Österreich ist kickl-fest (wahrscheinlich)
Könnte Herbert Kickl die Demokratie abschaffen? Dieses Worst-Case-Szenario zeichnet sich in medialen Diskussionen ab, immerhin führt die FPÖ nach wie vor die Umfragen zur Nationalratswahl an. Als stärkste Partei könnte er den Auftrag zur Regierungsbildung erhalten und danach sein aus Bierzeltreden bekanntes Versprechen wahrmachen:
„Machen wir es wie der Orbán!“
Dass die Orbánisierung Österreichs eine gefährliche Drohung wäre, haben wir bei Materie schon oft herausgearbeitet. Die Politologin Kim Lane Scheppele bezeichnet Ungarn als „keine Demokratie“, Regierungschef Orbán kontrolliert die Medien und die Justiz, ein fairer Wahlsieg ist gegen die Fidesz-Mehrheit kaum mehr möglich. Die Opposition hat kaum finanzielle Mittel und wird medial totgeschwiegen, während sie von Orbáns finanzkräftigem Machtapparat als korrupte Bande dargestellt wird. Wer in einem liberalen Rechtsstaat leben will, verlässt das Land – was Teil des Plans ist.
Wenn Herbert Kickl also den Orbán-Trend nachmachen will, bedeutet das zumindest einen Stresstest für die Demokratie. Aber könnte er Österreich zum autoritären Staat umbauen? Begeben wir uns auf eine Spurensuche durch die österreichische Rechtsordnung.
Was, wenn er gewinnt?
Der erste Hebel für die autoritäre Übernahme eines Staats ist logisch: Man braucht Regierungsverantwortung. Dafür braucht Herbert Kickl mindestens ein gutes Wahlergebnis. Wie gut, das ist die Frage, denn dass die stärkste Partei den oder die Bundeskanzler:in stellt, ist keine Regel, sondern einfach üblich. Wolfgang Schüssel etwa wurde als Wahldritter Bundeskanzler, die damals stimmenstärkste SPÖ ging in Opposition. Da Bundespräsident Alexander Van der Bellen Bedenken angemeldet hat, Herbert Kickl überhaupt anzugeloben, gehen wir also davon aus: Er müsste die Nationalratswahlen im Herbst gewinnen. Das ist das erste Wenn.
Aber auch als Bundeskanzler ist die Macht beschränkt. Eine Erfahrung, die vor allem Regierungschefs der Vergangenheit machen mussten: SPÖ und ÖVP scheiterten immer wieder an ihren Landesparteien und am Widerstand der Landeshauptleute, zuletzt etwa bei Reformen im Bereich der Bodenversiegelung oder dem Ausbau erneuerbarer Energien. Besonders schwer ist die föderale Zerstückelung in den Ressorts Bildung und Gesundheit. Und andere Themen wie das FPÖ-Steckenpferd Asylpolitik gehen nur auf europäischer Ebene. Nicht umsonst hat sich in Kickls Zeit als Innenminister lediglich ein Türschild in Traiskirchen geändert.
Unabhängig vom Bereich gäbe es für Herbert Kickl nur wenige Verbündete auf Landesebene – in Salzburg, Oberösterreich und Niederösterreich ist man Juniorpartner der ÖVP. Große Staatsreformen sind ohne die Zustimmung der Länder oder anderer Stakeholder (etwa die ÖGK und Sozialversicherung im Gesundheitsbereich) nicht möglich. Was Österreich in der Praxis hauptsächlich lähmt, könnte sich im Fall der autoritären Wende als Glücksfall erweisen.
Wie man einen Staat kapert
Trotzdem gibt es einige Ansätze, wie Kickl die Macht als Bundeskanzler nutzen könnte. Zum einen könnte er die Medienlandschaft auf Linie bringen. Was in Ungarn funktioniert hat, könnte auch in Österreich stattfinden: Finanzschwache Medien – von denen es in Österreich viele gibt – könnten ihre Förderungen verlieren, wenn sie nicht im Sinne der Regierung berichten. Qualitätsorientierte und transparente Standards in der Medienförderung findet man nämlich selten, schon heute kommt es zu umstrittenen Entscheidungen bei der Auszahlung. Dazu kommt die Praxis der Inseratenvergabe: Wer brav ist, wird mit Werbegeldern belohnt, wer nicht spurt, muss am schwierigen Medienmarkt alleine bestehen.
Andererseits wäre da die Verwaltung. Die „Politisierung“ der Verwaltung ist ein Phänomen, von dem wir schon lange wissen, und durch die Erkenntnisse aus den U-Ausschüssen wissen wir auch genau, wie das funktioniert: durch interimistische Besetzungen, durch parteipolitisch besetzte Kommissionen, durch strategische Schaffung von Planstellen und Ausbildungsplätzen. Eine FPÖ-geführte Bundesregierung könnte also Schlüsselministerien mit Parteigünstlingen besetzen, die auch nach ihrer Zeit im Ministerium bleiben könnten.
Dazu kommt die Macht des bzw. der Präsident:in des Nationalrats. Dieses Amt wurde in der Vergangenheit relativ unauffällig geführt, bis auf den aktuellen: Wolfgang Sobotka. Schon jetzt hat dieser eine entscheidende Rolle, wenn es darum geht, was im Parlament wie diskutiert wird. Redezeiten, Tagesordnungen, aber auch Ordnungsrufe und Wortentzug fallen in seine Zuständigkeit. Ein autoritärer Nationalratspräsident könnte diese Macht missbrauchen. Anlassfälle dafür gibt es bereits: Dieser Position steht immerhin auch der Vorsitz in U-Ausschüssen zu. Jemand aus der FPÖ würde bei einem Russland-U-Ausschuss vermutlich anders vorgehen als andere.
Das Doomsday-Szenario für Österreichs Demokratie
Man sieht also: Der Schaden, den eine autoritär gesinnte Bundesregierung anrichten könnte, wäre groß. Aber wie ist es jetzt wirklich mit „Machen wir es wie der Orbán“ – geht ein korrupter Einparteienstaat in Österreich? Dafür müsste man zuerst mal die alleinige Macht erhalten. Dafür gibt es zwei Möglichkeiten. Nummer eins: eine absolute Mehrheit bei den Nationalratswahlen. Die Zeit von 50 Prozent und mehr für einzelne Fraktionen dürfte aber vorbei sein. Woanders aber gibt es noch „Absolute“. Nämlich bei der Bundespräsidentschaftswahl.
Nehmen wir also folgendes Szenario: Die FPÖ wird stärkste Partei, scheitert aber mit der autoritären Machtübernahme an der ÖVP. 2028 entscheidet sich Herbert Kickl, als Bundespräsident zu kandidieren – und gewinnt. Jetzt wird die Debatte schlagend, die wir während der letzten Präsidentschaftswahlen ausführlich geführt haben: „Kann der Bundespräsident den Nationalrat auflösen?“. Und die Antwort lautet nach wie vor: nur auf Vorschlag der Bundesregierung.
Also schlägt der blaue Bundeskanzler von Kickls Gnaden dem neuen Präsidenten vor, den Nationalrat aufzulösen und neu wählen zu lassen. Unabhängig vom Wahlergebnis ernennt Kickl eine neue Regierung, besetzt ausschließlich aus seiner Partei. Die FPÖ sitzt nun in beiden Hebeln an der absoluten Macht. Das Ziel ist erreicht.
Die Stunde des Parlaments
Könnte man meinen. Aber hier kommt der entscheidende Teil der Checks & Balances ins Spiel, der Österreich vor der Machtübernahme sichert: Gesetze müssen nach wie vor durchs Parlament, wo ihnen zugestimmt werden muss. Eine FPÖ-Alleinregierung nützt also nichts, wenn sie nicht auch mit einer parlamentarischen Mehrheit abgesichert ist.
In diesem Szenario könnte eine FPÖ-Alleinregierung also nach Belieben Gesetze ausarbeiten und vorschlagen lassen: von der Umfärbung des ORF über die Politisierung der Justiz bis zu einem Verbot von Protesten gegen die Bundesregierung, wie wir es aus anderen autoritären Staaten kennen. All diese Gesetze würden aber letztendlich scheitern – weil sie im Parlament keine Mehrheit finden. Kickl müsste sich auf einen „Kuhhandel“ einlassen und anderen Parteien etwas geben. Ob sich diese darauf einlassen würden, Grundrechte für Policy einzutauschen, ist mehr als fraglich.
Österreich wird nicht gekapert
Es gibt also in Wirklichkeit nur einen Weg, Österreich zum autoritären Staat umzubauen: eine absolute Mehrheit für die FPÖ bei den Nationalratswahlen. Und die einzige Möglichkeit dafür wäre wohl, das Wahlrecht zu ändern. Für diese Reform braucht Kickl allerdings Partner:innen – und solange das der Fall ist, kann er nicht alleine bestimmen, wie gewählt wird. Ein Umbau zum Mehrheitswahlrecht würde der ÖVP wohl stärker nutzen als der FPÖ, das Ziehen willkürlicher Grenzen in Wahlbezirken wäre ein Kompromiss.
All das wären zweifellos Angriffe auf die Demokratie. Aber eben keine, die Kickl dann wirklich zur absoluten Macht verhelfen. Und obwohl wir uns in einem Worst-Case-Szenario befinden, ist das doch eine gute Nachricht. Denn „Machen wir es wie der Orbán“, das ist in Österreich in der Praxis unrealistisch. Bleibt wohl doch wieder nur das Austauschen von Türschildern.