Fit for 55: Die Mühen der Ebene der Klimapolitik
Die Ansage war klar. Beim Leaders summit on climate, einem digitalen, globalen Staats- und Regierungschef:innen-Gipfel zum Klimaschutz im April 2021, präsentierte Ursula von der Leyen den Plan „Fit for 55“. Die EU-Kommissionspräsidentin stellte klar: Europa solle bis 2050 der erste klimaneutrale Kontinent der Erde werden.
Dazu will man bis 2030 den Ausstoß von Treibhausgasen in der EU um mindestens 55 Prozent gegenüber dem Level von 1990 senken. Die Natur könne sich den Preis des Untätigbleibens nicht mehr leisten, betonte sie. Mehr als ein Jahr ist seit der Präsentation vergangen, mit dem anlaufenden neuen Parlamentsjahr in Brüssel gehen die Verhandlungen zwischen den verschiedenen Playern in die nächste Etappe. Wie schwer wird eine Einigung zu erreichen sein? Und was wird am Ende übrig bleiben?
Die Floskel vom heißen politischen Herbst ist inzwischen so verbreitet wie Tee, dicke Wollsocken und Pumpkin Spice Latte. Was in den nächsten Wochen und Monaten allerdings in Brüssel ansteht, hat das Potenzial, tatsächlich hitzig zu werden. Es geht um nicht weniger als das zukünftige Mindestmaß an Klimaschutzpolitik, das die EU und ihre Mitgliedsländer sich für die nächsten Jahre bis 2030 auferlegen.
Nachdem Ende Juni die Umweltminister:innen der Mitgliedsländer sowie das EU-Parlament jeweils einen Vorschlag beschlossen haben, müssen diese beiden Seiten nun nach dem Regelwerk der Union über einen gemeinsamen Kompromissvorschlag verhandeln. Der Trilog besteht aus Vertreter:innen von EU-Kommission, EU-Parlament und EU-Minister:innenrat. Eine Deadline gibt es nicht, wobei alle Beteiligten betonen, dass es „wünschenswert“ wäre, wenn es eine Einigung und einen Beschluss noch in diesem Jahr gäbe.
Sieht man sich die Ausgangslage an, könnte sich allerdings herausstellen, dass dieses Ziel nur sehr schwer zu erreichen ist.
Ambition vs. nationale Sorgen
Vor allem das Kompromisspapier der EU-Umweltminister:innen dürfte in den Trilog-Verhandlungen für Konflikte sorgen. Während das EU-Parlament den Vorschlag der Kommission über weite Strecken akzeptierte und auf eine ambitionierte Umsetzung pocht, sieht es bei den Vertreter:innen der nationalen Regierungen differenzierter aus: Die Einigung der Minister:innen am 29. Juni war erst nach 17 Stunden zähen Verhandelns möglich gewesen. Ambitionierte Mitgliedsländer mussten Stück für Stück konkrete Vorgaben und Maßnahmen umformulieren, damit die Minister:innen von Ländern, die auf der Bremse stehen, mitgehen würden.
Für Aufregung sorgte unter anderem Deutschland, das als großer Autoproduzent Verwässerungen beim geplanten Ende des Verkaufs von Verbrennungsmotoren forderte. Mit dem Berücksichtigen von nationalen Interessen geriet man allerdings weiter und weiter vom ursprünglichen Vorschlag der EU-Kommission weg – was im Juni in den zähen Verhandlungen als machbarer Kompromiss durchging, könnte sich jetzt im Herbst im Trilog als Hürde in der Abstimmung mit Kommission und EU-Parlament entpuppen.
The world is watching (and burning)
Vor allem die EU-Kommission ist aber an einer schnellen Einigung interessiert. Man weiß, dass das Zeitfenster für eine Einigung enger wird, weil der Druck durch massiv steigende Energiepreise im herannahenden Winter den Appetit auf Maßnahmen, die den Preis für Energie in die Höhe treiben könnten, nicht größer macht. In Zeiten von Energiepreisdeckeln und Debatten über staatliche Eingriffe in den Energie- und Gasmarkt scheint der Fokus weg vom mittelfristigen Risiko des Klimawandels gerückt zu sein, obwohl erst dieser Sommer wieder einen Vorgeschmack auf die Zukunft gab – die ZAMG (Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik) spricht in einer ersten Beurteilung für Österreich vom zumindest viertwärmsten Sommer der Messgeschichte.
Die EU-Kommission will aber auch nicht mit leeren Händen vor die – interessierte – Welt treten. Im November findet die nächste Weltklimakonferenz der UNO in Sharm El-Sheikh in Ägypten statt, bei der der Fortschritt der Länder und Institutionen seit der letztjährigen Konferenz in Schottland festgehalten wird. Damals in Glasgow zeigte sich von der Leyen optimistisch, dass die EU 2022 den „Fit for 55“-Plan umsetzen würde. Wenn sie diesmal wieder nur mit Ankündigungen auftreten kann, wäre das eine Blamage und würde auch den Druck auf andere Länder senken. Es geht also – wieder einmal – um sehr viel.