Kamala Harris und Mission Important
Trumps bisheriger Wahlkampf ist obsolet, nun tritt er als ältester Kandidat gegen eine junge Herausforderin an. Kann Trump Plan B?
US-Präsident Joe Biden beugt sich den Umfragewerten. Und wohl auch dem Druck einer wachsenden Schar an der demokratischen Parteispitze, allen voran Grande Dame Nancy Pelosi. Aber auch seine Vorgänger Bill Clinton und Barack Obama haben mit der Allgemeinmeinung nicht mehr hinter dem Berg gehalten: Joe Biden wird diese Wahl nicht gewinnen, und mit seinen fallenden Werten steigt die Chance, dass auch Repräsentantenhaus und Senat an die Republikaner fallen könnten.
Dabei wollte Biden 2020 nur schnell Trump besiegen und Amerika – und die Welt – retten, und sich dann nach einer erfolgreichen Amtszeit wieder zurückziehen. Da waren dann aber die Zwischenwahlen von 2022, in denen die Partei des amtierenden Präsidenten traditionell massiv absackt, die die Democrats aber gefühlt gewonnen haben. Biden sah das als Bestätigung dafür, dass nur er Trump vom Weißen Haus fernhalten könne. Die Realität ist aber wohl, dass die Republicans mit ihrer extremen Anti-Abtreibungs-Politik viele republikanische Wähler:innen vergrämt und demokratische mobilisiert haben. Das hätte sich heuer gerade von Biden, einem lauwarmen Befürworter des „woman’s right to choose“, nicht wiederholen lassen.
Extreme Polarisierung
Dabei war Biden ein erfolgreicher Präsident: Er brachte Programme auf Schiene, von denen Trump schon geträumt hatte – aber eben nur geträumt. Biden stimulierte die US-Wirtschaft mit einem Gesetz, dem Inflation Reduction Act, das Investitionen vor allem im Technologiesektor ins Land lockte. Er brachte ein Infrastrukturprogramm auf den Weg, das viele Arbeitsplätze schafft und die USA endlich ins 21. Jahrhundert bringt. Er schaffte es, Klimaschutz mit Wirtschaftswachstum aktiv zu verbinden, Jobs zu schaffen und die Börsenkurse in lichte Höhen zu treiben. Letzteres ist in einem Land, in dem etwa die Hälfte der Menschen Wertpapiere besitzt und ein großer Teil der Altersvorsorge über den Aktienmarkt gesichert wird, von extremer Wichtigkeit. Trotz alledem ging auch die Inflation merklich zurück. Nebenbei beendete Biden auch den brandgefährlichen Isolationismus Trumps, der durch den Rückzug der USA Autokrat:innen die Tür für politisch-militärische Abenteuer geöffnet hatte.
All das nutzte Biden aber im Wahlkampf kaum. Die USA sind ein extrem gespaltenes Land, der Populismus von links und rechts nimmt laufend zu, die Mitte bricht ein. Wahlen gewinnt man nicht mit Zahlen, Daten und Fakten, sondern mit schreierischen Storys und der besseren Mobilisierung. Und genau dabei kann Joe Biden nicht mehr mithalten. Er wirkt, als wäre seine größte tägliche Herausforderung, sich selbst zu mobilisieren. Trump hat ebenso viele mentale Aussetzer, aber er bringt seine Storys, so faktenbefreit und widersinnig sie auch sein mögen, energetisch und authentisch rüber.
Enter Kamala Harris
So zogen die Granden der Demokratischen Partei – im Verbund mit den Spender:innen – letztendlich die Reißleine. Biden bewirbt sich nicht mehr für das Amt, für dessen Nominierung er bereits die Vorwahlen mit Riesenmehrheit gewonnen hatte. Er übergibt an seine Vize, Kamala Harris, Konkurrentin um die Nominierung im Jahr 2020, aber letztendlich Wegbegleiterin. Dreht sich jetzt der Wind?
Harris galt bereits 2020 als eine Favoritin, wurde als Obamas Nachfolgerin gehandelt. Doch im Vorwahlkampf war sie eine kurzlebige Flamme, konnte niemandes Interesse so recht entfachen und gab noch vor der ersten Stimmabgabe in Iowa auf. Reichen vier Jahre als Nummer zwei, um aus einer Enttäuschung eine Siegerin zu machen?
Die Democrats haben keine echte Wahl. Sie können nicht einfach die loyale Vizepräsidentin, eine schwarze Frau, durch irgendeinen Newcomer austauschen. Zu viele Interessen würden dadurch verletzt. Im Unterschied zu den straff autoritär geführten und Trump blind unterworfenen Republicans werden die Demokrat:innen von vielen Gruppen hin- und hergezerrt. Identity politics nennt sich das, und bringt die Democrats immer wieder in die Bredouille.
Kamala Harris hat aber gezeigt, dass sie die interne Machtmaschine der Partei mittlerweile versteht und wohl auch beherrscht. Innerhalb von 24 Stunden brachte sie eine deutliche Mehrheit der Delegierten zur Democratic National Convention, dem Demokratischen Parteitag, dazu, sich offen für sie auszusprechen. Damit schloss sie die Tür für eine „contested convention“, also eine, wo statt Einigkeit und Kritik am politischen Gegner interne Zwietracht dominieren. Nichts ist schlimmer für eine Partei; praktisch in jedem solchen Fall verlor sie danach die Wahl. George H. W. Bush wurde von Pat Buchanan herausgefordert und verlor gegen Bill Clinton. Die Demokrat:innen beschädigten sich dreimal – 1968, 1972 und 1980 – mit Kampfabstimmungen auf der Convention, und verloren alle drei Mal – und das spektakulär.
Demokraten vereint?
Dieses Schicksal bleibt den Democrats diesmal wohl erspart, der Schulterschluss um Kamala Harris war schnell und breit. Sogar Alexandria Ocasio-Cortez, Linksaußen der Partei, meldete sich sofort unterstützend zu Wort. Und das, obwohl Harris als ehemalige knallharte Staatanswältin auf der linken Seite der Partei nie beliebt war. Dazu kommt ein immenser Energieschub: Innerhalb von 24 Stunden lukrierte der Parteiapparat über 80 Millionen Dollar an Spenden, der Großteil aus Kleinspenden von unter 200 Dollar. Die Summe ist absoluter Rekord in der amerikanischen Geschichte.
Aber wird die schwarze Parteibasis die vielen Verurteilungen von Afroamerikaner:innen hinnehmen? Bei den Vorwahlen 2020 war Biden bei Afroamerikaner:innen beliebter als Harris. Hillary Clinton konnte 2016 das Stigma der Elite-Berufspolitikerin nicht abschütteln, das auch Harris anhaftet. Und während Trump im Wahlkampf gerne sagt, dass die meisten Millionär:innen Democrats sind (wie wohl nicht allzu verwunderlicherweise die Bildungsschicht insgesamt), so werden die Wahlen unter der Arbeiter:innenschaft im Rust Belt im Nordosten, den urbanen Jüngeren sowie schwarzen Wähler:innen in North Carolina und Georgia sowie in den Latino-Staaten im Südwesten gewonnen oder verloren.
Von den 50 Staaten plus der Hauptstadt Washington, die im November – wie immer am ersten Dienstag, der auf den ersten Montag des Monats folgt – ihre Wahlleute wählen werden, sind 44 fest in der Hand einer Partei. Nur sieben sind umkämpft: Michigan, Wisconsin, Pennsylvania, North Carolina, Georgia, Arizona und Nevada.
Harris konnte 2020 diese Wähler:innenschichten nicht so recht ansprechen. Hat sie es in den vier Jahren als Vize gelernt? Ist Trump mit seiner plump-aggressiven, faktenbefreiten Schulhof-Bully-Art mehrheitsfähig? Wie viele Republikaner:innen werden nicht nur „never Trump“ wählen und zu Hause bleiben, sondern aktiv eine Demokratin unterstützen?
Noch hinkt Harris hinter Trump in den Umfragen hinterher, allerdings nur mit etwa dem halben Rückstand, den Biden eine Woche vor der Übergabe an Harris noch aufwies, und innerhalb der statistischen Schwankungsbreite. Ihr großer Vorteil: Die mediale Aufmerksamkeit gehört ihr. Sie kann sich nun noch gute drei Monate lang vermarkten. Trumps Wähler:innenschaft hingegen steht. Niemand, der Trump heute noch nicht liebt, wird ihn plötzlich mögen lernen. Trump ist auch nicht der Typ für Plan B. Er kann nur polarisieren und verteufeln. Wen er damit bis jetzt noch nicht abgeholt hat, der bleibt für ihn verloren.
Ein weiterer Vorteil für Kamala Harris: Trump hat sein größtes Medienereignis des Wahlkampfs, die Republican Convention, damit vergeudet, sich auf den alten, kranken, vergesslichen Joe Biden einzuschießen. Nun steht er der jungen, energetischen Harris gegenüber. Die Republican Convention war damit wahltechnisch praktisch vergeudet.
Man wird sich also von Kamala Harris einen eher positiven Wahlkampf erwarten können. Ihre Message ist: Ich bin neu, ich bin die Zukunft, ich kann das, kommt zur Wahl. Solange sie keine Wähler:innengruppen vergrämt, muss sie nur ausreichend viele dazu bringen, im November auch zur Wahl zu gehen. Die Karten sind jedenfalls neu gemischt.