Energiewende: Was wir von den Niederlanden lernen können
Vor ein paar Jahren noch waren die Niederlande für vieles ein Vorzeigeland – der Ausbau von erneuerbaren Energien war nicht dabei. Bis 2017 dümpelte der Anteil des Stromverbrauchs, der aus erneuerbaren Quellen gewonnen wird, bei 5 Prozent herum.
Seitdem hat sich einiges getan. Die nachhaltige Stromproduktion hat sich verdreifacht, die Produktionskurven von Wind- und Solarenergie zeigen steil nach oben, und 2022 produzieren die Niederlande erstmals mehr Ökostrom als das wasserkraftreiche Österreich.
Pläne für eine fossilfreie Zukunft
Und genauso rasant soll es weitergehen: Bis 2030 wollen die Niederlande mehr als 70 Prozent ihres Stromverbrauchs aus erneuerbaren Quellen beziehen. Gelingen soll das vor allem durch Windparks am Meer, aber auch durch Photovoltaik und Windkraft am Land. Ein Ziel, das auch einer wissenschaftlichen Überprüfung standhält – statt den nötigen 35 TWh Ökostrom planen die regionalen Energiebehörden 55 TWh an Mehrproduktion. Ein Ziel, das sie laut der nationalen Agentur zur Analyse von Umweltauswirkungen selbst bei Ausfällen von geplanten Projekten erreichen werden.
Die langfristige Energiestrategie liest sich noch abenteuerlicher: Zwischen 2030 und 2050 soll sich die Kapazität von meerbasierter Windkraft noch einmal mehr als verdreifachen. In der Nordsee soll nicht nur Strom im großen Stil erzeugt werden, sondern auch Wasserstoff, der als Ersatz für Gas in Industrieprozessen zum Einsatz kommt. Auch eine verstärkte Zusammenarbeit mit Deutschland, Belgien und Dänemark in der Produktion und Distribution von Ökostrom zur Stabilisierung des Systems steht auf dem Plan.
Wasserkraft-Europameister Österreich
Aber hat Österreich das nicht schon längst erreicht? Wir hören ja hin und wieder, wie hoch der Anteil an Ökostrom – vor allem Wasserkraft – bei der österreichischen Stromproduktion ist. 2020 kamen fast mehr als 80 Prozent der heimischen Stromproduktion aus erneuerbaren Quellen. Dieser Prozentsatz ist allerdings trügerisch, denn Produktion ist nicht gleich Verbrauch. In Österreich produzieren wir vor allem im Winter bei weitem nicht genug Strom, um unseren eigenen Verbrauch zu decken. In den kalten Monaten kaufen wir massiv Strom aus fossilen Quellen aus dem Ausland zu.
Leider vermitteln falsch gelesene Produktionsdaten, Lobeshymnen auf die österreichische Wasserkraft und Feelgood-Werbespots von Stromanbietern ein völlig falsches Bild: Die Ökostromproduktion stagniert in Österreich seit Jahren.
Wasserkraftpotentzale sind weitestgehend ausgeschöpft, und die Ausweitung von Solar- und Windkraft geht langsam bis gar nicht voran. Österreich hat sich lange auf dem Image als Wasserkraft-Vorzeigeland ausgeruht und kaum in andere Richtungen innoviert und investiert. Dazu kommen Landeshauptleute, die sich querlegen – wie die abwesenden Windräder in Tirol zeigen – und der Unwille, ein Klimaschutzgesetz auf Bundesebene vorzulegen.
Eigentlich hat sich Österreich zum Ziel gesetzt, bis 2030 seinen Strom zu 100 Prozent aus erneuerbaren Quellen zu beziehen. 4.682 Photovoltaikanlagen und neun Windräder müssten pro Monat gebaut werden, um dieses Ziel zu erreichen. Mit dem Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz und den geplanten Erleichterungen in der Genehmigung von erneuerbaren Energieprojekten sind erste Schritte gesetzt, so richtig in die Gänge gekommen sind die österreichischen Bestrebungen aber noch nicht. In den regnerischen Niederlanden betrug die Stromproduktion aus Photovoltaik 2021 12 TWh, in Österreich kamen wir auf gerade mal 2 TWh. Statt steil nach oben zu zeigen, schunkeln die Produktionskurven von Wind- und Solarenergie auf niedrigem Niveau dahin.
Was haben die Niederlande, das Österreich nicht hat?
In den Niederlanden fühlt man die Dringlichkeit – 26 Prozent des Landes liegen unter dem Meeresspiegel, darunter Metropolen wie Amsterdam, Rotterdam und Den Haag. Nach der Flutkatastrophe von 1953 wurde ein Schutzsystem gegen Hochwasser und Sturmflut errichtet. Die Deltawerke haben bis jetzt ihre Versprechen gehalten. Gegen einen Anstieg des Meeresspiegels von zwei Metern, wie er bei einer Erwärmung von 2 °C bis 2100 vorhergesagt wird, wären sie allerdings chancenlos – 1953 dachte man fälschlicherweise noch, dass ein Buffer von 40 cm vollkommen ausreichen muss.
Bereits vor dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine war in den Niederlanden also klar, dass Klimaschutz oberste Priorität hat. 2019 wurde darum ein Klimavertrag zwischen Behörden, Wirtschaft und gemeinnützigen Organisationen geschlossen, der festlegt, was alle Beteiligten tun müssen, um bis 2030 den niederländischen CO2-Ausstoß zu halbieren.
Die dortige Ökostromproduktion wird konkret mit zwei Maßnahmen angekurbelt: einerseits indem sie ihre Fördersysteme, insbesondere für Solarstrom, massiv erhöht haben. Andererseits hat die Regierung Flächen an Land und im Meer für den Ausbau von Windparks zur Verfügung gestellt und mittels Ausschreibungen Energieanbieter eingeladen, auf diesen Flächen Windkraftanlagen zu bauen.
In den Niederlanden heißt die Devise: Echte Pläne statt halbherzigen Maßnahmen und grüngewaschenem Marketing. Die niederländische Politik gibt beim Ökostrom wirklich Gas – oder eher Wind, Sonne und Biomasse.
Die gute Nachricht: Das können wir auch! Wir haben zwar keine Nordsee, allerdings noch einige ungenutzte Potenziale in der Photovoltaik und Windenergie. Was jetzt noch fehlt, ist das politische Commitment – dabei hätten wir mit Klimawandel und dem Drohszenario eines Gaslieferausfalls zwei richtig gute Gründe, auch Wind, Sonne und Biomasse zu geben, wie unsere niederländischen Nachbar:innen.