Reformvorschläge für die Schulgesundheit
Ein Mangel an Schulärzt:innen, Schulpsycholog:innen und Schulsozialarbeiter:innen, mehr psychischer Druck und schlechte Angebote im Schulbuffet – die Gesundheitsvorsorge in der Schule muss sich dringend verbessern. Aber mit welchem Ziel?
Kinder werden immer dicker, psychische Probleme haben durch die Pandemie massiv zugenommen, die Masern sind wieder da, die Medikamente für Kinder sind aus. Die Berichtslage zur Gesundheit der österreichischen Jugend ist also gelinde gesagt düster. Gemessen am „Ärztemangel“, Pflegenotstand und Kollaps des Gesundheitssystems stellt sich die Frage: Wo und wie können Kinder überhaupt erreicht werden? Da bietet sich eine Antwort an: die Schule. Doch auch dort gibt es Mängel – allerdings genauso viele Ideen, wie dieses System verbessert werden kann.
Die größte Zusammenfassung all dieser Ideen ist eine Erhebung des Finanzministeriums. Das Bildungs- und das Gesundheitsministerium, die Bundesländer, der Städtebund, der Gemeindebund und zur Sicherheit auch noch das Finanzministerium haben ihre Kritikpunkte und Ideen abgegeben.
Denn aktuell kostet der Bereich Schulgesundheit das Land ungefähr 30 Millionen Euro im Jahr – und alle sind sich einig, dass das keine effiziente Mittelverwendung ist. Denn es gibt zwar (meistens) schulärztliche Untersuchungen und teilweise gibt es auch Schulen, in denen oft genug jemand vorbeikommt. Aber teilweise fehlen Impfangebote, und zum Gesundheitszustand der Schüler:innen gibt es auch keine Daten. Was bräuchte es also?
1. Schule als Lebensraum erkennen
Die Reformgruppe zum Mutter-Kind-Pass hat im Zuge ihrer Arbeit mehrere Vergleichsstudien über die Systeme in anderen europäischen Ländern gemacht. Eine wesentliche Erkenntnis daraus: Ein häufiges Problem, das bei der Gesundheitsversorgung von Kindern und Jugendlichen auftritt, sind sogenannte Versorgungsbrüche – bei großen Veränderungen im Leben „bricht“ also die Versorgung ab, etwa nach der Einschulung, einem Schulwechsel oder in der Pubertät.
Bei vielen Kindern ist das nicht unbedingt schlimm, dann fällt eben manchmal ein Zahnarztbesuch aus, oder eine Impfung muss später nachgeholt werden. Aber was, wenn dadurch eine Diabetes-Diagnose zu spät erfolgt? Wenn eine Allergie nicht (mehr) behandelt wird und ein schwerer Schock folgt? Wenn nach der ausgelassenen Impfung eine Zecke zubeißt?
Dann beeinträchtigen diese Versorgungsbrüche die Gesundheit und Zukunft betroffener Kinder – und gerade bei Kindern aus ökonomisch schlechter gestellten Familien sind diese Auswirkungen größer. Sie besuchen ohnehin seltener Ärztinnen und Ärzte, haben ein höheres Risiko für Übergewicht und Bewegungsmangel, und oft fehlt in Familien auch die Gesundheitskompetenz, um die Relevanz von Impfungen richtig einzuschätzen, z.B. gegen HPV.
Die Schule ist also ein Ort, an dem man an diese Kinder herankommt. Dort sind jährliche Untersuchungen vorgesehen, deren Ergebnisse könnten in die digitale Gesundheitsakte von Kindern eingetragen werden, damit auch niedergelassene Kinderärzt:innen auf Gewichtsmessungen etc. zugreifen können. Das kann Diagnosen bei Übergewicht, Diabetes, Sehproblemen beschleunigen.
Klingt wie eine Kleinigkeit – doch wenn Kinder die Informationen an der Tafel nicht lesen können und deshalb im Unterricht abschweifen, werden auf Verdacht oft ADHS oder Lernschwächen angenommen. Schlimmstenfalls führt das zu Fehldiagnosen und vergrößert die Lernrückstände weiter. Im Idealfall gibt es aber in der Schule jemanden, der solche Verhaltensweisen mit potenziellen gesundheitlichen Ursachen abgleichen kann und Kindern so das Leben erleichtert. Eine Brille bringt in so einem Fall mehr als Diskussionen über schlechte Noten.
2. School Nurses und andere Gesundheitsberufe an Schulen
Aber zumindest in den Schulen ist der „Ärztemangel“ nachweisbar: Aktuell gibt es 1.369 Schulärzt:innen für insgesamt 6.065 Schulen. Egal ob man regionale Verteilung richtig einrechnet – es ist sehr offensichtlich, dass sich das nicht ausgeht. Die Frage ist also, wer die Aufgaben übernehmen soll.
Manche Schulen sparen die Notwendigkeit einfach ein: In Tirol sollen manche Schulen die HPV-Impfung, die zwischen dem 9. und 12. Lebensjahr zweimal verabreicht werden soll, einfach nicht anbieten. In Vorarlberg wurden die Schuluntersuchungen einfach nicht überall durchgeführt. Doch wer übernimmt die Aufgaben, wenn es keinen mehr gibt?
Eines der Pilotprojekte zur Lösung sind die sogenannten School Nurses. Oft gehen Kinder ja zum Schularzt, wenn ihnen schlecht ist oder sie ein Pflaster benötigen. Die Diagnose Übelkeit oder Wundverarztung sind in Österreich Ärztinn:en vorbehalten – grundsätzlich ist das aber nicht nötig, ausgebildetes Pflegepersonal könnte das ebenso gut. Aktuell läuft beispielsweise in Wien ein Pilotprojekt dazu. Klar wirkt sich auch hier der Pflegekräftemangel aus, allerdings kann die Schule für manche ein attraktiverer Arbeitsplatz als das Krankenhaus sein. Auf diese Weise würde das Personal damit wenigstens nicht komplett aus dem Gesundheitssystem aussteigen, und die Versorgung in der Schule würde besser.
Aus amerikanischen Filmen und Serien kennt man das Konzept möglicherweise. Dort sind School Nurses schon länger etabliert, einfach weil Gesundheit nicht so sehr auf Ärzt:innen ausgerichtet ist. Aber auch die amerikanische School Nurses Association lobbyiert für mehr Kompetenzen und Anerkennung. Im Idealfall sind School Nurses nämlich nicht nur für kleine Verarztungen oder Hilfestellungen für Kinder mit chronischen Krankheiten da, was momentan oft an Lehrkräften hängen bleibt, sondern können auch selbst impfen oder eine Clearing-Stelle für alles sein, was Kinder in Bezug auf ihre Gesundheit beschäftigt. Das kann von Gewichtsproblemen und Fragen zur Ernährung über Informationen über psychische Gesundheit bis zu Fragen zur Sexualität gehen.
Wurde früher unter Gesundheit noch einfach die „Abwesenheit von Krankheit“ verstanden, spielen körperliches und seelisches Wohlbefinden mittlerweile eine größere Rolle. Immerhin verändert sich auch dank der Pandemie die Wahrnehmung von psychischer Gesundheit, und mit Schulsozialarbeiter:innen, Schulpsycholog:innen und Schulpsychotherapeut:innen soll hier Abhilfe geschaffen werden. Nachdem es auch in diesem Bereich einen Mangel gibt und School Nurses durch eine eigene Ausbildung zumindest Grundkenntnisse für Ersteinstufungen erhalten könnten, könnten sie auch in diesem Bereich tätig werden.
3. Zusammenarbeit über alle Stellen
Was den Reformbedarf angeht, sieht man in Österreich überall die gleichen Probleme. Aber wie üblich sucht jede Stelle eigene Lösungen.
So beispielsweise in Vorarlberg: Dort hat das Land seine Aufgabe einfach an einen Verband weitergegeben, der sich um die schulärztliche Versorgung kümmern sollte. Der Reformbedarf war bekannt, und weil im Bund nichts weitergegangen ist, hat man im Winter 2022/23 eine eigene Arbeitsgruppe eingerichtet. Da deren Ergebnissen nicht schnell genug merkbar waren, hat der beauftragte Verband im Frühjahr 2023 den Vertrag gekündigt – und im Land Vorarlberg braucht man bis zum Herbst eine neue Lösung, um zumindest die gesetzlich vorgesehenen Untersuchungen durchführen zu können.
Zu dieser Lösung gehören auch School Nurses. Allerdings nicht in Anlehnung an Wien, und die Erfahrungen aus Vorarlberg werden auch nicht direkt in die Evaluierungen des Gesundheitsministeriums einfließen. Damit tragen sie wieder nichts zur Entwicklung des Berufsbilds bei. Wobei Vorarlberg natürlich nicht der einzige Sonderfall ist, sondern auch das Wiener Projekt wird vergrößert – die zusätzlichen School Nurses werden aber nicht mehr über das Ministeriumsprojekt gefördert, abgewickelt oder evaluiert, sondern auch Wien macht aus diesem Testballon sein eigenes Projekt.
Damit ist aber niemandem geholfen. Einerseits ist in Bezug auf die Finanzierung noch zu vieles unklar, und auch die Aufgaben können variieren. Schlimmstenfalls wirkt sich das darauf aus, welche Aufgaben von Lehrer:innen übernommen werden müssen, und verstärkt den Wettbewerb der Bundesländer um Lehrkräfte – keine ideale Konsequenz. Noch schlimmer wäre es nur, wenn die verschiedenen Aufgaben dazu führen, dass die beiden Ministerien, Gemeinden oder die Länder unterschiedlich dafür zahlen wollen und die Versorgung weiter zersplittert.
Einen ersten Versuch gegenzusteuern startet das Gesundheitsministerium mit einer einheitlichen Datenerfassung. In Zukunft sollen Schulärzt:innen nicht mehr Gewichtstabellen auf Zetteln führen, die höchstens in Landesarchiven landen. Sondern über eine eigene Software soll zumindest auf die Daten des jeweiligen Kindes zugegriffen werden und ein Verlauf nachvollziehbar werden. Eines Tages vielleicht eine Ableitung, wie viele Kinder übergewichtig sind.
Ob das schon reicht, um die Idee von umfassender Schulgesundheit umzusetzen, ist zweifelhaft. Denn dafür müssten beispielsweise auch die Frage von Schulsozialarbeiter:innen, Schulpsycholog:innen und Schulpsychotherapeut:innen geklärt werden. Daran ist das Gesundheitsministerium aber nicht einmal beteiligt – das ist also eine andere Geschichte. Klar ist, dass es umfassende Reformen braucht. Andernfalls können all diese Ideen niemals umgesetzt werden.