Inklusion: Wo Schulen noch exklusiv sind
Inklusion als Chance
Eine Vielzahl an Studien ergibt, dass Inklusion allen, auch Menschen ohne Behinderung, einen Mehrwert bringt. Als Gegenstück zur gegenwärtig praktizierten Exklusion bzw. Ausgrenzung kann sie bei Schüler:innen zu positivem sozialem Verhalten führen; in inklusiven Klassenräumen haben sie weniger Vorurteile, inkludieren Menschen mit Behinderungen aktiver, als sie es sonst würden, und zeigen mehr Akzeptanz, Toleranz und Respekt für die Einzigartigkeit jedes Individuums. Ähnliches zeigt sich auch in anderen Umfeldern, wie inklusiven Arbeitsplätzen. Verkürzt ausgedrückt, führt die Wahrnehmung von mehr Inklusion zur Erfahrung von mehr Wertschätzung und daher zu mehr Kooperationsbereitschaft, während Ausschlusserfahrungen negative Auswirkungen auf betroffene Individuen, in der Folge aber auch auf ganze Gruppen und Organisationen haben.
Status quo inklusive Bildung
Demzufolge wäre es nicht nur aufgrund unserer völkerrechtlichen Verpflichtungen oder aus ethischen Gründen, sondern allein schon aus „common sense“ dazu angeraten, die Gesellschaft inklusiv auszugestalten. Mit anderen Worten: Die Einhaltung der Menschenrechte sollte selbstverständlich sein.
Dennoch attestiert uns der UN-Fachausschuss in der Evaluierungsperiode 2013–2023 des zusammengelegten zweiten und dritten Staatenberichts im Zusammenhang mit unter anderem zunehmender Segregierung des Schul- und Kindergartensystems, dem Fehlen angemessener Vorkehrungen, fehlendem Rechtsanspruch und dem Fehlen systematisch erhobener Daten, die die Ausmaße des Problems offenlegen könnten, Rückschritte im Bereich inklusive Bildung.
Welche Technologien und Mittel stehen uns zur Verfügung?
Potenziale, Bildung inklusiver zu gestalten, gäbe es viele: So zeigte eine Studie von Forscher:innen der Universität Köln, dass sich im Rahmen des technologischen Wandels aufgrund der Digitalisierung vielfältige Chancen ergeben. Verkürzt ausgedrückt, kann inklusive Bildung mit der Nutzung digitaler Medien als Werkzeug, durch die Schaffung veränderterer Rahmenbedingungen und durch das Lernen über digitale Medien, mit denen Schüler:innen auch nach und außerhalb der Schule konfrontiert sind, befördert werden.
Assistive Technologien bieten vielfältige Möglichkeiten zur besseren bedarfsorientierten Inklusion von mehr Schüler:innen. Für nicht sprechende Menschen können handliche Sprechcomputer, sogenannte Talker, eine große Unterstützung darstellen. Aber auch die Bedienung von Geräten zum Lernen in und außerhalb des Klassenzimmers durch Sprachsteuerung, Steuerung durch Augen oder alternative Körperteile, zum Beispiel die Füße anstelle der Hände, sind mögliche inklusionsbefördernde Leistungen assistiver Technologien, die mobilitätseingeschränkten Menschen schulische Teilhabe erleichtern können.
Digitale Technologien können aber auch die Rahmenbedingungen des Lernens für alle verändern und somit zur Schaffung inklusiver Klassenräume beitragen. Das geschieht beispielsweise, wenn adaptive digitale Systeme eingesetzt werden, um Schüler:innen individualisierte Aufgabenstellungen und Medien zum Lernen zu geben. Hier geht es vor allem darum, Differenzen in den Kompetenzen, Fähigkeiten und Potenzialen zu stabilisieren, sodass alle möglichst gleichermaßen am Unterricht teilnehmen können; gleichzeitig können digitale Hilfsmittel Schüler:innen innerhalb einer Klassengemeinschaft individuelle Lernwege, Kommunikationsprozesse und Leistungsbeurteilungen ermöglichen, sodass die Teilnahme am Unterricht nicht mit sichtbarer Sonderbehandlung einhergehen muss.
Daneben dürfen grundlegende Leistungen wie beispielsweise die Bereitstellung der Unterrichtsmaterialien in Leichter Sprache jedoch nicht untergehen – auch die Digitalisierung kann nicht alle Probleme lösen. Genauso verhält es sich mit notwendigem Personal wie Schulassistent:innen oder Dolmetscher:innen. Diese werden von manchen Menschen mit Behinderungen gebraucht, um an der Schule und am Unterricht teilnehmen zu können, und werden auch im Rahmen der Digitalisierung nicht einfach ersetzbar sein.
Wo liegt das Problem? Anhebung der SPF-Förderung
Von der Perspektive einer Inklusion von Menschen mit Behinderungen gedacht, bräuchte es zur Erreichung von signifikanten Fortschritten einen klaren politischen Willen. Das gilt auch für alle künftigen Investitionen in das österreichische Bildungssystem: Digitalisierung ist eine Entwicklung wie jede andere und kann mit (im Sinne der Inklusion) beeinträchtigten Menschen oder ohne sie gedacht werden.
Doch dafür ist vor allem die Vergabe des Sonderpädagogischen Förderbedarfes (SPF) ein großer Hemmschuh. Dabei handelt es sich um eine staatliche Förderung, die jedem Kind mit Behinderung zustehen kann. Diese ist über § 8 Schulpflichtgesetz geregelt, die Finanzierung wird, je nach Schultyp, vom Bund oder von den Ländern an die jeweilig zuständigen Bildungsdirektionen überwiesen. Der Haken dabei: Die Länder, welche für Volks- und Mittelschulen bis zur Sekundarstufe II zuständig sind, sollen die von ihnen aufgewendeten Mittel vom Bund zurückbekommen. Die Regelung dafür erfolgt über das Finanzausgleichsgesetz. In diesem wird der Sonderpädagogische Förderbedarf jedoch seit 1992 unverändert auf 2,7 Prozent der Gesamtschüler:innenanzahl geschätzt. In aktuellen Studien gehen Expert:innen hingegen davon aus, dass die tatsächliche Zahl der SPF-bedürftigen Schüler:innen eher 4,5 Prozent beträgt.
Hier muss also dringend an Stellschrauben gedreht werden. Leitmotiv sollte dabei sein, dass es sich bei dem notwendigen Mehr an Ausgaben im Bereich inklusive Bildung eben nicht um Verluste, sondern um Investitionen handelt. Denn letztlich produziert ein ausschließendes Schulsystem Menschen, die im schlimmsten Fall ihr Leben lang ausgeschlossen sind, mit allen Folgen, die das nach sich zieht. Ein inklusives Bildungssystem ist hingegen der erste Schritt zur inklusiven Gesellschaft.