Gewerbeordnung: Von der Uni hinter die Wirtshaustheke
Österreich ist bekannt für seine kulinarischen Schmankerln, also laut Wörterbuch für „besondere oder regionale Delikatessen“. Das trifft allerdings nicht nur auf die Kulinarik, sondern auch auf die österreichische Gewerbeordnung zu. Eines dieser Schmankerln darf ich dir hier servieren: Es geht um die Gewerbeberechtigung für das Gastgewerbe. Was einfach klingt, ist komplex geregelt und nicht immer logisch nachvollziehbar.
Welches Know-how braucht man im Wirtshaus?
So braucht zum Beispiel ein Imbissstand, der Schnitzelsemmeln verkauft, keine Gewerbeberechtigung für das Gastgewerbe, ein Gasthaus jedoch schon.
Zweites Kuriosum: Die Gewerbeberechtigung können jene beantragen, die eine entsprechende fachliche Ausbildung haben – aber auch alle, die einen akademischen Abschluss haben. Das hat zur Folge, dass unter anderem ein Bachelor in Elektrotechnik ohne jegliche gastgewerbliche Ausbildung ein Gasthaus oder Restaurant eröffnen darf. Formuliert wurde das in den Zugangsvoraussetzungen für das Gastgewerbe wie folgt:
„Durch die im Folgenden angeführten Belege ist die fachliche Qualifikation zum Antritt eines Gastgewerbes (§ 94 Z 26 GewO 1994) als erfüllt anzusehen: […] 2. Zeugnisse über den erfolgreichen Abschluss einer Studienrichtung an einer Universität oder eines zur Verleihung eines international gebräuchlichen Mastergrades führenden Universitätslehrganges.“
Wer wird geschützt?
Stellt sich also die Frage, was der Sinn dieser Gewerbeberechtigung ist. Theoretisch sollte sie laut Unternehmensservice-Portal als Nachweis dafür dienen, dass jemand die fachlichen und kaufmännischen Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen besitzt, um das betreffende Gewerbe selbstständig ausüben zu können. Die Gewerbeberechtigung für das Gastgewerbe erhalten damit jene, die dieses Gewerbe tatsächlich gelernt haben, also zum Beispiel gelernte Köch:innen und Kellner:innen mit Berufspraxis oder Absolvent:innen von Tourismusschulen – oder Quereinsteiger:innen, die eine Befähigungsprüfung für das Gastgewerbe abgelegt haben.
Dafür bietet zum Beispiel das zur Wirtschaftskammerorganisation gehörende Erwachsenenbildungsinstitut Wifi Kurse in zwei Modulen zu jeweils 60 Unterrichtseinheiten an. Ein weiterer Anbieter ist das Berufsförderungsinstitut (Bfi), das Weiterbildungsinstitut der österreichischen Arbeitnehmervertretungen (AK und ÖGB). In den Kursen geht es inhaltlich unter anderem um Recht, Kostenrechnung, Controlling, Lebensmittelkunde und Marketing. Kostenpunkt inklusive Prüfung aktuell 1.500 bis 2.000 Euro.
Soweit erscheinen die Vorgaben nachvollziehbar: Wer seinen Gästen ein Schnitzel anbietet, sollte Ahnung von Lebensmittelhygiene haben und in der Lage sein, den Preis so zu kalkulieren, dass er dabei auch etwas verdient. Doch warum muss der Würstelstandbetreiber oder die akademische Gastwirtin keine Prüfung über diese Kenntnisse ablegen? Geht es um den Schutz der Konsument:innen? Dann würde das bedeuten, dass ein Gast am Würstelstand weniger schützenswert ist als einer im Restaurant.
Zum Vergleich: In Deutschland ist das Gaststättenrecht auf Landesebene geregelt. In den meisten deutschen Bundesländern muss jede:r, die:der eine Erlaubnis zum Betrieb eines Gaststättengewerbes beantragt und nicht entsprechend fachlich ausgebildet ist, einen Unterrichtsnachweis über lebensmittelrechtliche Vorschriften und Hygiene bringen. Die Kurse werden von den regionalen Industrie- und Handelskammern (IHK) angeboten und dauern ein paar Stunden. Es gibt keine Prüfung – es genügt der „Unterrichtungsnachweis“. Als Zweck der Unterrichtung wird „der Schutz der Gäste vor Gefahren für die Gesundheit, die aus der Verletzung lebensmittelrechtlicher Vorschriften im Gaststättengewerbe erwachsen können sowie der Schutz für Täuschung und Irreführung“ angeführt.
Oder geht es bei den Regeln in Österreich um den Schutz der künftigen Gastwirt:innen, damit sie nicht innerhalb kurzer Zeit wieder pleitegehen? Da kann rechtliches und kaufmännisches Grundwissen durchaus hilfreich sein. Dieser Logik folgend müssten allerdings alle, die ein Unternehmen gründen, ein entsprechendes Basiswissen nachweisen müssen, und es dürfte gar kein freies Gewerbe geben. Und umgekehrt: Wenn man das zum Schutz von Gästen und Betreiber:innen notwendige Wissen Akademiker:innen und Würstelstandbetreiber:innen zutraut, warum dann nicht allen, die sich selbstständig machen wollen?
Welches Gewerbe wofür?
Wer Besitzer:in einer Gastgewerbeberechtigung ist, muss dennoch aufpassen, was sie:er seinen Gästen serviert, denn auch die Berechtigung deckt nicht alles ab. So sollten Wirt:innen – akademisch oder nicht – zum Beispiel mit selbstproduzierten Schokoladenwarenerzeugungen und Gefrorenem vorsichtig sein, denn die Produkte könnten schon in den Bereich der Konditor:innen (Zuckerbäcker:innen) fallen. Und dafür braucht man wieder einen eigenen Gewerbeschein, nämlich jenen für „Konditoren (Zuckerbäcker) einschließlich der Lebzelter und der Kanditen-, Gefrorenes- und Schokoladenwarenerzeugung (Handwerk)“. Der Vollständigkeit halber: Kanditen sind kandierte Früchte.
Das Thema ist jedenfalls von Relevanz, denn jedes Jahr müssen sich in Österreich rund 1.000 Neugründer:innen im Gastgewerbe die Frage stellen, ob sie eine Gastgewerbeberechtigung brauchen und wenn ja, ob sie bereits die Voraussetzung dafür haben, sie zu beantragen oder zuerst die entsprechenden Prüfungen ablegen müssen. Ende 2022 gab es in Österreich laut WKO-Statistik 41.227 gastgewerbliche Betriebe. Nur 4.589 von ihnen fielen in die Kategorie der freien Gewerbe: Würstel- und Kebabstände, Buschenschankbuffets, Automatenausschanken und Schutzhütten ohne Beherbergung.
Insgesamt gibt es in Österreich 75 reglementierte Gewerbe sowie eine 32 A4-Seiten umfassende Liste der freien Gewerbe. Die allerdings keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, denn grundsätzlich gilt: Alle Gewerbe, die in der Gewerbeordnung 1994 nicht ausdrücklich als reglementierte Gewerbe eingestuft werden, zählen zu den freien Gewerben. Diese Listen halten zahlreiche weitere Schmankerln parat – Fortsetzung folgt!
Darauf muss unser Handeln ausgerichtet sein, nicht auf diffuse Hoffnungen auf den Status quo ante.
SISSI EIGRUBER ist ehemalige Wirtschaftsjournalistin („WirtschaftsBlatt“; „Wiener Zeitung“) und seit 2020 mit ihrer Agentur „TextHelden“ als PR-Beraterin selbstständig. Seit Anfang 2023 betreut sie die Kommunikation von Unternehmerisches Österreich (UNOS) und schreibt für „Materie“.