KGB-Insider packt aus: So funktioniert Destabilisierung
Verschwörungstheorien, denen zufolge in der Ukraine die russische Sprache verboten wird. Falschmeldungen, dass Friedensverhandlungen nicht an Russland scheitern würden. Und europäische Politikerinnen und Politiker, die mit Copy-Paste das Wording aus dem Kreml übernehmen. Es wirkt, als wäre etwas aus dem Ruder gelaufen im westlichen Diskurs um Russland und die Ukraine. Und das nicht nur in Österreich.
Wenig überraschend: Das ist es auch, und es steckt eine Strategie dahinter. Denn Russland arbeitet nach wie vor an psychologischer Kriegsführung – oder „aktiven Maßnahmen“, wie man es noch zu Zeiten der Sowjetunion nannte. Und der Plan hat sich seitdem kaum verändert.
Die Strategie der Russen – damals noch der Sowjetunion – kennen wir durch einen Mann namens Yuri Alexandrovich Bezmenov, einem früheren KGB-Agenten, der im Kalten Krieg die Seiten wechselte. Er beschrieb schon vor 40 Jahren, im Jahr 1984, mit welchem Schritt-für-Schritt-Plan daran gearbeitet werde, westliche Demokratien zu destabilisieren. Seine Schilderungen richten sich vor allem auf die Sowjet-Propaganda gegen die USA: Aber die Kontinuität im Geheimdienstbereich von damals bis heute lässt Schlüsse zu, dass von dieser Strategie bis heute nicht abgerückt wurde. Immerhin klingen einige Stellen daraus bis heute relevant.
Vier Phasen zur Destabilisierung eines Landes
Phase 1: Demoralisierung
In der ersten Phase der „aktiven Maßnahmen“ geht es darum, einen langfristigen Prozess zu etablieren, um das Zielland zu demoralisieren. Das geschieht im Wesentlichen durch Unterwanderung: in Schulen und Universitäten, in Medien, Politik und Kultur. Das Ziel lautet, zu beeinflussen, wie die Bevölkerung des Ziellands die Realität sieht – und eine ganze Generation an Bürgerinnen und Bürgern heranzuziehen, die nicht in der Lage ist, die Ideologie des Feindes zu erkennen oder ihr zu widerstehen. Diese Phase dauert mit Abstand am längsten: nämlich rund 20 Jahre.
„What it basically means is: to change the perception of reality of every American to such an extent that despite of the abundance of information no one is able to come to sensible conclusions in the interest of defending themselves, their families, their community, and their country.“
– Yuri A. Bezmenov
In den USA etwa sah Bezmenov den Prozess der Demoralisierung bereits als „abgeschlossen“. Denn der Kulturwandel der 60er Jahre war durch die Hippies bereits so weit im Mainstream verankert, dass sie bereits in Führungspositionen in Politik, Medien, Bildung und Kultur angekommen waren – und damit das Narrativ der Vereinigten Staaten weitgehend prägten. Der Präsident war aber keiner von ihnen: Ronald Reagan. Und dieser hatte nichts mit russischem Appeasement und der „Friedensbewegung“ am Hut. Zur zweiten Phase kam es in den USA gar nicht.
Phase 2: Destabilisierung
Ist eine Gesellschaft erstmal demoralisiert, kann die eigentliche Mission losgehen: das Schaffen von Instabilität. Durch Politik, Wirtschaft und Gesellschaft gibt es einige Hebel dafür – Polarisierung, gesellschaftliche Spaltung und das Säen von Zwietracht inklusive starker Feindbilder gehören dazu. Dafür nutzen die „aktiven Maßnahmen“ auch bestehende Spaltungen, unterstützen radikale Gruppierungen und pushen Desinformation. Ein Verhalten, das wir auch heute maßgeblich mit Russland assoziieren. Dauer dieser Phase: zwei bis fünf Jahre.
„A person who was demoralized is unable to assess true information. The facts tell nothing to him. Even if I shower him with information, with authentic proof, with documents, with pictures; even if I take him by force to the Soviet Union and show him (a) concentration camp, he will refuse to believe it, until he (receives) his kick in his fan-bottom. When a military boot crashes his balls then he will understand. But not before that.“
– Yuri A. Bezmenov
Obwohl diese Phase im Kalten Krieg wahrscheinlich nicht erreicht wurde, sind die Parallelen zu Bezmenovs Modell in den USA eindeutig: In den letzten 20 Jahren – also zwischen 2004 und 2024 – kann man in den USA nicht nur eine deutlich stärkere gesellschaftliche Spaltung feststellen, sondern auch eine Phase der Demoralisierung. Von George W. Bush bleiben verlorene Kriege im Nahen und Mittleren Osten, von Obama das gebrochene Versprechen von „Change“. Die Trump-Jahre führten zum innen- und weltpolitischen Chaos – und die Polarisierung im diesjährigen Präsidentschaftswahlkampf zeigt, dass die Phase der Destabilisierung im November endgültig ihren Höhepunkt erreichen könnte.
Phase 3: Krise
Wenn die Gesellschaft destabilisiert ist, geht die Krise los – ein Ereignis, das zu einem Ausnahmezustand führt, der die Gesellschaft an einen kritischen Punkt bringt. Das kann mehrere Formen annehmen: etwa eine Wirtschaftskrise, politische Umwälzungen, Proteste und Unruhen. All das führt zu Angst und Unsicherheit in der Bevölkerung.
Auch das kommt uns bekannt vor: Immerhin wurde in den USA am 6. Jänner 2021 das Kapitol gestürmt. Von wütenden Trump-Fans, die keinerlei Basis in der Realität mehr hatten. Sie schwenkten Fahnen berühmter Verschwörungstheorien, denen zufolge Spitzen der US-Politik gemeinsam mit Prominenten aus Hollywood das Blut von Kindern trinken würden, um ewig jung zu bleiben – und nur ihr Retter, Donald Trump, könne dieser Kabale Einheit gebieten. Das Versprechen ist klar: Alle anderen lügen, und nur einer kann Ordnung schaffen. Die feindliche Übernahme ist so gut wie vorbereitet. Auch wenn sie in den USA vorerst gescheitert ist.
Phase 4: Normalisierung
Denn dann, nach der Krise, wird ein neuer Status quo geschaffen. Die Umstürzler aus dem Kreml schaffen es, neue Strategien und Maßnahmen zu erfinden, um ihren Einfluss auf die Gesellschaft zu festigen und die „Ordnung wiederherzustellen“. Die begleitende Propaganda kennen wir sowohl aus Georgien als auch aus den besetzten Gebieten in der Ostukraine: Die Macht der neuen Ordnung soll „normal“ werden.
Und auch in den USA können wir diese Parallelen beobachten: Donald Trump bereitet sich darauf vor, im November erneut Präsident zu werden – und will sich diesmal nicht durch lächerliche Fakten wie Wahlergebnisse davon abbringen lassen. In den wesentlichen Institutionen, die den komplizierten US-amerikanischen Wahlprozess ausmachen, platziert er bereits Günstlinge, Fans und Verschwörungstheoretiker. Bis auf Nikki Haley haben alle seine Gegenkandidaten sehr schnell das Feld geräumt, um sich hinter ihm zu versammeln – in der Aussicht auf Macht und Einfluss in der „neuen Normalität“. Um zu dieser zu kommen, brauchen die USA aber eine große Krise. Der November könnte sie bringen?
Was hat das mit uns zu tun?
Aber es geht nicht nur um die USA: Auch in Europa klingt diese Erzählung bekannt. In Frankreich etwa kommt es alle paar Jahre zum Showdown zwischen dem demokratischen System und der rechtsextremen Kandidatin Marine Le Pen, die mit dem französischen EU-Austritt kokettiert. In Deutschland wurde zuletzt von rechten Geheimtreffen berichtet, die ausgeklügelte Pläne zur Ausbürgerung deutscher Staatsbürgerinnen und Staatsbürger zeigen – eine klare Vorbereitung auf die Machtübernahme. Vor allem rechte, in einigen europäischen Staaten aber auch linke Parteien arbeiten seit Jahren und Jahrzehnten an der Demoralisierung Europas, die russische Propaganda liefert die begleitende Desinformation. Können wir wirklich noch so tun, als hätte das nichts mit uns zu tun?
Immerhin könnte man die gleiche Geschichte für Österreich erzählen: Bis 2019 hatte Österreich ziemlich genau 20 Jahre fast ununterbrochen FPÖ-Wahlsiege. Protagonist dabei war Heinz-Christian Strache, von dem erst kürzlich Chats auftauchten, in denen er Russland Kontakte in die österreichische Verwaltung ermöglichen wollte. Und der Drahtzieher des Freundschaftsvertrags war, den die FPÖ nach wie vor mit der Putin-Partei „Einiges Russland“ hat. Deutlichere Warnzeichen für eine Kooperation mit dem russischen politischen System kann es kaum geben.
Gleichzeitig merken wir alles, was die ersten Phasen der russischen Strategie ausmachen. Gesellschaftliche Spaltung? Man denke an den Präsidentschaftswahlkampf 2016 oder die Corona-Pandemie. Desinformation? Wieder: Corona-Pandemie, aber auch rund um Migration und den Ukraine-Krieg geistern Fake News durch die sozialen Medien. Eine besondere Rolle dabei spielen die zahlreichen rechten Medien, die vor allem durch die FPÖ finanziert und gefördert werden – sie sind die wesentlichen Wegbereiter für Demoralisierung und Instabilität. Man muss sich nur die Aussagen von Bezmenov ansehen, um zu merken, in welcher Offenheit dieser Prozess nach wie vor stattfindet:
Jetzt ist nur noch die Frage, was unsere Krise sein soll. War es schon die Pandemie, auf deren Welle der prorussische Herbert Kickl im Herbst Bundeskanzler werden will? Versprochen hat er nicht nur, die Russland-Sanktionen abzuschaffen und die Unterstützung für die Ukraine unter dem Deckmantel der Neutralität einzustellen. Sondern er zitiert auch immer wieder sein großes politisches Vorbild: den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán, der die „illiberale Demokratie“ eingeführt hat. Ein System, in dem Medien, Justiz und Gesellschaft längst auf Linie gebracht wurden – und in der die Wahlen schon längst nicht mehr demokratisch sind.