Midterm Elections in den USA: Vieles neu macht der November
Bis zum 8. November 2022 werden in den USA die Wahlen zur Halbzeit der ersten Amtsperiode von Präsident Joe Biden abgehalten. Es geht um vieles – die kleine Mehrheit, die die Demokraten aktuell im Kongress haben, könnte leicht verloren gehen. Ein Q&A zu den wichtigsten Fragen über die Midterms und ihre möglichen Folgen.
Was sind die Midterms, und was genau wird gewählt?
Midterms sind die Bezeichnung für jene Wahlen, die nicht mit einer Präsidentschaftswahl zusammenfallen und damit in der Mitte der vierjährigen Amtsperiode eines:r Präsident:in abgehalten werden.
Grundsätzlich wird in den USA alle zwei Jahre auf allen Ebenen gewählt. Konkret werden dabei alle zwei Jahre alle 435 Mitglieder des Repräsentantenhauses, ein Drittel der Sitze im Senat (weil die Amtszeit von Senator:innen sechs Jahre beträgt), sowie heuer 39 Gouverneur:innen und weitere Ämter wie die Parlamente in den Bundesstaaten neu bestimmt.
Diese sehr häufigen Wahlen und die kurze, zweijährige Amtszeit im Repräsentantenhaus gehen auf die sehr alte Verfassung der USA zurück: Nach dem Unabhängigkeitskrieg mit Großbritannien wollten die Autoren der Verfassung 1787 auf keinen Fall dem Amt des:r Präsident:in zu viel Macht geben, die Angst vor einem „gewählten König“ war zu groß. Deshalb sollte eine der zwei Kammern auch in der Mitte der Amtszeit neu gewählt werden, um damit ein Gegengewicht und Kontrolle für das Amt des:r Präsident:in zu schaffen, sollte diese:r schlecht handeln. Wirklich wichtig für die nationale Politik und auch für das Handeln der USA auf der Weltbühne ist das Wahlergebnis für die zwei Kammern im Kongress.
Wie ist die Ausgangslage vor den Wahlen?
Die Demokraten müssen in beiden Kammern im Kongress eine denkbar kleine Mehrheit verteidigen. Im Repräsentantenhaus steht es aktuell 220 Mandate für die Demokraten zu 212 für die Republikaner.
Im Senat ist es noch knapper. Dort haben beide Parteien jeweils die Hälfte der insgesamt 100 Abgeordneten. Das ist die kleinstmögliche Mehrheit für die Demokraten, weil bei einem Gleichstand der Stimmen die oder der Senatsvorsitzende die entscheidende Stimme abgeben darf – und das ist immer die oder der Vizepräsident:in, also aktuell die Demokratin (und ehemalige Senatorin) Kamala Harris.
Wie stehen die Chancen der beiden Parteien in den Midterms?
Traditionell verliert die Partei, die die:den Präsident:in stellt, bei den Midterms an Stimmen. Es gibt wenige Ausnahmen dazu, etwa im Kriegsfall: George W. Bushs Republikaner konnten beispielsweise bei den Midterms 2002 nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 ihre Mehrheit in beiden Kammern sogar ausbauen.
Allerdings gibt es heuer zwei Phänomene, die den Demokraten Hoffnung geben: Erstens hat die Entscheidung des konservativ geprägten Supreme Court, den rechtlichen Schutz von Abtreibungen zu kippen, die Wähler:innen der Demokraten massiv motiviert, zu den Wahlen zu gehen. Und auch viele Unabhängige, die fast immer wahlentscheidend sind, bewegen sich in Richtung demokratischer Kandidat:innen, nachdem eine klare Mehrheit Abtreibungen nicht verboten sehen will.
Und zweitens ist der Schatten von Donald Trump immer noch ein Mühlstein um den Hals der Republikaner. Während er innerhalb der Partei immer noch unangefochten die Spitze ist, ist er in der breiten Wähler:innenschaft nicht mehr beliebt. Die von ihm unterstützten Kandidat:innen, die sich in den parteiinternen Vorwahlen durchsetzen konnten, sind in vielen Fällen so radikal, dass sie in der allgemeinen Wahl kaum Chancen auf eine Mehrheit haben.
Auf der anderen Seite können die Republikaner auf einen Zuwachs in Mandaten hoffen: Joe Bidens Beliebtheitswerte sind schwach, laut dem Umfragen-Tracker FiveThirtyEight sind nur 42,3 Prozent der Wähler:innen zufrieden mit seiner Arbeit. Und darüber hinaus hat die Teuerung auch die USA stark getroffen. Zwar ist die Inflation seit dem Sommer zurückgegangen, und auch die für das Automobilland USA so wichtigen Treibstoffpreise an den Tankstellen sind gesunken, die wirtschaftliche Stimmung ist aber schlecht – und das fällt traditionell auf den amtierenden Präsidenten und seine Partei zurück. Es wird erst nach der Wahl klar werden, welche dieser Trends sich stärker durchsetzen werden.
Wie schauen die Umfragen aus?
Die Umfragen der letzten Tage gehen davon aus, dass die Demokraten wahrscheinlich ihre Mehrheit im Senat halten können, das Repräsentantenhaus aber wohl an die Republikaner verlieren dürften.
Die Senatsrennen sind jeweils eine Wahl in einem gesamten Bundesstaat. Heuer sind davon mehr Republikaner:innen betroffen, die ihr Mandat halten müssen, und in einigen Bundesstaaten könnten die Republikaner ihren Senatssitz verlieren. In Pennsylvania etwa sieht es so aus, als ob der demokratische Kandidat den leeren Sitz erringen könnte, nachdem der ausscheidende republikanische Senator nicht noch einmal antritt. Allerdings sind auch hier die Umfragen in den letzten Tagen schlechter für die Demokraten geworden – doch sie dürften die Mehrheit behalten.
Im Repräsentantenhaus wird in Wahlkreisen in allen Bundesstaaten jeweils ein:e Abgeordnete:r gewählt, und zwar die Person, die die meisten Stimmen hat. Vor allem durch das Ziehen der Grenzen von Wahlbezirken zum Vorteil der eigenen Partei, das sogenannte Gerrymandering, haben die Republikaner einen massiven Vorteil, was zusammen mit den oben erwähnten Punkten eine Mehrheit für sie wahrscheinlich macht.
Wie beeinflussen Gerrymandering-Grenzen die Wahl?
Gerrymandering ist das Phänomen, dass Wahlkreise nicht einfach nach geografischen Gegebenheiten von einer unparteiischen Behörde definiert werden. In der Praxis werden deren Grenzen so gezogen, dass eine Partei einen Vorteil davon erlangt. In den USA sind dafür die Bundesstaaten verantwortlich. Nachdem in der Mehrheit der Bundesstaaten die Republikaner an der Macht sind, haben diese viele Wahlkreise für das Repräsentantenhaus so gezogen, dass es ihren Kandidat:innen leichter fällt, dort eine Mehrheit zu erringen. Allerdings gibt es auch, wenngleich weniger, Beispiele von Gerrymandering der Demokraten: Im April dieses Jahres hob das Höchstgericht des Bundesstaats New York die neuen Wahlbezirke auf, weil sie die Demokraten zu stark bevorteilen würden.
Der Begriff Gerrymandering ist alt und geht auf das Jahr 1812 zurück. Damals segnete Elbridge Gerry, Gouverneur von Massachusetts und später Vizepräsident der Vereinigten Staaten, ein Gesetz zum Neuzuschnitt der Wahlkreise für den Senat von Bundesstaaten ab, das diese Wahlkreise deutlich vorteilhafter für seine Partei machte. Einer der neuen Wahlkreise glich – wie ein zeitgenössischer Zeitungskarikaturist bemerkte – einem Salamander. Davon leitete sich das verballhornte Wort Gerrymandering ab.
Die Folgen dafür sind seit Jahrzehnten klar – die Demokraten, die mit wenigen Ausnahmen von einem allzu heftigen Gerrymandering absehen, verlieren damit in den regionalen Parlamenten und im Repräsentantenhaus immer mehr mögliche Mandate, weil sie bei Wahlen ins Hintertreffen gelangen.
Was werden die Folgen der Midterms sein?
Sollten die Umfragen halten und die Republikaner erreichen die Mehrheit im Repräsentantenhaus, droht eine Blockade der politischen Agenda Joe Bidens. Zusammen mit der demokratischen Mehrheit in beiden Kammern konnte er in seinen ersten zwei Jahren im Amt überraschend viele Gesetze durchbringen, etwa eine schwache Waffenrechtsreform, ein Gesetzespaket zur Abschwächung der Teuerungskrise und ein großes Sozialpolitik- und Klimaschutzpaket.
Die Republikaner haben bereits angekündigt, dass sie solche Gesetze in Zukunft blockieren werden. Biden will eigentlich das Recht auf Abtreibung durch ein Bundesgesetz schützen sowie durch eine große Wahlrechtsreform politisches Gerrymandering verbieten und es allgemein leichter machen zu wählen. Das alles wird mit einer republikanischen Mehrheit im Repräsentantenhaus nicht möglich sein. Und auch der U-Ausschuss zum gewalttätigen Sturm auf das Kapitolgebäude durch Trump-Anhänger:innen am 6. Jänner 2021 dürfte von den Republikanern abgedreht werden. International könnte die Hilfe der USA für die Ukraine ins Stocken geraten, sollten die Republikaner lieber auf Blockade setzen, anstatt weitere Militärhilfe gesetzlich zu ermöglichen. Das alles wären möglicherweise auch schlechte Nachrichten für Bidens Wiederwahlambitionen 2024 – wenn er bis dahin nichts mehr an Politik durch den Kongress bringt, würde das Wähler:innen nicht unbedingt motivieren.
Die Innenpolitik in den USA ist nicht erst seit Donald Trump massiv gespalten und von gegenseitigem Misstrauen geprägt. Das würde durch einen gespaltenen Kongress wohl nur noch stärker werden.