Südafrika: Schicksalswahl 30 Jahre nach dem Ende der Apartheid
Die Demokratische Allianz wäre die beste Wahl, um das Land zu vereinen und voranzubringen – aber die Chancen sind nicht nur rosig. Ein kritischer Blick auf die Wahlen in Südafrika.
Im globalen Superwahljahr 2024 begeht Südafrika das 30-jährige Jubiläum seiner ersten demokratischen Wahl von 1994. Doch statt Feierlaune dominiert eine Atmosphäre der Frustration und Enttäuschung: Das Land kämpft mit weit verbreiteter Korruption, hoher Kriminalität und Arbeitslosigkeit. Laut Prognosen steht eine noch geringere Wahlbeteiligung an als noch 2019, als 49 Prozent ihre Stimme abgaben. In den Jahrgängen, die ab 1994 geboren sind, dürfte überhaupt nur ein Viertel wählen gehen.
Eine Entwicklung, die kaum zum positiven, bunten Image Südafrikas passt. Im Ausland erinnert man sich gerne an Nelson Mandela und frühe soziale Fortschritte seit dem Ende der Apartheid. Und auch die Springboks, die südafrikanische Rugby-Mannschaft, die Ende Oktober die Weltmeisterschaft gewann, symbolisiert für viele sowohl den Fortschritt und das Selbstbild als „Regenbogennation“. Sie steht für südafrikanischen Patriotismus und Vielfalt und verkörpert die komplexen Träume und Herausforderungen des Landes.
Leider bleibt Rugby eine der wenigen Angelegenheiten, in denen sich in Südafrika alle einig sind.
Fortschritte und Fehltritte der ANC-Führung
Seit der Etablierung der Demokratie im Jahr 1994 hat Südafrika unter der Führung des African National Congress (ANC) bedeutende Fortschritte erzielt, doch mittlerweile führen die Fehler der Regierungspartei nun zu Rückschritten. Die visionäre Anti-Apartheid-Erklärung von 1955 in Kliptown, Soweto, steht heute im Gegensatz zu den unmittelbar benachbarten Armutsgebieten. Trotz Verbesserungen bei Infrastruktur und Armutsbekämpfung ist die aktuelle Themenlandschaft düster: Polizeigewalt, wilde Streiks und ein rückläufiges Wirtschaftswachstum.
Obwohl NGOs und Medien die Regierung zur Rechenschaft ziehen, ist die Unabhängigkeit von Justiz und Polizei umstritten. Die Enttäuschung vieler junger Südafrikaner:innen über den ANC ist spürbar. Die anstehenden Wahlen könnten entscheidend für die zukünftige Richtung des ANC und des Landes sein. Ohne wesentliche Änderungen könnten die anhaltenden Versäumnisse der Regierung einen Anstieg des Populismus bewirken.
Die ANC-Regierung wird zunehmend wegen Korruption, Misswirtschaft und Gewalt um politische Ämter kritisiert. Diese Probleme offenbaren eine wachsende Kluft zwischen den politischen Führungskräften und der Bevölkerung. Aber die größten Herausforderungen des Landes sind die Bildungskrise, insbesondere in der jungen schwarzen Bevölkerung, und eine hohe Jugendarbeitslosigkeit, die das Wirtschaftswachstum hemmt.
Symbolbild, produziert mit Adobe Firefly AI
Bildung: Das entscheidende Thema
Der ANC-Entwurf einer Bildungsreform sieht vor, die Entscheidungsbefugnisse von Schulaufsichtsrät:innen hinsichtlich der Aufnahme- und Sprachpolitik an sich zu ziehen und die Macht der ANC-Kader bei der Zusammenlegung und Umbenennung von Schulen zu stärken. Das würde die Kontrolle über Schulen von den Gemeinden und Eltern, die die Bedürfnisse ihrer Kinder am besten kennen, auf den ANC verlagern – und damit auf genau die großen Namen in der Politik, denen Korruption vorgeworfen wird und denen nur wenige vertrauen würden, das Beste für die Kinder im Sinn zu haben.
Kritisch betrachtet könnte eine zunehmende Politisierung des Bildungssystems, ähnlich wie in anderen Ländern und auch in Österreich, zu Konflikten und einer Vernachlässigung der Bildungsziele führen. Die Oppositionspartei „Democratic Alliance“ (DA) lehnt diesen Gesetzentwurf daher zu Recht ab – zwar nicht mit dem Slogan „Kinders se vlerke lig“ (also „Kindern die Flügel heben“), aber mit dem gleichen Hintergedanken. Zudem wird die ANC-Bildungspolitik, stark beeinflusst von parteinahen Lehrergewerkschaften, als unzureichend betrachtet, auch das kennen wir aus Österreich.
Laut einer OECD-Studie von 2015 rangiert Südafrikas Bildungssystem weltweit auf einem der schlechtesten Plätze. Viele Kinder können nach sechs Jahren Schule weder lesen noch grundlegende mathematische Aufgaben lösen. Der große Leistungsunterschied zwischen den besten Schulen und dem Rest, sowie die geringe Zahl schwarzer Schülerinnen und Schüler, die hohe Bildungsziele erreichen, ist besorgniserregend.
Wie so oft: Probleme wurzeln in der Apartheid, doch auch gegenwärtige Herausforderungen wie die Qualität der Lehrkräfte und mangelnde Rechenschaftspflicht tragen dazu bei, und diese Verantwortung trägt die Regierungspartei. Die mit dem ANC verbündete Lehrergewerkschaft SADTU wird mit Korruption und Missbrauch in Verbindung gebracht und blockiert Verbesserungen im Bildungssystem.
Trotzdem zeigen Privatschulen und unabhängige Bildungsprojekte wie die Spark School Bramley in Johannesburg oder die „Collaboration Schools“ im Western Cape, dass Fortschritte möglich sind. Diese Schulen bieten erweiterten Unterricht und kombinieren emotionale mit akademischer Bildung. Doch sie bilden nur einen kleinen Teil des Gesamtsystems. Eine umfassende Verbesserung erfordert eine Lösung der Probleme, die durch die SADTU verursacht werden.
Tiefste Vertrauenskrise seit dem Ende der Apartheid
Jetzt steht der ANC, der seit 1994 das politische Geschehen dominiert, möglicherweise vor dem Verlust seiner Mehrheit im Parlament. Das könnte zum ersten Mal die Bildung einer Koalitionsregierung notwendig machen. Gleichzeitig sind in Südafrika rund 70 Prozent der Bevölkerung mit der Funktionsweise ihres politischen Systems unzufrieden – 10 Prozent mehr als in Österreich während eines „All Time Low“. Eine tiefgreifende Krise der Demokratie.
Die Demokratische Allianz, die größte liberale Oppositionspartei, die in der Regel das Western Cape und Kapstadt regiert, bietet möglicherweise tragfähige Lösungen an. Allerdings kehren viele Wähler dem ANC nicht nur den Rücken, sondern wenden sich generell von der Politik ab, statt eine andere Partei zu unterstützen. Diese politische Entfremdung könnte einen gefährlichen Trend verstärken, da Umfragen zeigen, dass 72 Prozent der Bevölkerung einen „starken Führer“ bevorzugen würden, selbst wenn dieser nicht demokratisch gewählt ist. Dies birgt das Risiko, dass der Populismus an Popularität gewinnen könnte – z.B. durch Julius Malema von den Economic Freedom Fighters.
Das Wahljubiläum 2024 wird somit von einer tiefen politischen Krise überschattet. Der ANC könnte trotz kontroverser Bilanz einen letzten Erfolg erzielen, während die DA und andere Parteien um politische Bedeutung ringen. Der Wunsch nach einer Führungspersönlichkeit im Stil Nelson Mandelas bleibt unerfüllt. Der Kampf um die Seele und Zukunft Südafrikas ist lebendiger denn je.
Eine zentristische Alternative
Die DA gilt als eine aktive Oppositionspartei, die sich durch sachbezogene Beiträge in der politischen Diskussion hervorhebt. Sie konzentriert sich darauf, konstruktive Kritik und umsetzbare Lösungsvorschläge zu präsentieren, und versucht, parteipolitische Manöver zu meiden. Die Bildungspolitik ist ein Kernthema der DA, in dem sie Verbesserungsbedarf sieht und nachhaltige Veränderungen anstrebt.
Einen interessanten Ansatz könnte die DA verfolgen, indem sie übersetzte Anleihen am NEOS-Slogan „G’scheite Kinder statt g’stopfte Politiker“ nimmt, um ihre Vision einer reformierten und effektiveren Bildungspolitik zu unterstreichen. Dieser Slogan würde die Priorität auf Bildung und Entwicklung der Jugend legen, statt politische Ämter mit unqualifizierten Parteimitgliedern zu besetzen. Das Engagement der DA für eine leistungsorientierte, entpolitisierte öffentliche Verwaltung und den Fokus auf Bildungsreformen positioniert sie als eine Partei, die nach realen und greifbaren Veränderungen in der südafrikanischen Gesellschaft strebt.
Aber die DA ist mehr als eine Oppositionspartei: Sie ist eine zentristische Kraft, die Politik links und rechts der Mitte vereint. Als Mitglied der Liberalen Internationale und des Africa Liberal Network blickt sie auf eine Geschichte zurück, die bis zur Gründung der Progressive Party im Jahr 1959 reicht. Die Partei vertritt eine Vielfalt liberaler Tendenzen, darunter Sozialliberalismus, klassischer Liberalismus und konservativer Liberalismus.
Ihre ausgewogene Positionierung macht die DA zu einer einzigartigen Wahl für die Vereinigung des Landes. Sie spricht eine breite Wählerschaft an und grenzt sich klar vom regierenden ANC ab, der oft mit Korruption und Misswirtschaft in Verbindung gebracht wird. Mit einer Kombination aus sozialer Gerechtigkeit und wirtschaftlicher Freiheit bietet die DA eine Alternative, die progressive und konservative Elemente harmonisiert, ohne dabei Integrität und Transparenz zu kompromittieren. Dieser Ansatz könnte entscheidend sein, um die vielfältigen und oftmals geteilten Interessen Südafrikas unter einem gemeinsamen politischen Dach zu vereinen.
Südafrika am Scheideweg
Angesichts der tiefgreifenden Herausforderungen, mit denen Südafrika konfrontiert ist, erscheint ein politischer Wandel dringender denn je. Die Demokratische Allianz bietet sich als eine vielversprechende Alternative an, um das Land auf einen Weg der Einheit, Integrität und des Fortschritts zu führen.
Sie steht bereit, nicht nur die politischen, sondern auch die sozialen und bildungspolitischen Missstände anzugehen, die die Entwicklung des Landes hemmen. Die kommenden Wahlen könnten der entscheidende Moment sein, um diese notwendige Richtungsänderung einzuleiten und Südafrika eine hoffnungsvolle Zukunft zu eröffnen.