Der Finanzierungsfuckup im Gesundheitssystem
Bei der Finanzierung des Gesundheitswesens sitzen zu viele Spieler am Tisch: Bund, Länder, Gemeinden und Sozialversicherungsträger. Das macht es undurchsichtig und ineffizient.
Es könnte das Motto des Jahres sein: „Der Finanzausgleich ist die einzige Chance für Reformen im Gesundheitssystem.“ Doch teilweise ist genau dieser Finanzausgleich – das Ringen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden um die Aufteilung des Steuergelds – auch die Ursache für den Stillstand.
Ein einfaches Finanzierungssystem braucht eigentlich nur eines: Einzahlungen in eine Organisation, die gemeinsame Mittel verwaltet, verteilt und auszahlt. Die österreichische Praxis sieht anders aus – alleine durch die Verfassung reden Bund, Länder, Gemeinden und natürlich die Sozialversicherungsträger mit, wenn es um Gesundheitspolitik geht. Was bedeutet, dass verschiedene Zahlungen von verschiedenen Stellen kommen.
Damit das aber irgendwie strukturiert abgewickelt wird und die zuständigen Stellen auch genügend Geld für diese Aufgaben haben, gibt es Sozialversicherungsbeiträge, und zur Verteilung der Steuergelder den Finanzausgleich. Und hier beginnt das Problem Föderalismus. Denn in diesen Bereich fallen öffentlicher Gesundheitsdienst, Gemeindeaufgaben wie Rettung oder Sanitätsdienste und die Krankenhausfinanzierung zwischen Ländern, Gemeinden und privaten oder privat betriebenen öffentlichen Krankenhäusern.
So viel zur grauen Theorie, wer aller mitspielt in der Finanzierung des Gesundheitssystems. Klingt schon kompliziert? Keine Sorge, die Verwirrung wird mehr. Der Rechnungshof hat sich 2014 die Arbeit gemacht und die Finanzierungsströme im Gesundheitssystem analysiert und in einer Grafik zusammengefasst:
Was die Grafik auf den ersten Blick schön darstellt, ist, wie oft Geld hin und her geht, bevor es tatsächlich irgendwo ankommt.
Ganz grob gesagt, gibt es im Gesundheitswesen zwei Bereiche: den niedergelassenen Bereich und die Krankenhäuser. Das sind auch die zwei größten Kreise auf den Außenrändern der Grafik. Ganz rechts die Sozialversicherung für den niedergelassenen Bereich, also ärztliche Praxen, ganz links die Landesgesundheitsfonds für die Krankenanstalten.
Im jeweiligen Gesundheitsfonds läuft pro Bundesland zusammen, wie all die Krankenhäuser – die für die gleichen Patient:innen die gleichen Leistungen zu gleichen Kosten erbringen – über einen gemeinsamen Mechanismus bezahlt werden. Manchmal ist das einfacher, wie in Niederösterreich, wo alle Krankenhäuser im Besitz des Landes sind. In anderen Bundesländern sind die Systeme innerhalb des Fonds aufgrund der verschiedenen Krankenhauseigentümer komplizierter.
Die Entscheidungen über die Landesgesundheitsfonds treffen die Landesgesundheitsplattformen, in denen gemeinsam über die Weiterentwicklung der Spitalslandschaft im jeweiligen Bundesland entschieden wird. Hier sind jeweils mehrere Mitglieder der Landesgesundheitsabteilung sowie der Landeskrankenhäuser, teilweise der Versicherungsträger, des Ministeriums und anderer Krankenhausträger im jeweiligen Bundesland vertreten.
Fonds als Hilfsmittel zur Intransparenz
Das Gegenstück zu diesen Fonds auf Bundesebene ist die Bundesgesundheitsagentur (BGA). Seit der Entstehung der Grafik des Rechnungshofes ist dieser Kreis – sonst wäre es ja zu einfach – wohl größer geworden, da diese Agentur mittlerweile den Einkauf für einige sehr teure Medikamente übernimmt, auf deren Beschaffung sich die Sozialversicherung und mit den Krankenhäusern nicht einigen konnte. Also werden bestimmte Medikamente gemeinsam über die BGA beschafft, beispielsweise für Gentherapien.
Damit auch daran gearbeitet wird, dass in Zukunft weniger statt mehr Menschen krank werden, gibt es auch den Aspekt der Gesundheitsprävention, dem natürlich auch Rechnung getragen wird. Buchstäblich. Nämlich auf Bundesebene, mit dem Fonds Gesundes Österreich.
In den Ländern ist gemäß der Vereinbarung zur Finanzierung des Gesundheitssystems jeweils die Hälfte der Mittel der Landesgesundheitsfonds für die Landesgesundheitsförderungsfonds vorgesehen. Sagt zumindest die Vereinbarung zum Finanzausgleich. Aber wo gerade welches Monitoring dieser Fördertätigkeiten liegt und welche Verbesserungen der Gesundheit durch ihre Tätigkeiten in den jeweiligen Bundesländern erzielt wurden, weiß niemand. Zumindest das Ministerium hat diese Informationen nicht, und auch richtig aktuelle Monitoringberichte gibt es nicht. Wo welche Erhebungen liegen und wie die Gesundheitsförderung im Rahmen des Finanzausgleichs neu organisiert werden soll, ist auch nicht bekannt.
Im Föderalismus fährt man mehrgleisig
Genau solche Funktionsweisen sind der Grund, warum die Finanzierung im Gesundheitssystem kaum analysierbar ist. Gesundheitsförderung oder ein Pilotprojekt für strukturierte Versorgung für Bluthochdruck? Gab es vielleicht in einem Bundesland als Pilotprojekt der Gebietskrankenkasse und des Gesundheitsförderungsfonds. Oder in einzelnen Krankenhäusern strukturierte Versorgung als Test. Wer sich nicht bei jeder beteiligten Stelle mit der Lupe auf die Suche macht, wird wohl kaum einen bundesweiten Überblick über diese Tätigkeiten erhalten.
Solche Pilotprojekte in einzelnen Bundesländern waren aber oft der Grund, warum man in einem anderen nichts ändern wollte. „In Vorarlberg läuft die strukturierte Versorgung über den Fonds? Dann mache ich es nicht. Ach, in der Steiermark sorgt die Gebietskrankenkasse für mehr Sport in der Schule? Dann brauche ich als Sportabteilung in einem anderen Bundesland nichts machen.“
Welche dieser Präventionsprogramme es in Kooperation mit den ehemaligen Gebietskrankenkassen gab und welche über die Landesgesundheitsförderungsfonds alleine weitergeführt wurden? Auch das ist unbekannt. Zumindest ist der Übersichtsbericht des Dachverbands über solche gemeinsamen Präventionsprogramme der ehemaligen Landeskassen in dieser Hinsicht eher unbefriedigend.
Wer ein System weiterentwickeln und effizient machen will, sollte aber wissen, wer was in diesem System macht. Die ÖGK ist in manchen Restbereichen aber auch Jahre nach der Zusammenlegung noch damit beschäftigt herauszufinden, welche Verträge überhaupt welche Summen und Verpflichtungen bedeuten. Gerade im Hinblick auf Heilmittel wie Brillen, Hörgeräte oder Krücken gab es große Unterschiede. Dort, wo Menschen sich die Restbeträge nicht leisten können, gibt es – fast schon erwartbar – übrigens wieder einen eigenen Ausgleichsfonds zur Unterstützung.
Neun Töpfe – aber niemand will zahlen
Teilweise kann die ÖGK aber gar nicht so viel für diese Ungleichheiten, wie man erwarten würde. Immerhin mussten nach der Zusammenlegung erst neun IT-Systeme aufeinander abgestimmt werden, in allen Bundesländern mussten alle vorhandenen Verträge gefunden und abgeglichen werden.
Bei der Diskussion über den Mutter-Kind-Pass waren diese verschiedenen Verträge der Gebietskrankenkassen mit den Ärzten ein Grund, warum die Ärzteschaft mit einer Aufkündigung des Vertrags drohte – immerhin will keine Fachgruppe in keinem Bundesland irgendwelche Einbußen hinnehmen. Egal ob Gehalt für den Arzt für die Einzelleistung, Brille oder Rollstuhl: Wenn in allen Bundesländern plötzlich die höchsten Preise bezahlt werden, wird die ÖGK ein Finanzierungsproblem bekommen. Auch wenn bestimmte Leistungen oder Fachrichtungen eine nötige Aufwertung erfahren könnten oder auch die Leistungsunterschiede zwischen Versicherten – die immerhin auch die gleichen SV-Beiträge zahlen.
Überblick über diese Ungleichheiten sollte es langsam geben. Bis überall genau das Gleiche gezahlt wird und die ÖGK mit allen Fachrichtungen der neun Ärztekammern einen bundesweit einheitlichen Vertrag hat, wird es aber wohl noch länger dauern.
Es sei denn, die verschiedenen Beiträge werden eingeklagt. Das passiert manchmal bei sehr teuren Medikamenten, dort haben sich Landeskrankenhäuser und Sozialversicherung auch auf Kosten der Patient:innen gegenseitig die Rechnung zugeschoben. Bis eben mit der BGA eine Zwischenlösung gefunden wurde. Glück für die ÖGK daran: Nur Patient:innen können einklagen, was ihnen zusteht. Wie die Honorare in den Verträgen einzuschätzen sind, liegt aber rein bei den Verhandlungspartnern: der Kasse und Kammer.
Ausnahmen über Ausnahmen
Nicht zu vergessen sind dann natürlich noch die Sonderkosten. Krankenfürsorgekassen anstelle anderer Versicherungsträger in Wien, Graz oder anderen Statutarstädten. Die Kosten des Justizministeriums, weil Inhaftierte nicht versichert sind und deren medizinische Behandlungen sozusagen auf Privatrechnung erfolgen. Oder die Beteiligung des Familienministeriums für die Untersuchungen des Mutter-Kind-Passes, die Mittel für Privatkrankenanstalten aus dem (durch Heinz-Christian Strache berühmt gewordenen) PRIKRAF, oder eben Gemeindebeiträge für den Rettungsdienst und die Verwaltungs- und Abwicklungskosten bei all den involvierten Stellen. Fonds, Kassen, Kammern und alle anderen involvierten Stellen bedeuten ja auch immer extra Personal, Softwarekosten usw.
Übrig bleibt immer nur eines: Wir zahlen alle mehr dafür. Über Steuern, über Sozialversicherungsbeiträge.
Das wäre die einfache Rechnung. Am Schluss streiten aber alle, die mitzahlen, wie viel weniger sie beitragen könnten. Die Fonds mit der Versicherung, die Gemeinden mit den Ländern und dem Bund. Und das, obwohl es am Schluss immer der gleiche Topf ist.
Dass man da bei manchen Behandlungen oder Leistungen den Überblick verliert, wer was schon gemacht hat oder vielleicht einfach nur machen möchte, damit es bezahlt wird, kann passieren. Sollte es aber nicht. Damit das leichter auffällt, könnten beispielsweise Steuern und Versicherungsbeiträge als gemeinsamer Topf für Praxen und Krankenhäuser verwendet werden. Oder es gibt eine bessere Dokumentation von bisherigen Untersuchungen oder auch Eingriffen – damit sie nicht doppelt gemacht und bezahlt werden müssen. Die Datenfrage im Gesundheitswesen ist aber eine ganz andere Geschichte. Dagegen ist die Rechnungshof-Grafik noch harmlos.