EU-Mitgliedschaft: Österreichs bestes Investment
Österreich ist eines der EU-skeptischsten Länder Europas. Und das, obwohl wir im Durchschnitt nur 114 Euro pro Kopf für die EU-Mitgliedschaft bezahlen – aber fast 4.000 Euro herausbekommen. Ein Investment, dessen Werbung man wohl eher für einen Krypto-Scam halten würde als für eine echte Chance.
Die Analogie kommt von Lukas Sustala, Leiter des Thinktanks des NEOS Lab, der pinken Parteiakademie. Gefallen ist sie beim Event „Future-proofing the EU Budget“, also „das EU-Budget zukunftsfit machen“, organisiert vom Europäischen Liberalen Forum (ELF). Expertinnen und Experten aus Wirtschaft und Geopolitik waren zu Gast, um die größten Herausforderungen der europäischen Politik der nächsten Jahre zu schildern – und der Frage nachzugehen, warum ein derart gutes Investment einen so schlechten Ruf hat. Immerhin wird sich bei der EU-Wahl am 9. Juni entscheiden, in welche Richtung die Reise gehen wird. Und eine Partei, die aus der EU austreten will, dürfte Zugewinne feiern.
Den Start der Veranstaltung macht Monika Köppl-Turyna vom Wirtschaftsforschungsinstitut EcoAustria. In ihrer Keynote fokussiert sie sich auf drei Zukunftsaufgaben, in denen die Europäische Union „öffentliche Güter“ liefern müsste: Klimaschutz, Forschung & Entwicklung und Sicherheit.
Ökonomin zeigt Schwerpunkte für die Zukunft
Klimaschutz klingt nach einer Aufgabe, die auf EU-Ebene de facto gelöst ist, immerhin findet man im europäischen Budget unter dem Schlagwort 50 Milliarden Euro. Ein Großteil davon sei aber für die Landwirtschaft vorgesehen, wo es in Subventionen fließe, warnt Köppl-Turyna vor einer zu optimistischen Sichtweise. Dazu komme, dass die Zusagen wesentlich höher sind als die tatsächlichen Auszahlungen. Eine große Chance sieht sie im Ausbau zu einer Energieunion: Durch gemeinsame Infrastruktur und grenzüberschreitenden Ausgleich im Energiebereich könnte die EU 3,9 Milliarden Euro im Jahr sparen, eine komplett integrierte Energieunion würde bis 2030 ganze 43 MilliardenEuro an Kosten sparen.
Forschung & Entwicklung ist ein potenzieller Wettbewerbsvorteil für Europa, immerhin wird hier schon viel getan. Aber trotz einiger Förderungen schaffe es die Europäische Union noch nicht, innovative Firmen groß zu machen, kritisiert Köppl-Turyna: Im Bereich Forschung falle man hinter die USA und China zurück, wie man etwa an der Anzahl an Patenten sehe. Aktuell sei die EU vor allem gut darin zu regulieren – etwa durch den AI Act oder die Datenschutzgrundverordnung. Das alleine könne aber Innovation hemmen: Es brauche mehr Geld für Grundlagenforschung, gerade für die, die eventuell riskant ist und sich nicht sofort rentiert. Auch mehr Risikokapital, Forschung im Rahmen der Industrie und europäischer Austausch im Bildungsbereich würden helfen, in Sachen Forschung wieder aufzuholen.
Sicherheit ist ein weiterer Bereich, in dem sich ein Kernproblem der EU zeigt: Trotz großer Ausgaben – die EU-27 geben immerhin 300 Milliarden Euro für ihre Verteidigung aus, mehr als China oder Russland – sei die Verteidigungsfähigkeit niedrig. Gemeinsame Beschaffung, koordinierende Armeen und der (Wieder-)Aufbau der europäischen Rüstungsindustrie könnten Abhilfe schaffen: Immerhin kommen 78 Prozent der beschafften Rüstungsgüter von nichteuropäischen Herstellern.
Monika Köppl-Turyna (© Stefan Sachim)
WIFO-Chef fordert: „Europa muss sich rechnen“
Die zweite Keynote kommt von Gabriel Felbermayr, dem Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts WIFO, der vor kurzem ein Buch mit dem Titel „Europa muss sich rechnen“ geschrieben hat. Er beginnt mit einer Statistik, die ihm bedenklich scheint: Dass es in Österreich so viele gebe, die kein gutes Bild von der Europäischen Union hätten. Und er rechnet vor: Für die 114 Euro, die wir im Schnitt pro Kopf für die Mitgliedschaft in der Union ausgeben, bekommen wir etwa 3.900 Euro an Vorteilen zurück. Nur in Belgien und den Niederlanden fällt diese Rechnung noch positiver aus.
Worin ist dann die EU-Skepsis in Österreich begründet? Unter anderem darin, dass makroökonomische Vorteile zu abstrakt wären, so Felbermayr. Statt Geld über Subventionen auszuschütten, sollte sich die Union auf die öffentlichen Güter konzentrieren, die auch schon Köppl-Turyna angesprochen hat. Ein gutes Beispiel sei etwa der Bahnausbau: In Deutschland sind gerade die Grenzregionen nicht gut mit dem Zug angeboten, im Vergleich mit dem Flugzeug verliert die Bahn momentan noch deutlich. Infrastruktur, Grenzschutz, Forschung, gemeinsame Institutionen wie die European Space Agency: Das sind konkrete Vorteile, auf die man zeigen kann – und davon bräuchte es mehr.
Ein gutes Argument in der Debatte mit EU-Skeptikern sei der Brexit: Das Land, das immerhin noch prädestiniert für den EU-Austritt war, da es über einen großen eigenen Markt verfügt, verlor kaufkraftbereinigt 9 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts. In Österreich würde ein Öxit ein Minus von 8 Prozent bedeuten, zwei Drittel davon würden sich durch den Austritt aus dem Binnenmarkt erklären. Dieser schaffe nach wie vor den meisten Wohlstand für die Bürgerinnen und Bürger Europas – brauche aber eine Weiterentwicklung.
Gabriel Felbermayr (© Stefan Sachim)
Worin die EU-Skepsis begründet ist – und wie man sie lindern kann
In den an die Keynotes anschließenden Diskussionsrunden geht es vor allem um die Frage, wie man die Vorteile der Europäischen Union stärken kann. Helmut Brandstätter, NEOS-Spitzenkandidat bei der EU-Wahl, erklärt dabei das schlechte Image der EU damit, dass heimische Politikerinnen und Politiker hauptsächlich die Geschichte erzählen, „nach Brüssel“ zu gehen, um „etwas zurückzuholen“. Die vielen Vorteile der Mitgliedschaft werden nicht betont, vielmehr wird die Erzählung des österreichischen Föderalismus wiederholt: Die Landeshauptleute holen sich die Steuereinnahmen ab und verteilen sie nach Belieben.
Eine Lösung sieht Gabriel Felbermayr darin, gemeinsame Aufgaben auf EU-Ebene zu regeln. So könne man auf konkrete Erfolge verweisen, etwa den Infrastruktur-Aufbau, und genieße gleichzeitig wirtschaftliche Vorteile: Entweder man habe den gleichen Vorteil wie sonst, dann sei er aber günstiger, oder man habe größere Vorteile für den gleichen Preis. Die Verlagerung gemeinsamer Aufgaben auf die europäische Ebene würde auch die nationale Politik entlasten und Spielräume in Budgets schaffen, da man Effizienzvorteile schaffen könne – auch in der Krisenbekämpfung, die in den vergangenen Jahren immer wieder aktuell war.
Für manche Bereiche fehle aber einfach der politische Wille und „Leadership“, wie Geopolitik-Expertin Velina Tchakarova erklärt. Die Sicherheitspolitik etwa sei ein Waisenkind der europäischen Politik, die Ausgaben dafür bezeichnet sie als „Peanuts“. Ihr Beispiel: Wenn sich die USA außenpolitisch in Richtung Asien orientieren, müsse die EU ihre Sicherheit selbst verantworten – und dass das passiere, sei unabhängig von der nächsten US-Präsidentschaftswahl. Ob es um die Abhängigkeit von russischem Gas oder mehr Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich gehe: Je früher und je gemeinsamer man diese Entscheidungen treffe, desto weniger teuer werden sie in der Zukunft.
Helmut Brandstätter, Velina Tchakarova, Ailbhe Finn, Gabriel Felbermayr (v.l.n.r.; © Stefan Sachim)
Fazit und Ausblick
Die große, vollumfängliche Reform der Europäischen Union kann auch diese Veranstaltung leider nicht liefern. Aber die Expertinnen und Experten stellen einige Ideen vor, die wohl eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung befürworten würde. Gabriel Felbermayr nimmt etwa genau diese als Argument: Die EU solle sich darauf konzentrieren, was die Bürgerinnen und Bürger von ihr wollen. Was das sei, wisse man aus Eurobarometer-Umfragen, und oft handle es sich dabei um Bereiche wie Infrastruktur, Sicherheit und Klimaschutz. Im Budget wären diese Prioritäten nicht ausreichend abgebildet.
Am Ende der Diskussion verweist Tchakarova auf ein Argument, mit dem man zumindest die Vorteile der EU ansprechend veranschaulichen könne. Sie nimmt einen Vergleich zwischen Polen und der Ukraine nach dem Fall der Sowjetunion. Während Letztere auch vor der russischen Invasion kein wirtschaftliches Vorzeigeland war, habe Polen eine beeindruckende Entwicklung durchgemacht: von einer osteuropäischen Planwirtschaft hin zu einer modernen Ökonomie, die sogar große europäische Länder wie Italien oder Spanien einholen könne. Das sei vor allem durch die Mitgliedschaft in der Union zu erklären.
In einem ist sich die Runde also einig: Die Europäische Union ist das beste Investment, das man sich vorstellen kann – ob wirtschaftlich oder geopolitisch. Mit diesem Argument schließt Moderator Lukas Sustala die Runde und verweist auf die Notwendigkeit eines starken EU-Budgets: Denn wenn die Prioritäten der Zukunft sich nicht auch darin widerspiegeln, bleibt ein Europa, das in sinnvollen Bereichen zusammenrückt, ein schöner Traum.