Fünf Jahre später: Was wir (nicht) aus der Pandemie gelernt haben

Am 25. Februar 2020 wurden die ersten COVID-Infektionen in Österreich registriert, am 16. März begann der erste Lockdown. Eine Situation, die der zweiten Republik gänzlich neu war. Immerhin wurde selbst nach Tschernobyl ein Lockdown verhindert. Doch die Tatsache, dass weltweit eine Pandemie ausgerufen wurde, die Nachrichten von Leichenbergen aus diversen Ländern und die Ratlosigkeit der Mediziner:innen, wie der Krankheit zu begegnen sei, haben Österreich erstmals zu einer solchen Maßnahme bewegt. Viel wurde seitdem diskutiert, welche Aktionen gut und richtig waren, welche überzogen und welche retrospektiv als schädlich zu betrachten sind. Eine abschließende Beurteilung dazu wird nur eingeschränkt möglich sein. Was man aber sehr wohl bewerten kann, ist, wie viel wir aus der Pandemie gelernt haben.
Fakten? Welche Fakten?
Eine der ersten Diskussionen, ob oder wie sehr man auf die Pandemie vorbereitet gewesen ist, war eine reine Ressourcenfrage: Wie viel Schutzausrüstung gibt es, wie viele Beatmungsgeräte, wie viele Intensivbetten? Theoretisch sollten solche Informationen per Knopfdruck verfügbar sein, aber in Österreich ist das gar nicht so einfach. Ein Intensivbett ist nämlich nicht einfach ein Intensivbett. Es kann ein Bett sein, bei dem eine Sauerstoffbeatmung möglich ist, ein Bett für künstlich beatmete Patient:innen oder ein Bett, an dem eine Maschine die gesamten Aufgaben von Herz und Lunge übernimmt. Zusätzlich konnten Betten, die in Aufwachräumen für Patient:innen nach einer Operation zur Überwachung zur Verfügung stehen, als Intensivbetten gezählt werden. Diese Kategorien werden aber nicht strikt definiert, vielmehr hat jedes Bundesland eine eigene Erfassung dafür, und es war nicht transparent, welche der Kategorien wirklich als Intensivbett beim Gesundheitsministerium eingemeldet wurde. So sind – auch jetzt wieder – im Reporting über Krankenhausressourcen unterschiedliche Kategorien über Intensiv- oder Spezialbetten angegeben. Auch die Fachrichtung der Station hat einen Einfluss darauf, wie ein Bett gezählt wird. Bis dato hat sich an der Erhebung aber nichts geändert – wie viele Intensivbetten es wirklich gibt und wie viele nur als solche gezählt werden, ist also nach wie vor unklar.
De facto würde eine exakte Zahl aber auch nichts helfen. Denn abseits der technischen Ausstattung ist ein Intensivbett nur ein Intensivbett, wenn es das richtige Personal dafür gibt. Das bedeutet Pflegekräfte mit der richtigen Fachausbildung und vor allem: in ausreichender Anzahl. Denn Intensivpatient:innen brauchen durchgehende Betreuung und müssen beispielsweise regelmäßig von Mitarbeiter:innen im Bett umpositioniert werden. Genau diese Fachkräfte sind das Nadelöhr in der Versorgung, wie die Pandemie gezeigt hat. Doch auch hier scheint das Lernpotenzial nicht besonders groß zu sein. Immerhin beinhaltet beispielsweise die Pflegebedarfsprognose, wie viele Pflegekräfte wir noch brauchen werden, nicht einmal eine Aufschlüsselung für Spezialisierungen von Pflegekräften. Inwiefern bei diesen Prognosen berücksichtigt wird, ob und dass es eigene Spezialisierungen und Weiterbildungen braucht, ist unklar. Gemessen daran ist also auch nicht sicher, ob dem Mangel effektiv begegnet werden kann.
Keine Änderung der Arbeitsbedingungen
Die Pandemie hat neben dem Gesundheitswesen auch beeinflusst, wie wir arbeiten. Lockdowns haben in vielen Bereichen zu Homeoffice geführt, in vielen Unternehmen wurde auf Shared Desks umgestellt. Einige Gesetze wurden angepasst und erleichtern damit heute Homeoffice im Vergleich zu vor der Pandemie. Wobei Homeoffice nicht nur von Vorteil ist, denn gemeinsame Büroarbeit bedeutet auch eine Form von Gemeinschaft, kürzere Wege für Absprachen und kann damit die soziale Einbindung von Personen verbessern. Wer nur im Homeoffice ist, hat potenziell weniger Anschluss, was Studien zufolge besonders anstrengend für Frauen war. Denn auch in der Pandemie wurde nur zaghaft über Geschlechterverteilung diskutiert, für Frauen waren Homeoffice und Haushalt deshalb besonders in den Phasen von Schulschließungen eine Mehrbelastung. Und zwar bis zu dem Punkt, an dem Schulen Kinder ablehnten, weil es ja ohnehin Homeoffice gab.
Die Diskussion über Arbeitsbedingungen in den sogenannten systemrelevanten Berufen war da viel schneller wieder vorbei. Debatten über Zumutbarkeit und Ausmaß von Maskenpflicht gab es sehr bald. Abseits der Frage, ob Masken gesundheitsschädlich sind, gab es relativen Konsens, dass das durchgehende Tragen von FFP-Masken irgendwann unangenehm wird. Beispielsweise im Gesundheitsbereich, in Supermärkten oder auch in Schulen war dies aber keine echte Diskussion. Die Gewerkschaft hat teilweise „Maskenpausen“ für Mitarbeiter:innen gefordert, in einigen Fällen wäre diese ohnehin vorgesehen gewesen. Ob oder dass diese wirklich genutzt wurden beziehungsweise werden durften, ist aber unklar und in vielen Fällen wohl auch zweifelhaft.
Arbeitsbedingungen, wo man auch herausfinden könnte, ob alles mit rechten Dingen zugegangen ist, wurden aber wenig angeschaut. So gab es wohl in Supermärkten, aber auch bei Lieferdiensten, Paketzustellern oder im Gesundheitswesen ausreichend Situationen, in denen Druck auf Angestellte ausgeübt wurde. In vielen Bereichen vielleicht nicht mit böser Absicht, aber gerade im Gesundheitswesen wurden viele Überstunden geleistet. Klar, wer im Gesundheitsbereich arbeitet, verspürt wohl eine gewisse intrinsische Motivation, Menschen zu helfen und hat sicher auch eine gewisse Aufopferungsbereitschaft dafür. In den ersten Wochen wurde dies mit öffentlichem Applaus von Balkonen als Dankesbezeugung honoriert. Ab der zweiten Woche war das aber wohl bereits mehr unbefriedigend als solidarisch-aufbauend. Besonders wenn man es nicht mitbekommt, weil man ohnehin nur im Krankenhaus oder im Pflegeheim ist. Mit der Zeit wurde da der Widerstand gegen das Klatschen größer, auch weil die Überstunden einfach zu viele wurden. Wirklich geändert hat sich aber nur wenig, denn weder ist der Personalmangel in der Pflege besser geworden noch die Arbeitsbedingungen.
Direkt betroffen von Arbeitsänderungen waren am stärksten sozioökonomisch schwächere Personen mit niedrigen Bildungsabschlüssen, und zwar in erster Linie von Kurzarbeit. Wenig überraschend sind das die Gruppen, deren Jobs auch sonst sehr stark von der wirtschaftlichen Lage beeinflusst werden. Eine Ausnahme waren da zumindest phasenweise Paketzusteller und Essenslieferanten. In beiden Bereichen wird oft über die prekären Beschäftigungsverhältnisse diskutiert, in beiden passiert nur sehr langsam etwas. Dabei hat die Pandemie bei beiden zwar zu einer sehr hohen Nachfrage geführt, die Verhandlungsposition hat sich dadurch aber kaum verbessert. So sind bei Paketzustellern Leiharbeit und falsche Lohnzettel Studien zufolge häufig, bei Essenszustellern wurde vor Gericht über Scheinselbstständigkeit verhandelt. Nachhaltige Verbesserungen gab es bis dato nicht, obwohl der Onlinehandel kontinuierlich zunimmt und fast die Hälfte der Bevölkerung zumindest einmal im Monat Essen bestellt.
Ich sehe nur, was mir vertraut ist
Das ist kein Wunder. Denn für viele sind Paketzusteller oder Essenslieferanten zwar „Servicepersonal“ der Gesellschaft, spielen aber keine Rolle im persönlichen Umfeld. Also sind deren Probleme nicht unbedingt nachvollziehbar und man verweist gerne auf die Möglichkeit, sich als Arbeitnehmer zu organisieren. Manche Ungleichheiten kann man aber nicht einfach durch organisierten Widerstand verändern. So zeigte COVID ein solches Probleme der Medizin auf – den Bias. In den USA ist die Bevölkerung sehr viel durchmischter als in Österreich, und so waren es auch die Ergebnisse in der Behandlung von COVID. Die Fallzahlen und auch die Todeszahlen haben sehr klar gezeigt, dass Afroamerikaner:innen oder Latinas und Latinos höhere Infektionszahlen hatten und aufgrund des oft schlechteren Gesundheitszustands auch schwerere Krankheitsverläufe. Wobei besagter schlechterer Gesundheitszustand wiederum oft auf sozioökonomische Faktoren und Gesundheitskompetenz zurückzuführen ist.
Hier darf aber nicht der Fehler gemacht werden, alles auf das US-amerikanische Gesundheitssystem zurückzuführen. Denn auch in Österreich gibt es klare Zusammenhänge zwischen Einkommen, Bildungsniveau, Gesundheitskompetenz und Gesundheitszustand. Vereinfacht gesagt gilt: Je ärmer und schlechter ausgebildet, desto schlechter sind der Gesundheitszustand und die Fähigkeit, sich im Gesundheitssystem auszukennen. Wer sich wiederum schlechter im Gesundheitssystem auskennt, kann schlechter für seine Rechte eintreten und bekommt daher in manchen Fällen erst später die nötige Versorgung. Bei chronischen Krankheiten bedeutet das oft einen schlechteren Verlauf und damit einen größeren Verlust an Lebensqualität. Wobei Lebensqualität nicht immer eine subjektive Frage ist. Die Maßnahmen gegen die Pandemie hatten enorme Auswirkungen auf das psychische Wohlbefinden, in vielen Bereichen auch auf die physische Gesundheit. Auch aus diesem Grund wurde vielfach eine Aufarbeitung der Maßnahmen gefordert – zumindest in der breiten Masse sind diese nationalen Aufarbeitungen aber nur wenig diskutiert wurden.
Koste es, was es wolle
Schon zu Beginn des Lockdowns gab Sebastian Kurz das Motto für die Pandemie aus: „Koste es, was es wolle“. Konkret wurden damals 38 Milliarden Euro zur Hilfe angekündigt. Wenn es nur dabei geblieben wäre. Einblicke gibt es über diverse Rechnungshofberichte, die beispielsweise bis Ende 2022 von 47,7 Milliarden Euro Hilfsleistungen gesprochen haben. Allerdings eben nur bis Ende 2022. Denn gleichzeitig hat die COFAG (der COVID-Finanzierungsfonds) alleine 15 Milliarden Euro an Unterstützungsleistungen bis zu seiner Auflösung ausbezahlt. Dazu kommen die unterschiedlichen Leistungen, der verschiedenen Ministerien, die nie wirklich zusammengerechnet wurden oder noch gar nicht zusammengerechnet werden können.
Denn sehr viele Programme, wie beispielsweise Tests, wurden von den Bundesländern abgewickelt, die erst im Nachhinein bei den Ministerien Abrechnungen einreichten. So lagen kurz vor der Wahl im Gesundheitsausschuss noch die Berichte bis zur Abrechnung im April 2024. Ob hier noch Summen dazu kommen könnten, ist unklar. KIar ist nur, die 38 Milliarden wurden bei weitem überschritten – und zwar nicht nur im Gesundheitsbereich. Die Konsequenzen davon sind ebenso bekannt. Der Schuldenstand der Republik ist so hoch wie nie, mit Ende des Jahres 2024 waren es fast 400 Milliarden Euro.
Aber was kann man aus diesen Hilfszahlungen lernen? Sehr rasch kam Kritik auf, dass einige COVID-Hilfen nicht zielgerichtet sind, diese Kritik wurde von der Rechnungshofpräsidentin bestätigt. Allerdings ist „zielgerichtet“ nur bedingt eine Kategorie im österreichischen Förderwesen. Das zeigt beispielsweise die Berechnung des Klimabonus, Erhebungen über die Pendlerpauschale oder auch über Familienleistungen. Die unklare politische Situation und somit die Diskussionen über ein EU-Defizitverfahren und wie mit diesem umgegangen werden soll, zeigen noch wenig konkrete Lösungsansätze. Ein „Koste es, was es wolle“ wird sich gemessen an dem neuen Bewusstsein für Staatsschulden nicht mehr ausgehen. Wichtig wäre nur, dass ein Sparpaket nicht in einem ähnlichen Stil einfach auf Einsparungen setzt, sondern dass diese eben zielgerichtet und gut ausbalanciert beschlossen werden – sodass Einsparungen erfolgen können, ohne die soziale Absicherung zu gefährden und die ohnehin kaum optimistische wirtschaftliche Situation zu verschlechtern.
Wir wissen, dass wir nichts wissen
Was hat sich also geändert? Der Überblick über den Zustand des Gesundheitssystems ist immer noch mangelhaft, ebenso wie über den Vorbereitungsstand. Aus dem Vogelgrippeausbruch 2013 lernte man zumindest, dass Vorbereitung nötig ist. Damals wurden tausende Schutzmasken gekauft und gelagert. Nicht unbedingt skandalfrei, aber 2020 wurden diese schließlich doch bei COVID genutzt. In gewissen Bereichen gibt es mittlerweile (hoffentlich) Pläne, wie und wann welche Maßnahmen gesetzt werden könnten. Eine wichtige Basis dafür wurde aber nicht verbessert: So ist das Epidemiegesetz ein Flickenteppich aus kurzfristig notwendigen Änderungen, die während der Pandemie vorgenommen wurden. Infolgedessen ist aus dem Gesetz kaum ersichtlich, unter welchen Umständen welche Maßnahmen gesetzt werden können. Gerade gemessen an der mangelhaften Aufarbeitung und dem Ausmaß an Populismus, in dem über COVID diskutiert wird, ist fragwürdig, ob diese nötige Gesetzesüberarbeitung erfolgen wird.
Gerade solche Lücken im Gesundheitswesen verlangen aber nicht nur mehr Wissen, sondern vor allem Entscheidungen, um diese Wissenslücken zu schließen. Entscheidungen, um Reportings und die verfügbare Datenbasis zu verbessern. Dann wäre da noch die Budgetfrage: Wie hoch das Minus ist, das die vielen Maßnahmen und Hilfsleistungen verursacht haben, wissen wir mittlerweile. Wie wir es wieder loswerden, allerdings nicht. Die größte Chance auf eine Verbesserung dieser Situation ist die Bereitschaft, Entscheidungen zu treffen. Auf einer Fakten- und nicht einer Gefühlsbasis. Nachdem die bei der Wählerschaft aber oft unbeliebt sind, bleibt offen, ob wir zumindest das aus der Pandemie gelernt haben. Wenn man nicht weiter weiß, braucht es eine gute Faktenbasis und solide Entscheidungsgrundlagen. Auch, wenn es unbeliebt ist.