europa, die bei den EU-Wahlen dieses Jahr ansteht – spätestens nach dem russischen Angriff auf die Ukraine ist das Thema Sicherheitspolitik wieder ein heiß diskutiertes. Wie steht es um das Bundesheer, was ist mit der neuen Sicherheitsstrategie passiert, und in welche Richtung sollen sich Österreich und die Europäische Union entwickeln? Diese Fragen diskutieren wir mit dem NEOS-Sprecher für Landesverteidigung und Generalsekretär der Partei, Douglas Hoyos.
Durch den Ukraine-Krieg und die sicherheitspolitische Lage in Europa ist das Bundesheer wieder in den Fokus gerückt. Hat sich dadurch alles zum Positiven geändert?
Es ist positiv, dass wir mehr Geld in höchst überfällige Rüstungsgüter investieren. Aber es gibt jetzt aus meiner Sicht drei offene Fragen, die wir beachten müssen. Erstens: Wie sind wir überhaupt in diese Situation gekommen? Da geht es gar nicht darum, Schuldige auszumachen, aber wir müssen aus der Vergangenheit lernen. Zweitens: Wie kommen wir zu einem Konsens, in was wir investieren? Wer das Verteidigungsministerium leitet, das ändert sich alle paar Jahre, aber Beschaffungszyklen sind langfristig. Und drittens: Wie vermeiden wir Fehler bei dieser Beschaffung?
Und wie beantwortest du diese Fragen?
Aus der Vergangenheit lernen ist nicht unbedingt etwas, was Österreich praktiziert. Und zur Beschaffung: Es gibt einen gemeinsamen Beschluss aller Parlamentsparteien, dass wir mehr Mittel brauchen. Da geht’s auch um die Kostenexplosion am Rüstungsmarkt – das ist ein Government-to-Government-Markt, bei dem es auch viele Fallstricke gibt. Gerade wenn man auf die Perspektive einer zweiten Trump-Amtszeit schaut, ist die Panik groß. Also es gibt zwar das Bekenntnis zu mehr Mitteln, aber keinen Konsens darüber, was genau und wie das entschieden wird.
Das liegt wahrscheinlich auch daran, dass die neue Sicherheitsstrategie noch nicht fertig ist. Die hätte Ende 2023 fertig werden sollen. Wie ist der aktuelle Stand?
Wir hoffen darauf, dass sie bald da ist. Die Sicherheitsstrategie wäre eine Basis für Sicherheitsgedanken, dementsprechend macht sie es sicher einfacher zu investieren und zu beschaffen. Aber man braucht sie nicht zwingend dafür, es gibt ja auch omnipräsente Notwendigkeiten. Dass ich in eine Kaserne investiere, die marod ist, wird so gut wie immer sinnvoll sein. Ich kann natürlich diskutieren, ob sie nicht aufgelassen werden sollte, aber gewisse Investitionen sind immer sinnvoll. Wir werden auch immer gepanzerte Fahrzeuge brauchen. Da kann man darüber reden, welchen Typ wir brauchen, wie wir europäisch zusammenarbeiten – und da wird die Sicherheitsstrategie relevant.
Die Sicherheitsstrategie wird also nicht alle Zukunftsprobleme der Verteidigungspolitik lösen.
Dazu brauchen wir auch eine Investitionsstrategie, die beantwortet, wo wir hinwollen und was der Investitionspfad dafür ist. Das geht ja nicht alles auf einmal. Und wir brauchen eine gemeinsame europäische Perspektive. Was wir jetzt beschaffen, beschaffen wir hoffentlich nicht für fünf oder sechs, sondern eher für 20 oder 25 Jahre. Jeder Militärexperte sagt, dass europäische Zusammenarbeit der Weg sein muss und dass man dementsprechend auch gemeinsame Beschaffung braucht.
Welchen Vorteil hätte diese gemeinsame Beschaffung?
Wenn es in Europa lauter verschiedene Kampfpanzer gibt, macht es das wesentlich schwieriger, gemeinsam zu üben, gemeinsam zu arbeiten und im schlimmsten Fall sogar gemeinsam zu kämpfen. Das geht es auch um ganz banale Dinge wie die Frage, ob die den gleichen Tank haben, ob man einen niederländischen Panzer auch außerhalb der Niederlande tanken kann. Das hängt alles zusammen – darum brauchen wir eine Strategie und eine langfristige Perspektive. Momentan findet das aber gar nicht statt. Die Strategie wird irgendwo im dunklen Kämmerlein erstellt. Ich kenne da auch nur die Ankündigungen aus den Medien.
Wieso hört man das nicht von der Regierung? Will man in Österreich einfach nicht europäisch zusammenarbeiten?
Es passiert ja mehr, als man glaubt. Da gibt es zum Beispiel PESCO, das sind verschiedene Projekte, bei denen europäisch zusammengearbeitet wird. Wir sind auch beim NATO Partnership for Peace, wo Staaten miteinander üben und trainieren. Diese Zusammenarbeit passiert, sie wird aber nach außen nicht zugegeben – aus einer politischen Angst heraus, die nicht gerechtfertigt ist. Jeder Experte, jede Expertin in dem Bereich sagt uns: Wir sind nur zusammen verteidigungsfähig. Das sieht man jetzt an der Ukraine: Die war wesentlich besser aufgestellt als Österreich, und trotzdem braucht sie internationale Hilfe, um sich zu verteidigen. Wenn man überlegt, wenn Putin an unserer Grenze stehen würde …
… dann würde es schlecht für uns ausschauen.
Das würde sehr schlecht ausschauen! Und jetzt kann man natürlich sagen, das wird nicht passieren, weil wir neutral sind. Aber wer gibt uns diese Sicherheit?
Die NATO-Staaten rund um uns, oder?
Ja, momentan. Aber wer garantiert diese Stabilität langfristig? Wir dürfen ja nicht nur an heute und morgen denken. In der Ukraine werden 2010 sicher auch viele so gedacht haben: Wir haben gemeinsame Grenzen mit NATO-Mitgliedern, Europa ist pro-westlich, die werden uns beschützen. Und das passiert zum Teil – man kann sagen, dass es zu wenig ist –, aber die Geschichte zeigt, dass man in so einer Situation nicht sicher ist. Und der Krieg in der Ukraine ist ja nur eines von zwei Beispielen, die wir gerade durch die Medien besonders mitkriegen, aber man muss nur auf den afrikanischen Kontinent schauen. Dort gibt es zahlreiche Bürgerkriege, die es bei uns nicht in die Medien schaffen.
Dazu kommt wahrscheinlich, dass Krieg nicht mehr nur konventionell geführt wird.
Ich erinnere mich an Aussagen wie die von Sebastian Kurz, dass es die „Panzerschlacht im Marchfeld“ nicht mehr geben wird – das ist ein Irrglaube. Es wird immer um den Kampf der verbundenen Waffen gehen, aber auch die Gefahr durch hybride Bedrohungen wird weiter steigen. Wir müssen uns ja nur anschauen, wie viele Cyberangriffe aus Russland kommen, oder den Informationskrieg, die Beeinflussung von Wahlen. Es gibt diese Aktivitäten aus Russland, und die wird es bei den EU-Wahlen dieses Jahr wieder geben.
Es ist nun mal nicht so, dass ich als Computervirus durch ein Glasfaserkabel gehe und dann denke: „Ah, da ist Österreich, da ist eine Grenze, da geh ich jetzt nicht hin.“ Und da ist auch egal, ob ich von NATO-Staaten, von europäischen Partnern umgeben bin oder nicht – ich kann heute Krieg mit allen Staaten anfangen, ob wir eine Grenze teilen oder nicht. Auch das ist Teil der Sicherheitspolitik, auch da braucht es europäische Zusammenarbeit.
Auf der einen Seite ist es relativ unstrittig, dass wir in der Verteidigungspolitik mehr Europa brauchen. Auf der anderen Seite sehen viele darin einen Widerspruch zur Neutralität. Siehst du den auch?
Die Frage ist: Was heißt Neutralität? Im ursprünglich gedachten Sinn bedeutet sie, das wir keine Bündnisse eingehen. Und in diesem Sinn gibt es sie seit dem Beitritt zur Europäischen Union nicht mehr, denn dieses Bündnis sind wir eingegangen. Die FPÖ übrigens genauso – die FPÖ war die Partei, die in den 90er Jahren den NATO-Beitritt gefordert hat, es gibt Anträge dazu. Das kann man sich jetzt schönreden und politisch vor sich herschieben, aber das ist vollkommen unredlich und eine reine Augenauswischerei. Ich kann alles sagen – aber wir leben es nicht.
Wir verwenden also den falschen Neutralitätsbegriff?
Ich glaube, der große Trugschluss, den viele in der Politik machen – insbesondere in den Populismus verfallende ehemalige Großparteien –, ist, dass sie die Neutralität mit Pazifismus gleichsetzen. Das ist ein vollkommener Holler. Denn das bedeutet: Ich habe keine Waffen, und ich beteilige mich an keinen Konflikten. Dann braucht man eben eine Schutzmacht, die einen beschützt. Kann man machen – aber Neutralität bedeutet genau das Gegenteil. Besonders im „Schweizer Gedanken“ bedeutet sie, dass wir selbstständig unsere Grenzen schützen können.
Davon sind wir weit weg.
Wir sind nicht einmal ansatzweise dort! Das würde nämlich bedeuten, dass wir ein massives Umdenken brauchen und eine massive Ausrüstung. Das würde bedeuten, dass alle Männer – und wenn sich das nicht ausgehen würde, auch alle Frauen – zu Hause ihre Gewehre haben und zu jedem Zeitpunkt einsatzfähig sind, um unsere Grenzen zu verteidigen. Ich bezweifle, dass die Österreicher das gerne machen würden, denn sie haben nicht unbedingt eine hohe Wehrbereitschaft. Pazifismus und Neutralität sind also eigentlich Gegensätze. Aber in Österreich tun wir gerne so, als wären wir eine Insel der Seligen. Aber es ist einfach nicht so.
Will das die FPÖ, wenn sie von der „Festung Europa“ spricht?
Ich bin nicht überzeugt, dass sie das will. Das würde bedeuten, auch einen Grundwehrdienst für Frauen einzuführen. Das würde die FPÖ nicht durchziehen. Die Festung Europa ist eine Plattitüde, ein politisches Bild. Aber ein starkes, gemeinschaftliches Europa – das ist die Grundidee der Europäischen Union. Und da steckt unsere Lösung drin. Das ist kein Widerspruch zur Neutralität, aber ein klares Bekenntnis zum Friedensprojekt Europa. Es spricht ja niemand von einer Angriffsarmee, wir wollen nicht die Weltpolizei sein. Wir müssen unsere Sicherheit und unseren Wohlstand verteidigen.
Die große Angst hinter dieser Zusammenarbeit ist ja, dass am Ende Österreicher kämpfen müssen, wenn Frankreich in den Krieg zieht.
Ängste muss man ernst nehmen, aber ja, es stimmt, das bedeutet am Ende auch mehr europäische Außenpolitik. Und ganz ehrlich: Das würde der Welt auch nicht schaden. Eine gemeinsame europäische Stimme, eine europäische Armee müsste primär für die Friedenssicherung in der Europäischen Union zuständig sein. Und das muss doch unser oberstes Ziel sein.
Wie geht es nach der EU-Wahl weiter? Wird es dann leichter oder schwieriger, europäisch zusammenzuarbeiten?
Ich hoffe leichter. Aber der Aufwind der Nationalisten in Europa ist absehbar. Natürlich gibt es Probleme in Brüssel, und natürlich beschäftigen wir uns zu viel mit Nebensächlichkeiten und reden über die Gurkenkrümmung. Aber du kannst entweder sagen „Alles schlecht, also Veto, Veto, Veto“, aber was bewirkt das? Das ändert genau gar nichts, das konserviert den Ist-Zustand. Oder du sagst: Ich nehme es selbst in die Hand. Ich will dieses Europa weiterentwickeln. Wir Liberale sind dazu bereit. Ich bin nicht blind gegenüber Umfragen, aber ich hoffe, dass es ein klares Bekenntnis für mehr Europa gibt. Und dafür werde ich mit vielen anderen in den nächsten Monaten kämpfen.
Wenn es eine proeuropäische Mehrheit im EU-Parlament gibt, die sich dementsprechend auf die Kommission auswirken würde: Wie sollte die EU-Politik deiner Meinung nach aussehen? Was ist deine Vision?
Es gibt eine klare Stimme, eine Person, die für Europa spricht, und eine Strategie, wie wir zu mehr gemeinsamer Sicherheits- und Außenpolitik kommen. Das bedeutet ein starkes europäisches Bündnis und eine EU-Armee. Das wird nicht von heute auf morgen gehen – Armeen sind große Verbünde, wir haben vorher schon über Beschaffung geredet. Und es braucht auch einen starken europäischen Wirtschaftsstandort, da ist auch viel zu tun. Da müssen wir durch Freihandel Akzente setzen, um unseren Wohlstand zu gewährleisten. Wohlstand ist eine sicherheits- aber auch eine industriepolitische Frage, und unsere Abhängigkeit hat in den letzten Jahrzehnten zugenommen.
Wir brauchen Unabhängigkeit – wirtschaftlich, aber auch sicherheitspolitisch. Die Alternative dazu ist, den Status quo zu konservieren, wie die FPÖ es will. Aber dann sind wir von Russland und Donald Trump abhängig. Und das können wir nicht wollen.