Ungarns Einfluss auf andere Länder – und ihre Wahlen
Ungarns Premierminister Viktor Orbán nimmt sich gerne in Reden das Recht für sein Land heraus, dass andere Staaten dessen Entwicklung und politische Entscheidungen respektieren müssten. Vor allem wenn es um Kritik an der Aushöhlung der Demokratie geht, verbittet er sich Kommentare der EU und anderer Länder. Doch eine breit angelegte Recherche des ungarischen Online-Magazins Direkt36 hat aufgedeckt, wie Orbáns Regierung selbst durch Online-Werbung Wahlen in anderen europäischen Ländern beeinflusst hat – um politische Partner:innen Orbáns dort zu unterstützen.
In insgesamt sieben europäischen Ländern wurden von Ungarns Regierung im Herbst 2023 Youtube-Werbungen geschaltet. Thema waren die „Gefahren der illegalen Migration“ für den Kontinent und die entsprechenden Länder. Dabei geht es um Tschechien, Polen, die Slowakei, Italien, Österreich, Deutschland und Belgien. In diesem Zeitraum fand in Polen und der Slowakei ein Parlamentswahlkampf statt, in Deutschland und Italien Wahlkämpfe für Regionalwahlen. Insgesamt wurden die zwei Werbevideos in Gesamtzeitraum zwischen 8,3 und 9,6 Millionen Mal gezeigt – verschieden oft in den unterschiedlichen Ländern.
Das erste der beiden Videos stellt Ungarn als einziges Land in der EU dar, das Europa vor Flüchtlingen schützen würde, und behauptet, dass die EU dagegen noch mehr Asylwerber:innen in die Union bringen will. Das zweite Video zeigt vor allem Vorfälle entlang des Grenzzauns an Ungarns Südgrenze zwischen der Grenzpolizei und Flüchtlingen. Beide Videos sind in ihrer Bildsprache und Botschaft klar: Flüchtlinge sollen als Bedrohung definiert und Ungarns Vorgehen positiv gezeichnet werden. Ungarns hartes Vorgehen soll bei den Zuseher:innen als ein Vorbild für die eigene Regierung ankommen – und der Zeitpunkt dieser Werbungen war nicht zufällig gewählt.
Entscheidungen in Polen und der Slowakei
Vor allem in der Slowakei wurde das Video im Verhältnis zur Bevölkerungszahl oft geschaltet – schließlich ging es dort auch bei den Parlamentswahlen darum, Orbáns politischen Verbündeten zu unterstützen, die SMER-Partei unter Robert Fico. Fico war 2018 als Ministerpräsident zurückgetreten, nachdem Massenproteste gegen seine Regierung ausgebrochen waren. Davor wurde publik, dass hohe Parteimitglieder in Kontakt mit der Mafia standen und in den Mord an einen Investigativjournalisten und seiner Partnerin beteiligt waren. Doch der Spätsommer 2023 brachte der Slowakei eine Flüchtlingskrise, in der viele Menschen ins Land drängten, und die Stimmung kippte gegen die damals amtierende Regierung. In diesen Zeitraum fallen auch die Werbevideos Ungarns – passend zum Thema illegale Migration.
Orbán hatte Interesse daran, den populistischen Nationalisten Fico als Regierungschef in Bratislava zu sehen. Sowohl auf EU-Ebene als auch in der Frage des Ukraine-Kriegs haben beide Männer ähnliche Ansichten. Mit Fico schert ein weiterer Regierungschef in Fragen wie Reform des Asylsystems und Weiterentwicklung der Union im Rat der Staats- und Regierungschef:innen der EU aus und kann Entscheidungen blockieren. Auch ein weiteres Bestrafen Ungarns für den Rückbau der Demokratie durch die EU wird damit unwahrscheinlicher, weil Fico solchen Beschlüssen zustimmen müsste – und Orbán würde wohl dasselbe für Fico machen, sollte es dazu kommen.
Orbáns Einfluss durch die Online-Werbung zahlte sich auf jeden Fall aus. Am 30 September wählte die Slowakei, und die SMER wurde mit 23 Prozent knapp stimmenstärkste Partei. Fico führt nun eine nationalistische Koalition an, pflegt seit Amtsantritt ein sehr gutes Verhältnis zu Ungarn – und wie Orbán hat Fico bereits begonnen, den Rechtsstaat in der Slowakei zu unterwandern.
Auch in Polen sollte durch das Einmischen Orbáns die damals noch regierende nationalkonservative PiS-Partei unterstützt werden. Polens Premierminister Mateusz Morawiecki war auf EU-Ebene ein verlässlicher Partner Ungarns, der viele notwendige Beschlüsse zu blockieren versuchte – auch wenn die PiS im Unterschied zu Orbán die Ukraine in ihrer Verteidigung gegen Russland bedingungslos unterstützt. Doch anders als in der Slowakei funktionierte Ungarns Einmischung in Polen nicht – zwar konnte die PiS den ersten Platz bei den Wahlen im Oktober 2023 knapp verteidigen, doch mit ihren Partnern keine Regierungsmehrheit mehr im Parlament erringen und musste in die Opposition. Eine breite Koalition unter der Führung Donald Tusks versucht jetzt, Polen wieder zurück auf den Weg der Demokratie zu bringen.
Warnung für Österreichs Wahlkampf
Die Analyse der Beeinflussung anderer Länder durch Onlinewerbung Ungarns zeigt, dass damit in knappen Wahlkämpfen durchaus etwas erreicht werden kann. Auch wenn in Polen die Regierungsmehrheit für die Koalition der PiS verloren wurde, zeigt sich am Beispiel Slowakei, was möglich ist. Es ist nicht davon auszugehen, dass Orbáns Regierung diese Strategie nicht weiterführen will.
Die aktuellen Umfragen für die Nationalratswahl in Österreich gehen momentan alle von einem starken Sieg der FPÖ unter Herbert Kickl aus – und dieser bekundet gerne, dass Orbáns Ungarn ein Vorbild dafür sei, wie er Österreich umbauen will. Ungarn könnte ein weiterer gleichgesinnter Partner in der Region und in der EU nur gelegen kommen, also kann man nicht ausschließen, dass Orbán seine Beeinflussung von Wahlen auch im hiesigen Wahlkampf versuchen wird.