Pelosi in Taiwan – kalkulierter Mut
Nancy Pelosy, Abgeordnete und Vorsitzende des US House of Representatives und damit Nummer 3 in der Chain of Command hinter dem Präsidenten und seiner Vizepräsidentin, ist am Dienstag in Taipeh angekommen. Die Reisepläne der US-Demokratin hatten schon im Vorhinein für Warnungen und offene Drohungen durch China gesorgt. China sieht Taiwan als abtrünnige Provinz an, nicht als unabhängigen Staat. Die aufstrebende, autoritäre Weltmacht will keinen „Vorposten des Westens“ in den Gewässern vor der eigenen Küste haben. Pelosis Besuch dort ist also diplomatisch delikat – und doch auch bewusst kalkulierter Mut. Ihre Visite in Taiwan wirft ein Schlaglicht auf über 70 Jahre Ringen zwischen der Insel und China und ist in der aktuellen weltpolitischen Situation ein Zeichen der neuen Zeit im Pazifik.
Taiwan – weltpolitischer Steckbrief
Taiwan, offiziell Republik China, ist eine Insel zwischen süd- und ostchinesischem Meer, die Formosa-Straße trennt sie vom Festland. Rund 23,5 Millionen Menschen leben dort, die Wirtschaftsmacht exportiert Hochtechnologie, Maschinen und Rohstoffe. Allerdings hat diese Wirtschaftsmacht de facto keine internationale Anerkennung, nachdem China, immerhin eine Atommacht und ständiges Mitglied im UNO-Sicherheitsrat, offizielle Beziehungen mit dem Inselstaat auf internationaler Ebene behindert. Und kaum ein Staat auf der Erde will sich die Handelsmöglichkeiten mit China verbauen.
Chinas Angst vor einem Vorposten des Westens ist nicht unbegründet, ist Taiwan doch eine demokratische Republik mit hohem Wohlstand und einem entsprechend hohen Human Development Ranking Index. Wenig überraschend hat Taiwan auch ein überdurchschnittlich hohes Militärbudget – und obwohl es kein offizielles Militärbündnis oder auch nur einen Vertrag zwischen den USA und Taiwan gibt und beide Staaten keine offiziellen diplomatischen Beziehungen unterhalten, hat die Militärkooperation dieser Länder einen erheblichen Umfang. Taiwan gehört zu den Hauptabnehmern US-amerikanischer Rüstungsgüter. In den Jahren 2004–2007 investierte das Land hierfür 4,3 Milliarden Dollar und 2008–2011 waren es 2,9 Milliarden Dollar. Damit lag die Insel 2004–2007 an vierter Stelle (nach Israel, Ägypten und Saudi-Arabien) und 2008–2011 an fünfter Stelle (nach Saudi-Arabien, Ägypten, Israel und Australien) der ausländischen Hauptabnehmerländer der US-Rüstungsindustrie.
Taiwan und China – it’s complicated
Der Grund für die hohen Militärausgaben Taiwans ist klar ersichtlich – der Konflikt mit China. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs und dem Ende der Herrschaft Japans über die Insel stehen sich Taiwan und China gegenüber. Am Ende des Chinesischen Bürgerkriegs, der 1949 mit dem Sieg der Kommunistischen Partei unter Mao Zedong endete, floh die nationalistische Partei Kuomintang mit ihrem Anführer Chiang Kai-shek und über einer Million Menschen vom Festland nach Taiwan und etablierte dort eine Regierung. Taiwan wurde daraufhin als autoritäre Diktatur geführt, erst in den 1980ern kam es zu Reformen, die die Insel in eine stabile Demokratie überführten. Bis zum Ende der Diktatur beanspruchte Taiwan die alleinige Repräsentation Chinas nach außen hin, während China bis heute die Insel als abtrünnige, abgespaltene Provinz sieht und jede internationale Einmischung scharf kritisiert. Am 14. März 2005 verabschiedete der Nationale Volkskongress Chinas fast einstimmig das Anti-Abspaltungs-Gesetz, das militärische Schritte gegen Taiwan vorsieht, sollte dieses sich formell unabhängig erklären.
In den frühen 2000ern versuchte Taiwan mit einer offiziellen Politik der „Fünf Neins“ auf der einen Seite, China zu beruhigen, und gleichzeitig sich selbst abzusichern. Solange Taiwan nicht akut militärisch von China bedroht werde, wird der Inselstaat:
- nicht seine offizielle Unabhängigkeit erklären,
- nicht den Namen des Staates ändern,
- keinerlei Passus in die Verfassung aufnehmen, der die Beziehungen zur Volksrepublik als „zwischenstaatliche Beziehungen“ formuliert,
- keine Abstimmung über die Änderung des Status quo in der Frage Unabhängigkeit oder Wiedervereinigung abhalten,
- und die bestehenden taiwanesischen Richtlinien für die „Nationale Wiedervereinigung“ nicht ändern (nur durch Verhandlungen mit einem demokratischeren China)
China hat diese Positionen nie anerkannt. Somit hat sich die Situation zwischen den beiden Ländern nie wirklich verändert. Allerdings spürt Taiwan durch den wirtschaftlichen Aufstieg und das Aufrüsten Chinas erheblich mehr Druck in den letzten Jahren. Taiwan ist deshalb hochaktiv in den Plänen der USA und der anderen ostasiatischen Länder, den Einfluss Chinas zu schwächen.
Pelosis delikater Besuch im Porzellanladen
In diese sich langsam verschärfende Auseinandersetzung platzt nun der Besuch von Nancy Pelosi. Ihr Besuch ist nicht der erste einer hochrangigen US-Persönlichkeit in Taiwan. US-Präsident Dwight D. Eisenhower besuchte Chian Kai-shek während einer heißen Phase im Kalten Krieg in Taipeh: Nach dem Versuch der Annäherung an China durch Richard Nixon ab 1972 wurde die Unterstützung der USA für Taiwan schwächer, erst im neuen Jahrtausend, mit dem Aufstieg Chinas, wandte sich die US-Außenpolitik wieder stärker der Unterstützung des Inselstaates zu.
Im Ringen der zwei chinesischen Länder sorgt Pelosis Besuch nun aber für ein Aufflammen der Emotionen. Nach der Ankündigung von Militärmanövern in den Gewässern vor Taiwan verhängte China am Mittwoch auch eine Reihe von weiteren Sanktionen gegen den Inselstaat, etwa Importverbote. Die USA entsandten vier Kriegsschiffe in die Region östlich von Taiwan. Pelosi sicherte Taiwan bei einem Treffen mit der taiwanesischen Präsidentin Tsai Ing-wen derweil die Unterstützung der USA zu, nachdem das Präsident Biden erst vor wenigen Wochen ebenfalls getan hatte. Während der Besuch Pelosis in den USA von Demokraten und Republikanern unterstützt wird, warnten Militäranalysten vor den möglichen Folgen. Das immer selbstbewusster auftretende China, das sich auch auf die Wiederwahl des neuen starken Mannes Xi Jinping beim nächsten Parteikongress vorbereitet, wird die Gangart gegenüber Taiwan verschärfen. Zusammen mit dem offensiveren Vorgehen Chinas bei der Frage um den Besitz über rohstoffreiche Inseln im Südchinesischen Meer, braut sich hier eine gefährliche Gemengelage zusammen.
Auch wenn Pelosi mit ihrem Besuch Mut gezeigt hat – die USA und China werden in der nächsten Zeit entscheiden, ob sie Taiwan nicht ein Danaergeschenk gebracht hat.