Schulden, Wachstum und Zukunft: Was Österreich aus dem Fall Italien lernen kann
Dinge, die man über Italien weiß: Es ist so gut wie unmöglich, in Italien keine gute Zeit zu haben. Ein Sehnsuchtsort wie aus dem Bilderbuch; Italiener behaupten gerne, dass sie 60 Prozent der Weltkultur besitzen. Das kann ich nicht beurteilen, aber der kulturelle Reichtum ist jedenfalls beeindruckend, Stil und Ästhetik sind einnehmend.
Was man auch weiß: Italien hat Schulden, und die sind immer wieder ein Problem. Aber warum eigentlich? Was hat das mit Wachstum zu tun? Und wie steht es in Österreich um das Thema?
Der italienische Schuldenstand
Italien hat eine enorme Staatsverschuldung: 150 Prozent des BIP. Das ist viel – sehr viel. Das ausgemachte Maastricht-Ziel der EU ist 60 Prozent, das erreicht aber kaum ein Land.
Die natürliche Annahme der Nordeuropäer ist, dass Italiens Staatsverschuldung das Versäumnis widerspiegelt, genügend Steuern zu erheben, um die öffentlichen Ausgaben zu finanzieren, oder dass öffentliche Ausgaben schlicht zu teuer sind – z.B. Pensionen, Beamtenprivilegien etc. Das mag richtig gewesen sein, als die meisten Schulden in den 1970er und 1980er Jahren entstanden sind, und erklärt auch die Sorge Deutschlands, sie könnten die Zeche für italienische Extravaganz zahlen müssen. Aber das ist eigentlich schon länger nicht mehr der Fall und spiegelt so nicht die Realität wider – auch weil die Abgabenquote in Italien nicht gerade gering ist. Und überhaupt: Das Problem liegt ja in der Schuldenquote, die (negativ) vom BIP abhängig ist und nicht in den absoluten Schulden.
Es waren außerdem Deutschland und Frankreich, nicht Italien, die als Erste gegen die Regeln des Stabilitätspakts der Eurozone für Haushaltsdefizite verstoßen haben. Als die Finanzkrise zuschlug, kippte Italien in ein größeres Defizit. Aber seit drei Jahrzehnten hat es in der Regel primäre Haushaltsüberschüsse (d.h. vor Zinszahlungen) erzielt. Bis die Pandemie das Land 2020 vom Kurs abbrachte, hielt Italien seine Staatsverschuldung im Verhältnis zum BIP weitgehend konstant. Nun könnten steigende Inflation und Zinsen weitere Probleme verursachen.
Warum Schulden so problematisch sind
Warum also ist Italiens Staatsschuldenlast immer noch so bemerkenswert? Die beste Antwort ist, nicht auf den Zähler (die Schulden), sondern auf den Nenner (das BIP) zu schauen. Vor dem Euro hatte Belgien auch eine hohe Schuldenquote. Seitdem ist sie schneller gewachsen – ein Grund dafür, dass ihre Quote auf knapp über 100 Prozent des BIP gefallen ist.
Die Arithmetik der Zinsen und Schulden ist schnell erklärt: Wenn im Falle eines Primärhaushaltsdefizits – also neue Schulden vor Zinszahlungen – die Zinsen höher als das Wachstum sind, dann steigt die Schuldenquote, und umgekehrt. Derzeit steigen sie – man braucht also mehr Wachstum, um die Schuldenquote konstant zu halten. Man benötigt also bei gleichem oder geringerem Wachstum größere Primärüberschüsse, um die Verschuldung stabil zu halten; je höher die Anfangsverschuldung, desto schwieriger die Aufgabe, da die Zinszahlungen natürlich höher sind, wenn die Verschuldung höher ist.
Wenn der Anteil der Schulden, die fix verzinst finanziert worden sind, größer ist, dann ist ein Zinsanstieg weniger dramatisch. Das haben viele Euroländer in der Niedrigzinsphase auch gemacht. Außerdem haben sich die die Laufzeiten der Schulden verlängert, weil die meisten Länder versucht haben, die niedrigen Zinsen möglichst lange auszunutzen. Das war sicher klug – auch wenn man im Moment der Schuldenaufnahme höhere Zinsen in Kauf genommen hat.
Und auch relevant: Das nominelle BIP steigt auch im Ausmaß der Inflation, daher sinkt der Schuldenstand in Relation zum BIP.
Wenn es den Zentralbanken gelingt, die Inflation durch anhaltend hohe Zinsen mittelfristig wieder auf deutlich niedrigere Werte zurückzuführen, so hat das durchaus auch schmerzhafte Effekte. Einerseits durch die Auswirkungen hoher Zinsen auf das Wachstum; andererseits durch steigende Kosten der Staatsverschuldung, und der privaten Kredite.
Also, zusammengefasst: Schulden sind ein Problem, weil sie die Kreditaufnahme verteuern. Auf drei Wegen: durch das Ausmaß der Schulden, das Verhältnis von fixen zu variablen Zinsen und die Laufzeit der Schulden.
Das heißt, obwohl eine unerwartete Inflation die nominalen Schulden verringert, erhöhen höhere Zinssätze die Kreditkosten und können es unmöglich machen, Primärüberschüsse aufrechtzuerhalten. Genau vor diesem Problem stehen Länder wie Italien jetzt, und genau deshalb sind die an Strukturprogramme geknüpften, wachstumsfördernden EU-Gelder so wichtig. Denn der Nenner – also das BIP – ist entscheidend, nicht nur der Zähler, die absoluten Schulden.
Wachstum oder Verkrustung
In einem kürzlich erschienenen Buch wird die Bedeutung der Meritokratie für das Wirtschaftswachstum erklärt, indem es den wirtschaftlichen Niedergang Italiens in den letzten Jahrzehnten analysiert. Verbindungen und nicht Verdienste sind ein langjähriges Merkmal der italienischen Eliten, auch im Unternehmenssektor. Das wurde zu einem bedeutenden Problem und hinderte Italien daran, eine wissensbasierte und offene Wirtschaft zu werden, als Italiens Wirtschaft durch Imitierung ihrer Industrie (vor allem aus Asien), Abwertung und Staatsverschuldung nicht mehr wachsen konnte.
Wenn einem das aus Österreich bekannt vorkommt, liegt man wahrscheinlich nicht ganz daneben. Italien hat ein Wachstumsproblem, das aus einem Schulden- und Verkrustungsproblem erwachsen ist. Es geht also ums Wachstum – auch in Österreich. Und dafür braucht es Reformen und Wettbewerb.
Wer zu viele Schulden anhäuft und keine Reformen umsetzt, die wachstumsfördernd wirken würden, kommt aus der Spirale nur schwer heraus. Auch Sparmaßnahmen und Primärüberschüsse helfen dann nicht immer, tun aber weh. Eine Spirale, die wir aus Italien kennen – die zugegeben mit Stereotypen und Vorurteilen verstärkt wurden. Dort ist Österreich noch nicht. Aber weiß man, wann die Spirale beginnt? Wie hoch müssen Schulden sein?
Symbolbild, produziert mit Midjourney AI
Die kurze Antwort: Man weiß es nicht. Star-Ökonom Oliver Blanchard, der als IWF-Chefökonom dafür kritisiert wurde, Staatsschulden zu wenig stark zu kritisieren, meinte einmal: „Meine Absicht besteht nicht darin, für mehr Schulden zu plädieren. Sie besteht in einer reichhaltigeren Diskussion der Kosten der Staatsverschuldung und der Finanzpolitik, als es derzeit der Fall ist.“ Nur um dann zu ergänzen, was auch die zentrale Prämisse dieses Artikels ist: „Das BIP nimmt mit dem Wirtschaftswachstum zu. Und wenn das Wirtschaftswachstum den Zinssatz übertrifft, sinkt das Verhältnis von Staatsschulden zum BIP im Laufe der Zeit, ohne dass jemals Steuern erhöht werden müssten.“
Reformen und Zukunftsinvestitionen
Schulden sind also nicht das größte Problem, wenn die Budget- und Finanzpolitik zukunftsorientiert ist – die Möglichkeit, zukunftsorientiert zu wirtschaften, sinkt aber mit höherer Verschuldung. Neben der Verschuldung ist also eine reform- und zukunftsorientierte Politik die andere Seite der Medaille. Wenn Österreich vermeiden möchte, dass es in eine Italienische Spirale erleben wird, müssen wir einerseits auf die Schuldenquote achten und andererseits darauf, dass jeder Euro Steuergeld in die Zukunft investiert wird.
Das österreichische Budget für das Jahr 2023 zeigt, dass sich die Zinslast verdoppeln wird, konkret von rund 4,3 Milliarden auf über 8,7 Milliarden Euro. Eine enorme Steigerung. In Österreich wird aber nur jeder fünfte bis sechste Euro des Bundesbudgets in zukunftsorientierte Bereiche wie Klimaschutz, Elementarpädagogik oder Forschung investiert. Um wieder zu einem Budget zu kommen, das zukunftsorientiert ist – mehr Geld für Wissenschaft und Forschung als für die Refinanzierung von Schulden –, darf man nicht nur auf die fernere Zukunft hoffen: Ohne Reformen wird das nicht gehen.
Auch, um eine effiziente Verwaltung sicherzustellen und Geld für die richtigen Prioritäten zu haben: Wenn der Mittelstand entlastet werden soll, sind direkte Förderungen verteilungspolitisch unklug. Der breite Mittelstand steuert den Großteil des Steueraufkommens bei. Ihn mit der Gießkanne zu entlasten, ist in etwa so, als würde man sich selbst einen Kredit gewähren. Man zahlt diesen dann aber nicht nur selbst ab, sondern zusätzlich noch die Verwaltungskosten, die der Staat verursacht. Mit anderen Worten: Dem Bürger wird Geld aus der linken Tasche genommen und ein bisschen weniger in die rechte Tasche hineingegeben.
Besser wäre es, den Staat von Haus aus so effizient aufzusetzen, dass er mit weniger Geld auskommt und die Steuerlast damit abnimmt. Davon würde die Mitte am meisten profitieren.