Über- oder Zufallsgewinne? Eine Einordnung
Eine Kombination aus Energiekrise und Inflation sorgt für einen Trend, den wir in Österreich schon lange nicht mehr hatten. Wenn mehr und mehr Menschen merken, dass am Ende des Monats weniger von ihrem Einkommen übrig bleibt, stehen Wirtschaftsthemen plötzlich im Vordergrund und dominieren die politische Debatte.
Unbeantwortet bleibt in dieser meist die Frage, was neben den ideologischen Präferenzen die sachlichen Argumente für und gegen die Abschöpfung von sogenannten Übergewinnen sind. Gerade für Liberale muss es in dieser Sache keine ideologischen Vorgaben geben. Sie glauben an die Vorteile des Marktes statt dem Diktat des Zentralkomitees und bevorzugen daher Anreize vor Dekreten, Markt vor Regierungsdiktat.
Übergewinne und die unternehmerische Freiheit
Das führt uns zur ersten Frage: Wer sagt eigentlich, dass „Übergewinne“ überhaupt existieren? Viele mögen staunen, wenn man die eine oder andere Bilanz eines Konzerns liest. Aber sofern nicht Marktmanipulation der Grund dafür ist – z.B. durch politische Interventionen oder Monopole –, dann sind hohe Gewinne in der Regel schlicht eine Folge guten unternehmerischen Handelns.
Das muss auch nicht immer heißen, dass dahinter die gierigen Konzerne stecken, von denen am Ende niemand etwas habe. Was für uns im Alltag meist abstrakt „hochwertige, günstige Produkte“ bedeutet, zeigt sich konkret am Beispiel Biontech: Der Hersteller des Corona-Impfstoffs hatte ein Interesse an sehr hohen Gewinnen, was am Ende dafür gesorgt hat, dass lebensrettende Impfstoffe in Rekordzeit auf den Markt kamen. Hätte man eine Übergewinnsteuer in Aussicht gestellt, wäre dieser Anreiz womöglich verpufft.
Wie Zufallsgewinne den Markt verzerren
Ähnliches kann man übrigens auch dem Verbund attestieren, um den es in der Debatte konkret geht. Dieser profitiert besonders stark von den steigenden Preisen am Energiemarkt, weil er früh auf erneuerbare und nachhaltige Energien gesetzt hat – auch das ist gesellschaftlich durchaus wünschenswert. Diese Gewinne resultieren allerdings nicht nur, weil die Zukunft in erneuerbaren Energien liegt, sondern gerade durch das System der Merit Order, das Strompreise generell in die Höhe schießen lässt.
Daher kann man Übergewinne auch anders bezeichnen: als Zufallsgewinne nämlich. Wie der Name schon sagt, basieren diese nämlich nicht immer auf klugen marktwirtschaftlichen Entscheidungen oder weisen Investitionen. Sie entstehen auch, weil externe Faktoren den Markt verzerren und manchen Branchen Gewinne bringen, die am Markt nicht oder nicht in dieser Höhe zu erwirtschaften gewesen wären. Sie sind also eine Umverteilung von den einen Wirtschaftssektoren hin zu anderen aufgrund von zufälligen wirtschaftsfremden Faktoren, nicht von Marktsignalen. Aus dieser Sicht sind Übergewinne marktverzerrend und vom Regulator bestmöglich zu verhindern oder auszugleichen.
Wenn derartige Gewinne abgeschöpft werden, wird der Markt nicht negativ beeinträchtigt. Im Gegenteil: Wenn die abgeschöpften Mittel gezielt dazu verwendet werden, Marktverzerrungen zu berichtigen, könnte der Standort sogar vorteilhaft beeinflusst werden.
Denn selbst Aktionäre erwarten sich bei externen Schocks eine staatliche Intervention. Wenn ihre Unternehmen von externen Krisen gebeutelt werden, erwarten sie sich staatliche Unterstützungen zur Rettung ihres Kapitals. So geschehen in der Corona-Pandemie, während der Finanzkrise oder auch jetzt im Ukraine-Krieg. Natürlich würden sie ihre jetzigen Gewinne gerne behalten – sie werden ihr Investitionsverhalten aber nicht maßgeblich ändern, wenn der Staat in eine unerwünschte Verzerrung eingreift. Die meisten Investor:innen streuen ihr Geld und wünschen sich daher eine funktionierende Volkswirtschaft mehr als nur hohe Gewinne für einen Sektor.
Zufallsgewinne können der Volkswirtschaft schaden
Nehmen wir die Zufallsgewinne in der Gas- und Stromindustrie. Die extremen Mehrkosten von Verkauf und Verstromung von Gas verzerren die Preise in einer Vielzahl von Wirtschaftssektoren. Entstanden sind sie aufgrund einer politischen Intervention durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine.
Da Energie ein Input in praktisch jedem Wirtschaftssektor ist, steigen die Preise quer durch die Gesellschaft und reduzieren durch die hohe Inflation das verfügbare Einkommen und damit den Konsum. Zwar geben Menschen weiterhin Geld aus, ein wachsender Anteil davon fließt aber in einige wenige Sektoren ab, und so bleibt weniger Kaufkraft für alle anderen Sektoren übrig. Unterm Strich bleibt ein Wohlstandsverlust für die Konsument:innen, und in Folge Umsatzeinbußen in vielen Sektoren, in denen die Menschen wegen der Teuerung nun sparen müssen. Simpel gesagt: Was der Verbund mehr verdient, geht den Friseur:innen und Hotels verloren.
Ja, es gibt auch positive Interventionen
Wenn Zufallsgewinne abgeschöpft und zum Ausgleich dieses Kaufkraftverlusts verwendet werden, kann die Wirtschaft insgesamt gewinnen. Auch der Standort kann durch niedrigere, aber noch wichtiger, planbarere Energiekosten à la longue profitieren.
Die Abwanderung von energieintensiven Unternehmen in Staaten mit billigerem Strom und Gas, z.B. die Verlagerung von Produktion der VOEST in die USA, begann bereits weit vor der von Russland in Gang gesetzten Preisspirale, wird sich aber durch diese noch weiter verschärfen. Dem entgegenzusteuern, ist gute Standortpolitik.
Die Frage ist, wie die dadurch gewonnenen Mittel verwendet werden. Wenn sie zum Ausgleich des Schadens, den „Zufallsverlierer:innen“ erleiden, verwendet werden, ist die Intervention für die Volkswirtschaft positiv – genau wie Interventionen gegen Monopole oder Kartelle.
In den Markt eingreifen – aber wie?
Ob die Über- bzw. Zufallsgewinnsteuer ein solches Beispiel ist, steht aber zur Diskussion. Denn wie würde man diese konkret ausgestalten, um sie treffsicher zu machen? Wenn alle Unternehmen davon betroffen sind, gibt es einen konkreten Anreiz, nicht „zu viel“ zu verdienen. Das ist aber gerade auch bei öffentlichen Unternehmen wünschenswert – soll doch etwas Schlimmeres passieren, als dass sich ein Unternehmen mit öffentlicher Beteiligung durch kluge wirtschaftliche Entscheidungen selbst erhalten kann, ohne dass der:die Steuerzahler:in einspringen muss.
Aber wenn es nur bestimmte Unternehmen treffen soll, zieht der Vorschlag einen Rattenschwanz an Fragen hinter sich her. Wie soll diese Steuer konkret lukriert werden? Wie verhindert der Staat, dass Konzerne ab einer gewissen Größe ihre Gewinne – völlig legal – ins Ausland verschieben oder in Stiftungen parken? Wer entscheidet eigentlich, welche Unternehmen von dieser zusätzlichen Steuer betroffen sind? Und auf welcher Grundlage?
All diese Fragen sind Teil einer gesunden Staatsskepsis, die für Liberale selbstverständlich ist. Natürlich kann berechtigte Anlässe für Regulierung geben – aber nur, wenn diese treffsicher ist und keine größeren Probleme schafft. Übergewinnsteuern für Unternehmen, die der Staat bestimmt, schaffen einen Präzedenzfall für einen starken Eingriff in die unternehmerische Freiheit. Insofern haben Liberale großes Interesse, die konkrete Umsetzung zu hinterfragen.
Die Frage der Zukunftsinvestitionen
Ein weiterer Einwand gegen die Abschöpfung von Übergewinnen ist darin begründet, dass damit Investitionsmöglichkeiten in Alternativenergien verhindert werden könnten. Dem Problem ist aber leicht gegenzusteuern: Entweder der Staat investiert die lukrierten Mittel selbst in Alternativenergie, oder er erlaubt es Unternehmen, durch gewisse Investitionen die Abschöpfung zu verringern, etwa in Form einer sofortigen Abschreibung von 100 Prozent der Investition.
Da Investitionen aber Vorlaufzeit brauchen, während die Energieinflation jetzt galoppiert, wäre es auch möglich, sofort abzuschöpfen, im Gegenzug aber mit großzügigen Steuererleichterungen oder Subventionen die notwendigen Investitionen zu fördern, sobald diese möglich werden. Jedenfalls ist die theoretische Möglichkeit einer Investition in Zukunft kein Argument, Marktverzerrung jetzt nicht entschlossen entgegenzutreten.
Fazit
Gegen die Idee einer Übergewinnsteuer spricht grundsätzlich einiges: Sie droht, ein Präzedenzfall für Eingriffe in die unternehmerische Freiheit zu werden und falsche Anreize zu setzen. In der konkreten Ausgestaltung müsste man gerade darauf Rücksicht nehmen.
Trotzdem haben Liberale keinen Grund, Zufallsgewinnsteuern per se zu abzulehnen. Sie sollten sich darauf konzentrieren, dass die Mittel nicht als Helikoptergeld zur Eigenwerbung für die Regierung, sondern zum Ausgleich von Zufallsverlusten und zur Abfederung von Marktverzerrungen verwendet werden. Gerade im Kontext einer Krise mag man eine solche Abschöpfung rechtfertigen können, wenn sie gut eingesetzt wird – aber bei Eingriffen in die unternehmerische Freiheit ist zumindest eine gesunde Staatsskepsis angebracht.