Durch dieses Loophole wäre Ibiza weiterhin möglich
Fast vier Jahre nach dem Ibiza-Video wurde am 7. Juli 2023 das „Korruptionsstrafrechtsänderungsgesetz“ im Nationalrat verabschiedet – das Korruptionsstrafrecht soll also verschärft werden.
Das Gesetz wurde von der Regierung als „das strengste Anti-Korruptionsgesetz der Welt“ bezeichnet. Ob diese Bezeichnung angemessen ist, konnte bisher niemand bestätigen, handelt es sich dabei doch auch um eine Definitionsfrage: In Thailand ist beispielsweise als Bestrafung für Bestechlichkeit die Todesstrafe vorgesehen, die Sanktionen für Korruptionsdelikte sind da in Österreich weit weniger streng – und das ist auch gut so.
Viel wichtiger wäre eigentlich die Frage, ob es sich um das treffsicherste Antikorruptionsgesetz der Welt handelt – und die ist wohl mit Nein zu beantworten.
Warum ein neues Gesetz überhaupt notwendig ist
Die wichtigsten Änderungen des neuen Gesetzes sind die Einführung der Strafbarkeit der sogenannten Kandidatenbestechung und die Einführung des neuen Straftatbestandes „Mandatskauf“, der es in Zukunft strafbar machen soll, wenn im Zusammenhang mit Mandatszuteilungen Geld fließt. Dazu kommen empfindliche Strafverschärfungen für Korruptionsdelikte. Eine Reaktion auf Ibiza. Aber reicht das auch aus?
Laut den Erläuterungen zum Gesetz erscheinen die geltenden Regelungen zur Korruptionsbekämpfung im Hinblick auf künftige Amtsträger:innen, die bisher nicht von der Strafbarkeit im Korruptionsstrafrecht umfasst sind, spätestens seit Bekanntwerden des Ibiza-Videos nicht mehr ausreichend. Vor allem fehlte bisher eine Regelung, mit der Bestechlichkeit auch für Personen strafbar wird, die noch kein politisches Amt innehaben, sondern eines anstreben – also Kandidat:innen.
Verbotene Bestechlichkeit durch Loophole
Kandidat:in für ein Amt ist, wer sich in einem Wahlkampf zu einer Funktion als Amtsträger:in befindet, sofern die Erlangung der Funktion nicht gänzlich unwahrscheinlich ist. Der Wahlkampf beginnt – im Fall einer Neuwahl – mit dem Neuwahlbeschluss.
Das kann zu folgendem Szenario führen: In einer Koalition hängt der Haussegen schief. Die Regierungsparteien streiten ununterbrochen, es ist für jede:n politische:n Beobachter:in klar erkennbar: „Das geht sich nicht mehr lange aus.“ Das nimmt eine Politikerin, die sich eines Platzes auf der Mandatsliste ihrer Partei sicher sein kann, zum Anlass, einem Freund folgenden Deal zu unterbreiten: Sollte sie im Fall einer Neuwahl Abgeordnete werden, wird sie sich für die Verabschiedung eines Gesetzes einsetzen, von dem die Firma des Freundes enorm profitieren wird. Im Gegenzug soll der Freund ihr einen mehrstelligen Betrag bezahlen.
Diese Abmachung wäre rechtswidrig – aber erst, wenn Neuwahlen beschlossen sind. Zwei Tage vor dem Beschluss würde diese Abmachung ohne Konsequenzen bleiben.
Im Strafrecht wird das Prinzip der „ultima ratio“ verfolgt. Das heißt, das Strafrecht kommt entsprechend dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als letztes Mittel zum Einsatz. Es ist daher durchaus nachvollziehbar, dass nicht scherzhaft im Wirtshaus getätigte Aussagen, wonach eine Person im Lokal der anderen „etwas schuldet“, falls dieser jemals Minister wird, kriminalisiert werden sollen. Die Lösung der Regierungsvorlage, die Strafbarkeit mit einem bestimmten Stichtag zu verknüpfen, mutet trotzdem etwas kurios an.
Neues Gesetz mit offenen Baustellen
Ebenfalls im Rahmen des Begutachtungsverfahrens stark kritisiert wurde die Tatsache, dass nur die Bestechlichkeit auf Kandidat:innen ausgeweitet wurde, nicht aber die Vorteilsannahme. Was ist der Unterschied?
- Bei der Bestechlichkeit nimmt ein:e Amtsträger:in einen Vorteil an und stellt im Gegenzug in Aussicht, ein pflichtwidriges Geschäft durchzuführen. Pflichtwidrig verhält man sich immer dann, wenn man konkreten Amts- oder Dienstpflichten zuwiderhandelt.
- Bei der Vorteilsannahme wird ein Vorteil für die Durchführung eines pflichtgemäßen Geschäfts angenommen. Beides ist schon nach bisheriger Rechtslage für Amtsträger:innen strafbar. Dass für Kandidat:innen das In-Aussicht-Stellen der Durchführung eines pflichtgemäßen Geschäfts gegen einen Vorteil erlaubt sein soll, stieß im Begutachtungsverfahren auf Unverständnis.
Ebenfalls sehr negativ wurde die Einführung einer „objektiven Bedingung“ der Strafbarkeit aufgenommen. Das bedeutet: Die Strafbarkeit tritt nur dann ein, wenn man tatsächlich in das angestrebte Amt kommt. Das ermöglicht es Kandidat:innen für ein Amt, alle möglichen dubiosen Geschäfte für den Fall ihrer Wahl abzuschließen. Sollte etwas davon an die Öffentlichkeit gelangen, kann man die Kandidatur ja einfach zurückziehen – und entgeht damit der Strafbarkeit.
Die Korruptionsdelikte im Strafgesetzbuch sind dadurch geprägt, dass die Strafbarkeit unabhängig davon eintritt, ob das Amtsgeschäft tatsächlich ausgeführt wird. Daher sollte auch eine Strafbarkeit unabhängig davon eintreten, ob die Stellung als Amtsträger:in tatsächlich erlangt wird. Der Unwert der Handlung liegt ja gerade darin, dass ein Täter von einer anderen Person ein Amtsgeschäft „kaufen“ möchte oder diese bereit ist, es zu „verkaufen“ – egal ob die Amtsträgerschaft dann tatsächlich erlangt wird oder nicht.
Ausnahmen beim Mandatskauf
Diese Änderung im Korruptionsstrafrecht bringt auch die Strafbarkeit des Mandatskaufs: Verantwortungspersonen in Parteien machen sich in Zukunft strafbar, wenn sie für die Einflussnahme auf die Zuteilung eines Mandats für sich oder einen Dritten ein Entgelt fordern, annehmen oder sich versprechen lassen.
Das neue Verbot kennt aber eine Reihe von interessanten Ausnahmen: So soll es etwa ausdrücklich erlaubt sein, einer Person eine Ausgleichszahlung zu zahlen, damit diese auf ihr Mandat verzichtet. Dabei handelt es sich laut den Materialien zum Gesetzesentwurf um „durchaus übliche Vorgänge nach einer Wahl“. Vom strengsten Korruptionsstrafrecht der Welt wäre zu erhoffen gewesen, dass es derartige Deals in Zukunft unmöglich macht. Könnte man doch eigentlich erwarten, dass im Zusammenhang mit Mandaten überhaupt kein Entgelt fließen soll.
Korruptionsstrafrecht: Streng nur in der Theorie
Insgesamt wurde die Vorlage des Gesetzes vom Team des Antikorruptions-Volksbegehrens zwar als ein erster Schritt in die richtige Richtung bezeichnet, im Detail wurden die Regelungen jedoch insbesondere vonseiten der Justiz und mehreren Strafrechtsexpert:innen sehr kritisch gesehen. Der Leiterin der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft zufolge werden der Korruptionsbekämpfung in diesem Entwurf sogar „die Zähne gezogen“.
Nun wird in der Praxis zu beobachten sein, ob es überhaupt zu Anklagen nach diesen neuen Bestimmungen kommen wird – und wie sich dieses nur angeblich „strengste Anti-Korruptionsgesetz der Welt“ in der Praxis auswirkt.