Der Kampf der europäisch verbundenen Waffen
Wenn man die politische Debatte um Österreichs Neutralität verfolgt, könnte man meinen, Österreich habe sich bereits entschieden, wie ein Fels in der Brandung der gefährlichen Welt mutig trotzen zu wollen. Wir werden mit unserem neuen Verteidigungsbudget – dem höchsten in der Geschichte der Republik – unser Bundesheer so aufstellen, dass wir unsere Souveränität gegen alle möglichen Feinde alleine verteidigen können. Und zwar mit dem Milizheer, für das wir uns in grauer Vorzeit entschieden haben, ohne Allianzen oder Partner.
Die Realität ist eine andere. Die Österreicher:innen lieben ihr Bundesheer, wie Umfragen immer wieder zeigen. Die gleichen Umfragen zeigen aber auch, dass sie es nicht so sehr lieben, dass sie selbst eine Waffe in die Hand nehmen wollen würden. Nicht einmal einer von fünf Österreichern sagt, dass er im Ernstfall für sein Land kämpfen würde.
Keine starke, eigenständige Miliz
Auch die Zahl derjenigen, die sich nach dem Grundwehrdienst freiwillig für Milizeinsätze weiterverpflichten, ist verschwindend klein und kommt nicht an die 10 Prozent heran. Auch hier ist noch mitzubedenken, dass ein immer geringerer Teil der männlichen Bevölkerung wehrtauglich ist und von diesem Teil sich noch gut die Hälfte für den Zivildienst entscheidet. Für ein wahres Milizheer bleibt da so gut wie nichts übrig.
Und auch beim Verteidigungsbudget liegt die Würze im Vergleich: Während die Aufstockung des Verteidigungsetats im Vergleich zu vergangenen Jahren beachtlich ist – ein Fünftel mehr gegenüber 2022 – so geben wir doch nicht einmal 0,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für unser Militär aus. Tendenz steigend, aber nur auf 1 Prozent bis 2026. So wirklich verteidigungsfähig werden wir da wohl nicht.
Letztendlich verstehen die Politiker:innen, die von Österreichs eigenständiger Verteidigungsfähigkeit reden, die Realität genau. Bundeskanzler Karl Nehammer freut sich darüber, dass die europäischen Partner uns im Falle eines Angriffs aufgrund der Solidaritätsklausel der Europäischen Union zu Hilfe eilen müssten, während wir – Neutralität und irischer Klausel sei Dank – selbst entscheiden können, wie wir die Solidarität auslegen, wenn ein anderes europäisches Land uns um Hilfe bittet.
Verteidigungsministerin Klaudia Tanner sagt gerne, dass Österreich selbstverständlich bei europäischen Verteidigungsinitiativen dabei sei, laviert dann aber ebenso gerne bei Fragen nach der genauen Ausgestaltung unseres Dabeiseins herum. Und die allermeisten Offiziere in Uniform sehen sich als Teil eines größeren europäischen Ganzen – und sagen das auch viel unverblümter als ihre politische Führung.
Hin und Her bei Sky Shield
Österreich hat sich nun letztendlich doch dazu bekannt, an Sky Shield teilzunehmen. Dieses Projekt soll den Luftraum über Europa gegen Raketen schützen. An einer gemeinsamen europäischen Lösung führt kein Weg vorbei, kaum ein europäischer Staat könnte dieses Unterfangen alleine lösen. Es braucht Radarstationen tausende Kilometer voneinander entfernt, Satelliten und extrem teure Elektronik. Daher der deutsche Vorstoß, ein gemeinsames europäisches Projekt zu starten – mit Großbritannien als Partner der EU-Mitglieder.
Österreich könnte hier bequem Trittbrett fahren: Denn keine feindliche Rakete kann in unseren Luftraum eindringen, ohne zuerst durch den eines NATO- oder EU-Staats fliegen zu müssen und dort abgefangen zu werden. Insofern ist das Bekenntnis zur aktiven Teilnahme lobenswert.
Das Resultat ist, dass wir weiterhin alle Waffengattungen (außer high-altitude Raketenabwehr, wie es scheint) selbst aufstellen und erhalten und dadurch wenig Geld auf viele Teilbudgets verteilen müssen. Die Folge ist, was der Engländer jack of all trades, master of none nennt: Wir haben von allem ein bisschen, aber gut zu sein können wir uns nirgendwo leisten.
Dennoch, Verteidigungsministerin Tanner schickte ihrer Zusage sofort die Erklärung hinterher, dass man bei der Luftraumüberwachung selbstverständlich eigenständig bleiben werde. Eine feindliche Rakete darf also in einer Allianz abgefangen werden, einen feindlichen Kampfjet muss unsere Luftwaffe aber eigenständig bekämpfen.
Kampf der verbundenen Waffe
Die Alternative, teure Waffengattungen wie Kampfjets aufzugeben, unseren Luftraum in der europäischen Allianz zu verteidigen, geht aber selbst einigen Pro-Europäern zu weit. Ihr Argument lautet, jeder Staat muss sich in eine aufwachsende europäische Truppe mit allen Waffengattungen – also im Kampf der verbundenen Waffen – einbringen können. Andernfalls würde sich jeder Staat die eine oder andere Fähigkeit aussuchen, die er billig und risikolos erfüllen kann, und die gemeinsame Armee bestünde dann nur aus Pionieren oder ABC-Abwehrzügen.
Die Kritik trifft auf die derzeitige Debatte in Österreich tatsächlich zu. Ministerin Tanner meint zum Beispiel, Österreich werde sich anschauen, was man wie in die schnelle europäische Eingreiftruppe Rapid Deployment Capacity einbringen werde. Es bleibt realistischerweise anzunehmen, dass es sich nicht um Kampftruppen an vorderster Front handeln wird – sondern um ein paar Logistiker, eine kleine Zahl Pioniere und einen Zug von ABC-Fachkräften.
Arbeitsteilung in der Verteidigungspolitik
Dieses Modell ist es aber nicht, was Allianzarmeen und Partner ausmacht. Der Kampf der verbundenen Waffen unter verschiedenen Flaggen funktioniert in der NATO seit langer Zeit ausgezeichnet. So hat Slowenien z.B. keine Luftraumverteidigungsfähigkeit und auch keinen Plan, eine aufzubauen. Ungarn und Italien schützen Sloweniens Luftraum, der (wie der österreichische) klein ist und inmitten der EU und der NATO liegt.
Die Benelux-Staaten verteidigen ihren Luftraum gemeinsam, und die drei baltischen Staaten lassen ihren Luftraum auf im Viermonatstakt rotierender Basis von NATO-Partnern verteidigen. Estland, Lettland und Litauen sind aber keinesfalls Trittbrettfahrer. Alle drei überschreiten die von der NATO geforderten 2 Prozent des BIP für Verteidigungsausgaben, sind federführend an der Unterstützung der Ukraine beteiligt und schützen mit ihren Armeen die Nordostflanke der NATO gegen Russland und Belarus.
Ihre Entscheidung, keine eigenen Luftwaffen aufzubauen, basiert auf einer gründlichen Überlegung der Kosten-Nutzen-Frage. Drei kleine Luftwaffen hätten minimale Auswirkungen auf die Fähigkeiten der NATO insgesamt, würden aber große Summen verschlingen, die in andere Waffengattungen besser investiert werden könnten.
Dieses Argument liegt auch der Idee der gemeinsamen europäischen Beschaffung zugrunde. Statt alles kleinteilig in jedem Land zu beschaffen, legt Europa zusammen und schafft damit Skalenvorteile. Das Prinzip kennt jedes erfolgreiche Unternehmen: Fokus auf eine Kernaufgabe bei gleichzeitiger Auslagerung von anderen Leistungen führt zu Effizienz und Erfolg.
Österreich braucht europäische Partner
Österreich hat keine Marine, weil es keine braucht. Kein feindlicher Zerstörer wird auf der Donau nach Wien kommen. Doch auch ohne maritime Kräfte könnte sich Österreich als echter Partner in die RDCs einbringen.
Genau das trifft auf eine eigene Luftwaffe zu. Wenn wir wollen, können wir den Kampf der verbundenen Waffe mit unseren europäischen Partnern koordinieren, üben und exekutieren. Die Kampfjets fliegen unter italienischer Fahne, die Panzer fahren unter deutscher, und die Jägerbataillone tragen ein rot-weiß-rotes Abzeichen auf der Schulter.
Das Bundesheer hat eine Kooperation mit der Nationalgarde von Vermont. Vermont gilt als der am wenigsten hochgerüstete Bundesstaat der USA. Eine Kooperation mit den baltischen Staaten wäre möglicherweise ebenso lehrreich. Zumindest, was den Kampf der verbundenen alliierten Waffen angeht.