Sanitätergesetz: Woran es bei der Rettung noch hapert
Eine Reform des Sanitätergesetzes wird seit Jahren diskutiert, aber trotz verschiedener Versprechungen bewegt sich kaum etwas. Eine erste Zahlenbasis soll bei den Vorarbeiten helfen – aber wie aussagekräftig ist diese?
Die Arbeit für die Rettung wird in Österreich oft ehrenamtlich geleistet. Allerdings wird es immer schwieriger, an Personal zu kommen. Es wird schwieriger, Dienste zu besetzen und die Versorgung zu gewährleisten – zulasten der Patient:innen, die im Gesundheitssystem ohnehin schon gerne hin und her geschickt werden. Das Thema drängt in die Politik: Es braucht eine Reform des Sanitätergesetzes.
Johannes Rauch hat im Frühjahr 2022 versprochen, sich um eine solche Reform zu kümmern. Aufgrund der vielen Zuständigkeiten zwischen Gemeinden, Ländern und dem Bund für die Ausbildung prallen viele verschiedene Interessen aufeinander. Gerade das Rettungswesen gehört in Gemeindezuständigkeit, viel ist über Landesverbände von ehrenamtlichen Organisationen geregelt, Vorgaben und Anstellungsverhältnisse sehen in den meisten Bundesländern sehr unterschiedlich aus.
Wer eine ordentliche Reform vorlegen will, muss den aktuellen Zustand kennen. Also braucht es eine ordentliche Datenbasis. Wie setzt sich „die Rettung“ zusammen, wie viel Personal gibt es und wie viele und welche Einsätze prägen den Arbeitsalltag? Die ÖGK kann mittlerweile sagen, wie viele Krankentransporte in den Bundesländern durchgeführt werden, und zumindest zwei Dinge sind klar:
Da die Rettung in Österreich Aufgabe der Gemeinden ist – und ursprünglich nur für bestimmte Notfälle gedacht war – gibt es Parallelen zur Feuerwehr: Freiwillige stellen einen großen Teil des Rettungspersonals. In den letzten Jahren hat sich das Ehrenamt aber gewandelt, und nachdem sich auch die Einsatzstruktur im Rettungswesen geändert und die Pandemie das System zusätzlich belastet hat, suchen einzelne Einsatzorganisationen mittlerweile verzweifelt nach Ehrenamtlichen. Sieht man sich die Struktur der Mitarbeiter an, stellen auch Zivildiener einen sehr großen Teil des Personalpools. Der demografische Wandel – und teilweise der große Anteil an Untauglichen – führt in manchen Regionen aber auch schon bei „Zivis“ mittlerweile zu Engpässen. Dabei sind gerade sie wichtige Systemerhalter im Rettungswesen: billig, für verlässliche Dienstpläne da und de facto nicht in der Lage zu sagen, dass bestimmte Aufgaben nicht tragbar sind.
Denn genau das ist das Problem. Zu viele „Einsätze“ sind normale Transporte. Und zwar vor allem, weil es keine niederschwellige Versorgung vor Ort gibt und Patient:innen deshalb automatisch im Krankenhaus landen. Das, zusammen mit Undankbarkeit, Grobheiten und anderen schwierigen Arbeitsbedingungen, führt dazu, dass Ehrenamtliche ihre Dienste reduzieren. Die Pandemie und die Teuerung haben diesen Trend nur noch weiter verschärft.
Schwache Datenbasis im Rettungsdienst
Wie viele Menschen so tätig sind, ist immer schwer zu sagen. Gezählt werden kann nur, wie viele Ausbildungen absolviert werden. Im Rettungswesen braucht es eine Sanitäterausbildung, die regelmäßig aufgefrischt werden muss, Weiterbildungen zum Notfallsanitäter müssen in der Freizeit absolviert werden. Wohl auch deshalb gibt es davon nicht so viele.
Für eine erste Vorbereitung einer potenziellen Reform des Sanitätergesetzes hat die Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) eine Evaluierung des Sanitätergesetzes durchgeführt und versucht, einen Überblick zu schaffen. In Anfragebeantwortungen wurde aus Datenschutzgründen nicht gesagt, wer genau an dieser Evaluierung beteiligt war, in anderen war davon die Rede, dass „unterschiedliche Aspekte der Reformierung breit zu diskutieren geeignete und praxisnahe Reformvorschläge zu erarbeiten“ seien.
Sonderlich weit geht dieser erste Bericht aber noch nicht. Vorab hat er gleich mehrere Einschränkungen, wozu er aller nicht dient: keine Auswirkungen auf Bundesländer, keine Erhebung von Einsatzzahlen, keine Änderung von Personalzusammensetzung. Damit das Ehrenamt erhalten bleibt, muss man nämlich auch wissen, was im Ehrenamt geleistet wird. Aufgrund der mangelhaften Datenbasis wurden also bei allen Rettungsorganisationen Daten zu ihren Sanitäter:innen eingeholt, Kontrolle der Angaben kann es gar nicht geben. Klar ist jetzt, dass von rund 48.500 Personen ausgegangen wird. Wenn man bedenkt, dass pro Jahr über 7.000 Rettungssanitäter:innen ausgebildet werden, wechselt das gesamte Personal sozusagen alle sechs Jahre – die Tätigkeit ist also nur von kurzer Dauer.
Schwierig ist, dass die Studie natürlich auch nicht auf das Ausmaß der Tätigkeit eingeht. Ob ehrenamtlich zwei Dienste im Halbjahr gemacht werden oder drei in der Woche, macht aber einen enormen Unterschied. Immerhin geht es nicht nur darum, wie viele Mitarbeiter:innen es gibt, sondern darum, wie viele Dienste besetzt werden können. So gesehen reichen diese Einblicke jetzt bei weitem nicht aus, um etwas über den Versorgungsstand sagen zu können.
Schlechte Ausbildung, schlechte Verfügbarkeit
Was sich aber selbst mit dieser Basis nachweisen lässt, ist die sehr unterschiedliche Versorgung in den Bundesländern. Es braucht überall nicht nur Rettungssanitäter:innen, die Krankentransporte durchführen, sondern auch Notfallsanitäter:innen, die etwa bei Unfällen auch mehr Versorgung übernehmen können. Je nach Bundesland liegt ihr Anteil aber nur bei sieben bis 33 Prozent der Sanitäter. In Oberösterreich beispielsweise hat man bei einem Unfall also nur eine sehr geringe Chance, dass tatsächlich eine Notfallsanitäterin bzw. ein Notfallsanitäter zur Hilfe auftaucht.
Auf der anderen Seite ist das auch von der Verteilung von Stationen und besetzen Diensträdern abhängig. Ohne Personal in einer Dienststelle kann ja auch niemand zum Einsatz kommen. Der Bundesverband Rettungsdienst versucht hier mehr Transparenz zu schaffen und hat die Distanzen von Stationen analysiert. Theoretisch sollte ein Rettungsfahrzeug in ganz Österreich nämlich innerhalb von 15 Minuten bei einem Einsatz sein können – aber selbst bei voller Besetzung ist das oft gar nicht möglich, wie die Ergebnisse zeigen.
Abhilfe soll unter anderem eine bessere Ausbildung der Sanitäterschaft oder zumindest der Notfallkräfte schaffen: Und die bräuchte eben eine Reform des Sanitätergesetzes. In Österreich kann man im Zivildienst Rettungssanitäter werden und gut ein halbes Jahr mit dieser Ausbildung arbeiten. Die Weiterbildung zum Notfallsanitäter dauert höchstens 1.600 Stunden und lässt sich damit theoretisch in unter einem Jahr absolvieren.
Im internationalen Vergleich ist das eine sehr kurze Ausbildung – dementsprechend wenig Kompetenzen haben Notfallsanitäter.innen. Fast alle Tätigkeiten brauchen eine ärztliche Anweisung, und die Sanitäter:innen dürfen auch nicht selbstständig entscheiden, ob ein:e Patient:in tatsächlich ins Krankenhaus muss oder vielleicht vor Ort behandelt werden könnte, geschweige denn eine Behandlung durchführen. Das sorgt eben für einen hohen Aufwand im Krankenhaus und viele Fahrten, was für das System teuer und für Patient:innen anstrengend ist. Mehr Kompetenzen und Vor-Ort-Behandlungen könnten also enorm helfen.
Im internationalen Vergleich hat die GÖG allerdings nur herausgefunden, dass die Ausbildung fast überall drei Jahre dauert und an der Universität angeboten wird. Wie genau die Systeme funktionieren, wie viele Notärzt:innen vorhanden sind oder ob Sanitäter:innen selbst behandeln dürfen, hat man sich allerdings nicht angesehen – eine verpasste Chance.
Die Basis fehlt noch immer
Klar ist also vor allem eines: Wie bei jeder Gesundheitsreform braucht es bessere Informationen. Wir müssen wissen, wie andere Systeme funktionieren, und brauchen Überlegungen, wie man den Status quo verbessern kann. Das funktioniert nur, wenn wir auch die entsprechenden Daten haben. Und da hapert es auch im Rettungsdienst.
Einerseits muss die Anzahl der Transporte verringert werden. Das wird nicht in allen Bereichen funktionieren, aber über Rufbereitschaft, Community Nurses oder Hauskrankenpflege könnten kleinere Behandlungen vor Ort erledigt werden. Möglich wäre auch eine Kompetenzerweiterung im Rettungswesen, damit bei kleineren Verletzungen einfach ein Verband angelegt werden kann und statt einem Transport ins Krankenhaus der selbstständige Besuch bei einem Arzt empfohlen wird.
Die Vorschläge für solche Reformen liegen sowohl vom Berufsverband als auch vom Roten Kreuz auf dem Tisch und werden im Parlament diskutiert. Die große Frage ist also, welche Vorbereitungen im Ministerium und in der GÖG wirklich gesetzt werden und ab wann genügend Unterstützung dafür da ist. Mit der ersten Evaluierung wurde hier noch kaum etwas erreicht, klar empfiehlt diese nämlich nur eine Modernisierung. Wie genau diese aussehen sollte, ist aber nach wie vor offen. Weitere Berichte zur Konkretisierung sollen aber noch folgen.
Falls das Ergebnis wirklich eine dreijährige Ausbildung für die am höchsten qualifizierten Sanitäter:innen sein soll, hat der Dachverband der Fachhochschulen jedenfalls schon seine Unterstützung angekündigt. Wie bald das der Fall sein könnte, wie der Bedarf für Studienplätze berechnet werden soll und anhand welcher Einsatzanalysen abgeleitet werden soll, welche Kompetenzen die wichtigsten wären, steht aber in den Sternen – genauso wie die Antwort, wann es endlich die Daten gibt, um an einer konkreteren Reform zu arbeiten.