Stagflation und wie man dagegen vorgeht
Noch schlimmer als die Angst vor der Inflation oder der Rezession ist die Angst vor einer „Stagflation“ – dem Endgegner der Wirtschaftswissenschaften. Es sieht so aus, als würde uns dieses Wort in Österreich noch längere Zeit beschäftigen: Denn ein toxischer Mix aus hoher Inflation, starkem Arbeitskräftemangel und schwachem Wirtschaftswachstum ist nicht einfach aufzulösen.
Der Begriff, eine Kombination aus Stagnation und Inflation, wurde in den 1970er Jahren von Paul Samuelson populär gemacht, einem Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften. Stagflation ist also eine Zeit, in der die Inflation hoch ist, die Wirtschaft mit einer Rezession kämpft und die Arbeitslosigkeit hoch bleibt. Aber was führt zu einer Stagflation? Und ist Österreich bereits in einer Stagflation wie in den 70ern? Immerhin wurde dieser Begriff in Zeiten des Ölpreisschocks geprägt, der damals die Teuerung steigen ließ.
In Österreich sind zwei von drei Kriterien erfüllt: Erstens ist die Inflation hoch, zweitens ist das Wirtschaftswachstum schwach. Aber das dritte Kriterium verhält sich anders als in den 70er Jahren: Die Arbeitslosigkeit ist niedrig. Auf der einen Seite treibt der Arbeitskräftemangel die Inflation an, auf der anderen gibt es ausgeprägte strukturelle Arbeitslosigkeit in manchen Bereichen.
Woher die Stagflation kommt
Für die aktuelle Stagflation gibt es viele Gründe, aber die wesentlichsten sind hohe Energiekosten, Deglobalisierung und Abhängigkeiten auf den Weltmärkten. Aber die aktuelle Situation erklärt sich auch durch die vielen Krisen der letzten Jahre:
- Während der COVID-19-Pandemie bekamen viele Menschen hohe Hilfszahlungen, konnten sie aber nicht ausgeben. Dadurch steigt die Nachfrage nach der Pandemie besonders stark.
- Dazu kommt, dass die Lieferketten unterbrochen wurden: durch Abhängigkeit von China in vielen Bereichen, aber auch durch das Ausmustern von Flugzeugen, Schiffen und Containern in der Pandemie.
- Das führte zu einer Flucht in Immobilien – also einen Abfluss in den unproduktiven Immobilienspekulationsmarkt. Das lässt wiederum die Preise für Baustoffe steigen.
- Und dann kam der Angriffskrieg auf die Ukraine, der zu einer massiven Verteuerung von Rohstoffen führte: allen voran Energie. Die Rohstoff- und Energiepreise befeuerten Preisanstiege in praktisch allen Branchen.
In Österreich ist die Inflation also großteils durch Energiekosten importiert und wurde durch politische Maßnahmen wie hohe Lohnabschlüsse oder langfristige Strom- und Gasverträge verhärtet. Die Stagnation wiederum ist auch durch hohe Energiekosten bedingt, aber ebenso durch das Ende der Corona-Nachholeffekte „selbstgemacht“. Der Konsumboom der Zeit unmittelbar nach der Pandemie hat zu einer Sättigung geführt: Es werden weniger Produkte gekauft – die meisten Wohnungen sind mittlerweile gut ausgestattet – und die großen Urlaube und Hochzeiten, die nachgeholt wurden, sind schon wieder erledigt.
Das politische Problem der Stagflation
Ökonom:innen denken normalerweise an einen Kompromiss zwischen Inflation und Arbeitslosigkeit – oder aktuell eher: schwaches Wachstum.
In Rezessionen, wenn die Nachfrage zurückgeht, ist die Inflation tendenziell niedrig und die Arbeitslosigkeit hoch – man reagiert mit einer expansiven Geld- und Fiskalpolitik. Das heißt, die Zentralbank und das Finanzministerium „schicken Geld in den Markt“. Bei Booms gilt das Gegenteil: Man bremst die überhitzende Wirtschaft und erhöht die Zinsen. Das muss nicht immer durch politische Maßnahmen passieren: In einer boomenden Volkswirtschaft werden z.B. automatisch mehr Steuern gezahlt, weil die Löhne und Gewinne steigen und es weniger Arbeitslose gibt, die keine Steuern zahlen.
Im Wesentlichen hat der Staat also zwei Formeln, nach denen er handeln kann:
- Wenn Wachstum und Inflation steigen und die Arbeitslosigkeit sinkt, drückt man auf die Bremse: Zinsen werden erhöht.
- Wenn Wachstum und Inflation niedrig sind und die Arbeitslosigkeit hoch, entlastet man: Zinsen werden gesenkt.
Darum ist eine Stagflation so komisch: Eine Zeit, in der die Inflation hoch und das Wachstum schwach ist, ist extrem ungewöhnlich. Und unerwünscht, da sowohl die schwachen Produktivitätssteigerungen und Lohnzuwächse als auch die steigenden Lebenshaltungskosten schmerzhaft sind. Die politischen Entscheidungsträger sind bestrebt, beides zu ändern – aber es ist ein heikles Gleichgewicht. Versuche, die Wirtschaft anzukurbeln, beispielsweise durch zusätzliche Staatsausgaben oder sehr niedrige Zinssätze, bergen die Gefahr, wiederum die Inflation weiter anzutreiben. Beide Formeln greifen nicht.
Durch die Inflation fällt das schwache Wachstum aber nicht gleich auf – denn auf dem Papier geht es den Menschen und Firmen gut, immerhin ist die Nachfrage nach wie vor gut. Aber was erhöht die Preise dann? Ist es die „Gierflation“, also der Trend zu Preiserhöhungen, weil Konsument:innen viel Geld haben? Vielleicht – aber das wäre eine völlig normale Reaktion. Und nicht „gieriger“ als die Gewerkschaften, die – völlig zu Recht – höhere Lohnabschlüsse verlangen, wenn die Firmen Geld haben. Restriktive Geldpolitik könnte die Inflation eindämmen, denn hohe Zinsen und Steuern reduzieren die Nachfrage. Dadurch würde aber die Wirtschaftsleistung sinken, wenn auch von einem hohen Ausgangsniveau. Deshalb führt restriktive Geldpolitik oft zu Stagnation oder sogar zu einer Rezession.
Fazit: Wenn hohe Inflation in Zeiten geringen Wirtschaftswachstums besteht, ist restriktive Geldpolitik problematisch. Aber sie ist eben auch notwendig, weil eine bereits bestehende Stagnation oder Rezession verschlimmert würde.
Auswirkungen der Stagflation
Die Menschen leiden vor allem unter den ungleichen Preisanstiegen und dem lag effect, dem Nachhinken der Lohnerhöhungen und Hilfsmaßnahmen gegenüber der tagtäglichen Teuerung. Das betrifft nur die, deren Gürtel bereits am letzten Loch ist – alle anderen können höhere Preise bezahlen und werden dann meist durch Lohnrunden und Hilfszahlungen gut abgegolten. Politisch ist das nicht leicht zu kommunizieren, aber die Daten zeigen: Die meisten Menschen leiden tatsächlich nicht sonderlich unter der Inflation, ihre Kaufkraft bleibt, wenn auch durch Hilfsmaßnahmen, gut erhalten. Das Problem ist oft die Wahrnehmung: Preise steigen ständig und sichtbar. Die Hilfen und Lohnerhöhungen kommen zwar am Konto an, werden aber nicht tagtäglich wahrgenommen. Dass das menschliche Gehirn evolutionär ein Risikofeind ist, hilft da nicht unbedingt: Angst wird stärker wahrgenommen als Hoffnung oder Chancen. Das ist die Währung des Populismus.
Für Unternehmen verschlechtert sich durch die Inflation die internationale Wettbewerbsfähigkeit. Kosten steigen für österreichische Unternehmen stärker als für ausländische Mitbewerber, die eine geringere Inflation haben – Exportaufträge nehmen also ab, weil andere billiger sind. Das Problem für Unternehmen sind die hohen Kosten im Inland im Vergleich zum Ausland.
Orthodoxe Maßnahmen – was wir oben als Formel kennengelernt haben – sind in einer Rezession also nicht angebracht. Geldpolitisch ist das ohnehin kein Thema, weil Zinsensenkungen bei hoher Inflation undenkbar sind. Aber auch nicht fiskalpolitisch: Es gibt (fast) Vollbeschäftigung, Arbeitskräftemangel, eine Stagnation und dennoch hohe Inflation, aber das „Stag-“ in der Stagflation ist weniger problematisch. Daher müssen die Maßnahmen zuerst auf die Inflation gelenkt werden – aber in moderatem Ausmaß, um die Konjunktur nicht abzuwürgen.
Wie man gegen die Stagflation vorgeht
Die wichtigste Gegenmaßnahme, die man politisch setzen kann: die Inflation senken, ohne die Stagnation zu verschärfen. Eine Reform des Arbeitslosengeldes könnte z.B. Anreize schaffen, schnell wieder in den Arbeitsmarkt einzusteigen und gleichzeitig weniger Einkommen zu verlieren. Eine Senkung der Lohnnebenkosten würde nicht nur Lohn- und Gehaltserhöhungen leichter machen und die Kosten auf Unternehmensseite senken, sondern gerade auch Menschen mit wenig Geld dabei helfen, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Dazu kommen Maßnahmen gegen den Arbeitskräftemangel, eine Entlastung für Selbstständige und vor allem: mehr Wettbewerb. Preistransparenz ist okay, macht aber die Preise noch nicht niedriger – das schafft nur mehr Handel durch offenen Marktzugang.
Im Sinne des Spagats zwischen mehreren wirtschaftlichen Problemen ist es auch wichtig, die Kaufkraft von Menschen mit niedrigen Einkommen zu stützen, ohne die allgemeine Kaufkraft zu erhöhen. Bedeutet: Hilfszahlungen müssen zielgerichtet sein, statt mit der Gießkanne an alle zu gehen – das heizt die Inflation nur noch weiter an. Subventionen, die nicht die Produktivität erhöhen, sollten reduziert werden.
Verantwortungsvolle Politik bedeutet auch eine Absage an wirtschaftlichen Populismus. Wenn etwa in Zeiten des Arbeitskräftemangels eine Arbeitszeitverkürzung besprochen wird, reden wir über einen effektiven Inflationstreiber – die Kosten für Unternehmen würden noch weiter steigen, und die 20 Prozent mehr Arbeitskräfte sind am Arbeitsmarkt nicht verfügbar. Große Unternehmen bezahlen bereits jetzt mehr, um überhaupt Mitarbeiter:innen anzuwerben, KMUs verlieren schon jetzt ihre Arbeitskräfte – dieser Vorschlag würde also die Probleme verschärfen, statt sie zu lösen. Und auch Klientelpolitik – etwa außertourliche Pensionserhöhungen oder die Ablehnung des Mercosur-Deals als Kniefall vor der Landwirtschaftskammer, um nur zwei Beispiele zu nennen – mag dem einen oder anderen politischen Player in Umfragen helfen, schürt aber die Inflation und reduziert die Produktivität.