Niedergelassene Versorgung – unbekannte Universallösung
„Das Gesundheitssystem ist zu teuer und zu spitalslastig.“ Das heißt es oft und gerade, wenn über (dringend nötige) Krankenhausschließungen diskutiert wird, wird immer auf die Notwendigkeit von niedergelassener Versorgung im Gegenzug verwiesen. Für viele bedeutet das Hausärzt:innen, politisch werden auch immer wieder die sogenannten Primärversorgungszentren als eine Form der niedergelassenen Versorgung angeführt. Was alles darunter verstanden wird und warum aber eine ganze Palette an niedergelassener Versorgung notwendig ist, wird aber nur selten diskutiert.
Vorweg: Sowohl Primärversorgungszentren als auch Hausärzt:innen fallen beide unter niedergelassene Versorgung. Hausärzt:innen sind üblicherweise Allgemeinmediziner:innen, sie sollten also quasi die erste Anlaufstelle für Patient:innen sein und nur, wenn ihre Expertise nicht ausreicht, an Fachärzt:innen weiterverweisen. Die zählen ebenso zu niedergelassener Versorgung und sind beispielsweise mitgemeint, wenn vom Kassenarztmangel gesprochen wird.
Wer will schon selbstständig sein?
Kassenverträge sind nicht unbedingt attraktive Bezahlmodelle, und die Kosten für eine Praxis, Mitarbeiter:innen, eventuell nötige Geräte für Untersuchungen werden damit ja auch nicht direkt abgegolten. Wer das alles mitfinanzieren will, braucht dafür genug Patient:innen. Mit einer Wahlarztpraxis kann man die Tarife selbst festlegen, was mehr Spielraum für diese laufenden Kosten schafft. Dieser Spielraum ist einerseits natürlich bequem, kann aber auch nötig sein. Denn mit einem Medizinstudium hat man ja nicht automatisch eine wirtschaftliche Ausbildung, viele müssen sich diese Aspekte der Arbeit wohl erst mühsam aneignen. Vielleicht heißt es auch deshalb, dass immer weniger Ärzt:innen selbstständig tätig sein wollen.
Ein häufiger „Beleg“ dafür ist, dass die Ärzteschaft weiblicher geworden ist, rund die Hälfte sind Frauen. Ob es wirklich einen Zusammenhang gibt, dass Frauen seltener selbst das wirtschaftliche Risiko tragen wollen oder ob es auch mit dem Generationenwandel zu tun hat, sei dahingestellt. Klar ist jedenfalls: Es scheint immer schwieriger zu werden, jemanden für einen Kassenvertrag zu finden. Stattdessen wird auf einen Ausbau der niedergelassenen Versorgung mit geteilter Verantwortung gesetzt. Eine:r betreibt die Praxis, eine:r ist angestellt. Das erhöht die Anzahl der Stunden, die eine Praxis offen sein kann, ohne dass ein einzelner Arzt auf eine60-Stunden-Wochen kommen muss. Im Kassenplan gibt es dafür eigene Regelungen, wie sich das auf die vorgesehene Versorgung auswirkt, aber man kann zusammenfassen: Es ist bürokratisch nicht immer einfach.
Primärversorgung als Zauberwort?
Einfacher könnten da schon Gruppenpraxen sein, eine andere Form von Ärztezusammenschluss für eine Praxis – in der aber alle Beteiligten wirtschaftlich involviert sind. Diese Unterschiede sind im Alltag für Patient:innen egal, sie machen aber die Analyse und Steuerung, wo welche Ärzt:innen tätig und wie versorgungswirksam sie sind, komplizierter. Einfacher ist es, mit Überbegriffen zu hantieren – so wie mit den sogenannten Primärversorgungszentren (PVZ).
Die werden zwar nur langsam ausgebaut, aber das Wort ist mittlerweile etabliert. Verschiedene Berufsgruppen arbeiten in einer gemeinsamen großen Praxis zusammen, wodurch man verschiedene Services vom Arzt bis zur Physiotherapie an einer Adresse beieinander hat. Für viele Ärzt:innen mit Einzelvertrag sind die Primärversorgungszentren Konkurrenz, denn alleine gegen ein Team anzutreten, ist immer schwierig. Für Patient:innen sind PVZ aber praktisch: Potenziell hat man zwar nicht immer den/die gleiche Ärzt:in, dafür sind die Wartezeiten weitaus kürzer. Was bedeutet, dass der Ausbau der Primärversorgungszentren die niedergelassene Versorgung aufgrund der höheren Effizienz weitaus mehr stärkt als eine zusätzliche Kassenordination. Aufgrund der anderen Abrechnung und weil die Vormachtstellung von Ärzt:innen damit reduziert wird, sind PVZ zumindest bei der Ärztekammer deshalb unbeliebter als zusätzliche Kassenstellen.
Die angedrohte Konzernisierung
Dabei sind bei den PVZ nur Gesundheitsberufe als wirtschaftliche Eigentümer erlaubt. Viel größer ist da die Angst der Ärztekammer vor der sogenannten Konzernisierung der Medizin. Es werden immer wieder Studien aus den USA als Mahnbeispiel herausgeholt, obwohl sich das auf Österreich nur schlecht umlegen lässt. Die einzigen wirklich betrieblich orientierten Einrichtungen sind nämlich die Ambulatorien. Sie sind so etwas wie „niedergelassene Krankenanstalten“ und oft in der Diagnostik tätig (also sogenannte Diagnosezentren, in denen man MRTs oder CTs machen kann) oder auch in der Labormedizin. Gleichzeitig gibt es solche Ambulatorien auch für Hals-Nasen-Ohrenärzt:innen, für Sportmedizin, für Kinder- und Jugendheilkunde oder in der Zahnmedizin. Also auch in Fächern, in denen sonst von einzelnen Praxen gesprochen wird – nur eben, dass die Ärzteschaft überwiegend angestellt ist und eine Firma im Hintergrund steuert.
In der Theorie gibt es Ambulatorien, weil in einigen Fächern die medizinischen Geräte groß und teuer sind und deshalb ein Unternehmen für die Anschaffungskosten aufkommt und nicht einzelne Ärzt:innen. Billiger als im Krankenhaus ist es im Ambulatorium auf alle Fälle, immerhin muss nicht alles für jede Fachrichtung vorhanden sein. Zusätzlich brauchen die Ambulatorien nicht nur eigene Verträge, sondern müssen auch per Bescheid genehmigt werden. Deshalb sollten sie auch in Fachrichtungen, die sonst mit Einzelpraxen versorgt werden, keine Konkurrenz darstellen.
Als Argument der Ärztekammer gegen Ambulatorien wird aber immer gesagt, dass der Arztberuf in solchen Einrichtungen im Sinne des Profits ausgelebt werden muss und Patient:innen in den Hintergrund rücken. Wobei eine angestellte Ärztin sich vielleicht leichter die Zeit für ein langes Gespräch nehmen kann, weil sie ja nicht selbst den bürorkratischen Aufwand mit Datenerhebung, Patientenakten und Abrechnung erledigen muss. Und es stellt sich auch immer wieder die Frage, welche Prioritäten einzelne Ärzt:innen mit Kassenverträgen wie handhaben und ob diese nicht manchmal auch aus wirtschaftlichem Druck heraus pro Patient:in ein bisschen zu wenig Zeit haben.
Niedergelassenen Bereich stärken
Was Einzel- und Gruppenpraxen, PVZs und Ambulatorien alle eint, ist aber Folgendes: Die Leistungen dort werden von den Krankenkassen bezahlt und sie sollten eine einfachere Anlaufstelle für Patient:innen sein als Krankenhäuser. Denn sie sind alle Teil der niedergelassenen Versorgung und damit die Versorgungsschiene, in der Patient:innen Vertrauenspersonal finden sollten und schnell und effizient behandelt werden. Ohne lange Wartezeiten und auch ohne hohe Vorhaltekosten, wie sie beispielsweise in Spitälern anfallen. Denn Terminambulanzen in Krankenhäusern führen oft Behandlungen durch, die auch im niedergelassenen Bereich erfolgen könnten. Wobei beispielsweise Landärzte früher auch kleinere Wunden genäht oder bei einem verstauchten Knöchel die passende Schiene verschrieben haben. Grundsätzlich braucht es also für sehr viele Behandlungen, die im Krankenhaus erfolgen, nicht unbedingt ein Krankenhaus.
Aber wenn im Krankenhaus zu viel Zeit übrig bleibt, fallen trotzdem enorme Kosten für Personal, medizinische Geräte und die Gebäude an. Wohl deshalb ist es auch so schwierig, die lange gepredigte Verschiebung vom stationären in den ambulanten Bereich wirklich voranzutreiben. Ein leeres Krankenhaus bringt kein Geld, sondern kostet nur. Und Österreich hat mehr als genug Krankenhäuser, was man daran erkennt, dass wir die viertmeisten Krankenhausbetten in der OECD haben. Will man das System effizienter und billiger machen, braucht es also eine Stärkung des niedergelassenen Bereichs. Egal in welcher Form, nur passieren muss dieser Paradigmenwechsel endlich.