Wettbewerbsfähigkeit gibt’s nur durch mehr Wettbewerb
Ein Wort ist in Europa gerade in aller Munde: Wettbewerbsfähigkeit. Sei es Christian Lindner, Emmanuel Macron, Ursula von der Leyen oder Viktor Orbán – alle sprechen davon. Auch im österreichischen politischen Diskurs ist dieses Buzzword inzwischen allgegenwärtig, von Karl Nehammers Kanzlerrede bis hin zu den grünen und roten Wahlprogrammen für die EU-Wahl.
Verbunden wird dieses Wort mit einem Gefühl der Dringlichkeit, vergrößert noch durch den Verweis auf das schwache Wirtschaftswachstum der Eurozone und der Gefahr, von China und den USA endgültig wirtschaftlich abgehängt zu werden. Und das zu Recht.
Europa fällt zurück
Europa steht heute tatsächlich vor einem Scheidepunkt. Das Wirtschaftswachstum in Westeuropa ist kaum mehr vergleichbar mit dem der USA – und schon gar nicht mit dem Chinas. Hinter diesen Zahlen verstecken sich aber noch schlechtere: Die Produktivität in der Europäischen Union ist seit der Covid-19-Krise nur um maue 0,6 Prozent gestiegen – insgesamt. Der amerikanische Vergleichswert liegt mehrfach höher.
Insgesamt ist das amerikanische BIP pro Kopf zwischen 1993 und 2022 um 60 Prozent gestiegen, während derselbe Wert in Europa nur um 30 Prozent gewachsen ist, vom chinesischen Wachstum ganz zu schweigen. Europa fällt also wirtschaftlich zurück. Das zeigt sich insbesondere in zukunftsweisenden Sektoren. Emblematisch dafür sind digitale Dienstleistungen. Von den sechs Onlineriesen, die aufgrund ihrer besonderen Marktmacht vom neuen Digital Markets Act besonders betroffen sein werden, kommt kein einziger aus Europa.
Die Diagnose einer schwindenden europäischen Wettbewerbsfähigkeit ist also richtig. Und doch ist nicht alles, was glänzt, Gold – schon gar nicht im politischen Diskurs.
Wo Wettbewerbsfähigkeit draufsteht, ist nicht immer Wettbewerbsfähigkeit drin
Genauso wie es beim Klimaschutz zum sogenannten Greenwashing gibt, wird mit Wettbewerbsfähigkeit oft ein Etikettenschwindel betrieben. Unter dem Mantel der Wettbewerbsfähigkeit wird nach immer neuen Subventionen und Staatsfonds gerufen – zuletzt zum Beispiel von Andreas Babler.
Mit solchen Forderungen ist er aber in guter Gesellschaft: Vom deutschen Wirtschaftsminister Robert Habeck über den französischen Präsidenten Emmanuel Macron bis hin zum spanischen Premierminister Pedro Sánchez werden staatliche Förderprogramme als Lösungen für mehr Wettbewerbsfähigkeit verkauft. Oft geht es auch darum, sogenannte europäische Champions auszuwählen, die dann von lästigen wettbewerbsrechtlichen Vorgaben befreit und von Staaten mit Steuergeld aufgepeppt werden.
Die Ironie dahinter: Um Wettbewerbsfähigkeit zu fördern, wird der Wettbewerb in Europa geschwächt.
Das verkennt, wozu Wettbewerb dient: Um den österreichischen Wirtschaftswissenschaftler Joseph Schumpeter zu zitieren, ist Wettbewerb ein Prozess der „kreativen Zerstörung“. Was nicht funktioniert, wird aussortiert und durch Neues ersetzt. Dieser ständige Innovationsdruck macht die Stärke einer kapitalistischen Wirtschaft aus. Staatliche Subventionen lindern diesen Druck – sie können also bestenfalls kurzfristig für mehr Wettbewerbsfähigkeit sorgen, verschlimmern aber langfristig das Problem, nachdem Unternehmen dem Innovationsdruck weniger ausgesetzt sind. Ein deutscher Wirtschaftswissenschaftler hat das in einem Paper vor zwanzig Jahren einmal so zusammengefasst:
„Im Sport […] ist jedem klar, dass sich die Wettkampffähigkeit eines Athleten nicht durch Müßiggang und Sättigung, sondern nur durch ständiges Training und Teilnahme an Wettkämpfen aufrechterhalten und verbessern lässt.”
Die EU ist (wie immer) die Lösung
Was kann man also wirklich für mehr Wettbewerbsfähigkeit in Europa tun? Die naheliegendste Antwort ist mehr Wettbewerb. Und hier kommt der europäische Binnenmarkt ins Spiel.
Die Schaffung des Binnenmarkts hat schon einmal zu mehr Wettbewerbsfähigkeit geführt: Eine aktuelle Studie schätzt den Effekt des Binnenmarkts auf die Produktivität in den Mitgliedstaaten der EU auf 1,5 bis 3 Prozent.
Der Binnenmarkt ist jedoch noch lange nicht vollkommen verwirklicht. Einzelne (gar nicht so kleine) gallische Dörfer des Protektionismus harren weiter aus. Ein vertiefter Binnenmarkt würde es europäischen Unternehmen mit neuen Ideen ermöglichen, niederschwellig an Geldgeber aus ganz Europa zu kommen und ihre Produkte in der gesamten Union anzubieten.
Eine Möglichkeit ist hierbei die Kapitalmarktunion, von der schon seit Jahrzehnten gesprochen wird. Es ist sehr begrüßenswert, dass sie heute wieder zurück auf der Agenda ist. Hier ist nämlich viel zu tun: Es ist absurd, dass Kapitalmärkte in der EU noch weitgehend national organisiert sind. Gerade für Innovation ist es wichtig, dass junge Unternehmen niederschwelligen Zugang zu Risikokapital haben. 27 kleine Kapitalmärkte werden dem nicht gerecht.
Auch in anderen Feldern ließe sich der Binnenmarkt noch deutlich weiter vertiefen. Da gibt es zum Beispiel den Vorschlag eines europäischen Unternehmensgesetzbuchs, der Unternehmen Rechtssicherheit verschaffen und dadurch Expansion über die nationalen Grenzen hinaus vereinfachen würde. Oder auch die vereinheitlichte Zulassung von Medikamenten, die häufig noch Annerkenungsprozesse vor verschiedenen nationalen Behörden voraussetzt.
Alles in allem gibt es also genügend zu tun, um Europas Wirtschaft wettbewerbsfähiger zu machen. Mehr staatliche Subventionen und Vorschriften sind aber im allerseltensten Fall die Lösung.
FELIX SCHNABL ist Mitglied der Jungen Liberalen NEOS (JUNOS) und war für JUNOS Schüler:innen als Programmatiker tätig. Er studiert Europäisches Recht im Rahmen der European Law School, einer Kooperation der Université Panthéon-Assas in Paris, der Berliner Humboldt-Universität und des King’s College in London. Felix beschäftigt sich bereits seit mehreren Jahren mit dem Liberalismus und seinen Anwendungen in den verschiedensten Politikfeldern.