LGBTIQ+-Jahresbericht: Licht und Schatten unterm Regenbogen
Der neue Bericht über die Situation von LGBTIQ+-Menschen in Europa und Zentralasien ist zwiespältig: Einerseits verzeichnet er wachsende Akzeptanz der Gesellschaft und die Ausweitung institutioneller Rechte, andererseits steigt die Zahl der Übergriffe und Bemühungen mancher politischer Gruppen, ebendiese Rechte zu bekämpfen. Ein Überblick über ein gesellschaftspolitisches Kampfgebiet.
Ende Februar im Wiener Allianz-Stadion: Rapid besiegt die Austria Wien im Derby 3:0. Was ein Feiertag für die Grün-Weißen sein könnte, wird zu einer Blamage: Gefeiert wurde der historische Erfolg im Anschluss ausgelassen – mit Beleidigungen und homophoben Gesängen. Nicht etwa von den Fans, sondern von Geschäftsführer Steffen Hofmann, Co-Trainer Stefan Kulovits, Kapitän Guido Burgstaller und Star-Spieler Marco Grüll. Die Bundesliga erstattet Anzeige, tags darauf versuchen sich die Verantwortlichen zu entschuldigen. Der Schaden ist aber bereits verursacht – und wirft ein Schlaglicht auf die in der Gesellschaft immer noch vorhandene Homophobie.
Wie sich die Situation von Mitgliedern der LGBTIQ+-Community im vergangenen Jahr entwickelt hat, wird jährlich in einem Bericht der International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association (ILGA) erhoben. Ende Februar wurde der 13. Bericht für Europa und Zentralasien veröffentlicht. Das Resümee für die untersuchte Region ist ein bitteres: In den Bereichen Hassrede, Bedrohungen und Angriffe sowie rechtliche Absicherung gibt es teilweise dramatische Anstiege, die nur teilweise von institutionellen Verbesserungen ausgeglichen werden.
Fort- und Rückschritte in Europa
Von den 54 untersuchten Ländern haben nur sechs keinen einzigen Übergriff auf eine LGBTIQ+-Person verzeichnet – und in den anderen 48 Ländern ist die Anzahl der registrierten Attacken auch noch gestiegen. Die ILGA betont im Bericht auch, dass 2023 einen neuen Höhepunkt an Drohungen und tatsächlichen Übergriffen gegen Pride-Events brachte, in insgesamt 16 Ländern. Morde, die aus Hass an LGBTIQ+-Menschen verübt wurden, gab es im vergangenen Jahr in Armenien, Aserbaidschan, Griechenland, Italien, Russland, Serbien, Spanien und der Türkei.
Beim Thema Hassrede verzeichnet der Bericht einen Anstieg von Vorfällen in der gesamten untersuchten Region. Gerne wird dabei der vermeintliche Schutz von Kindern vorgeschoben, um die homo- oder transfeindliche Sprache zu verdecken. Hier sind vor allem die Proteste gegen Lesungen für Kinder durch Dragqueens zu nennen – ein neuer Schauplatz der „Culture Wars“: Bereits 2014 schrieb das Time Magazine, dass Transrechte die neue Front in der Bürger:innenrechtsbewegung seien.
Neue Episode im Kulturkampf
Tatsächlich hat eine neue Generation von Trans-Künstler:innen in der Populärkultur, in Fernsehen und Kino es langsam normalisiert, Trans-Charaktere zu zeigen. Auf diese „Normalisierung“ von Transmenschen wurde als Erstes in den USA vonseiten der Rechten mit moralischer Empörung und dann mit harschen Gesetzen reagiert – und immer wieder „Kinderschutz“ als Grund genannt. Diese Strategie ist, so stellt ILGA klar, vollends in Europa angekommen. Das zeigt sich auch im Bildungsbereich, hier wurde in sieben europäischen Ländern das (altersgemäße) Unterrichten über verschiedene Varianten von sexueller und Geschlechtsidentität eingeschränkt.
Diese neue „Flanke“ in der Debatte um LGBTIQ+-Rechte zeigt sich auch im Zugang zu spezifischen medizinischen Leistungen für Transpersonen. In insgesamt 17 Ländern gibt es teilweise massive Einschränkungen bei der Unterstützung der Transition für Erwachsene. In mehreren Ländern, zum Beispiel der Slowakei und dem Vereinigten Königreich, gibt es Bestrebungen der jeweiligen Regierungen, schon alleine die rechtliche Anerkennung eines Geschlechtswandels zu verunmöglichen oder zu erschweren.
Gleichzeitig gibt es aber auch institutionelle Fortschritte, wie der Bericht betont. In insgesamt elf Ländern – darunter Deutschland, Frankreich, Montenegro und Spanien – wurde ein Diskriminierungsschutz für LGBTIQ+-Personen eingeführt, beziehungsweise bestehende Gesetze verbessert. Auch die Ehe für alle oder zumindest eine eingetragene Partnerschaftsoption wurde 2023 in weiteren Ländern Europas eingeführt, unter anderem mit Estland erstmals im Baltikum.
Sogenannte Konversionstherapien, die behaupten, Homo- oder Transsexualität „heilen“ zu können, wurden in Norwegen, Belgien, Zypern, Island, Portugal und Spanien verboten, in Finnland, Irland, den Niederlanden und der Schweiz werden Gesetzesentwürfe aktuell im Parlament behandelt. In Österreich ist diese Praktik weiterhin erlaubt. Und Deutschland führte 2023 eine Gruppe von sieben Ländern an, die die Änderung des Geschlechts vor dem Staat erleichtert haben.
Österreich: Abwehrkämpfe und zögerliche Verbesserungen
Der nationale Bericht für Österreich passt im Allgemeinen gut in die breitere Betrachtung des Kontinents: Basierend auf den Zahlen des ersten LGBTIQ+-Gesundheitsberichts des Gesundheitsministeriums erhebt ILGA, dass 89 Prozent der Mitglieder der LGBTIQ+-Community in den vergangenen zwei Jahren Diskriminierung erlebt haben. Passend dazu kritisiert der Bericht, dass Österreich als eines von wenigen westeuropäischen Ländern immer noch keinen gesetzlich verankerten Diskriminierungsschutz für Mitglieder der Community umgesetzt hat – es ist also erlaubt, ein lesbisches Paar aus einem Café zu werfen.
Der vereitelte Angriff von drei teilweise Minderjährigen auf die Pride Parade im Juni warf ein Schlaglicht auf die Sicherheit von LGBTIQ+-Menschen in Österreich. Die österreichische Kriminalstatistik weist für 2023 insgesamt 373 Hassverbrechen gegen Menschen aufgrund ihrer Sexualität auf.
Die Community musste vor allem von der rechten politischen Seite Angriffe auf ihre Rechte verteidigen. FPÖ und ÖVP skandalisierten im Frühling 2023 eine Dragqueen-Lesestunde für Kinder, was in Polizeischutz für die Veranstaltung und Demos gegen und für die Lesungen gipfelte – ein Trend, der wie oben bereits erwähnt, in ganz Europa zu finden ist.
Entgegen der Ankündigung der Bundesregierung im Pride Month kam ein Verbot von Konversionstherapien nicht zustande. Koalitionspartner können sich bis dato nicht auf einen gemeinsamen Antrag einigen, vor allem weil die ÖVP auf eine Ausnahme des Verbots für „Therapieangebote“ für Trans- und Intersex-Jugendliche besteht.
Fortschritte gab es 2023, was eine Öffnung der Blutspende für Männer, die mit Männern Sex haben, betrifft, sowie für die HIV-Prophylaxe PreP auf Krankenschein. Auch zwei Gerichtsurteile verbesserten die rechtliche Absicherung: Einerseits wurde das Recht erstritten, dass nonbinäre Personen eine entsprechende Option in offiziellen Ausweisen tragen können, und die automatische Anerkennung beider gleichgeschlechtlichen Partner:innen in einer Ehe oder eingetragenen Partnerschaft als Eltern für Kinder wurde ermöglicht. Und Wien setzte ein Zeichen mit der Eröffnung des ersten Zentrums für LGBTIQ+-Jugendliche im Herbst.
Offene Baustellen
Der ILGA-Report 2023 gibt Grund zur Hoffnung und zur Vorsicht. 69 Prozent der EU-Bürger:innen sind zwar für gleiche Rechte für LGBTIQ+-Personen, doch 54 Prozent der Mitglieder der Community berichten gleichzeitig von Diskriminierung. Die Autor:innen betonen, dass sowohl gesellschaftspolitisch als auch rechtlich der Kampf um Gleichstellung weitergehen muss, denn bereits errungene Freiheiten und Rechte werden wieder teilweise hinterfragt oder offen bekämpft. Diese Gegenbewegung von rechter und konservativer Seite hat aber Auswirkungen auf die Menschen in der Gesellschaft – ein Aufruf zur Wachsamkeit.