Wahlen in Italien: Europas nächstes Ungarn
Giorgia Meloni hat eine Vision. Wenn die Parteichefin der Fratelli d’Italia die nächste Regierungschefin Italiens wird, wird „das einfache Drüberfahren über die Interessen Italiens in Europa ein Ende haben“, kündigte sie bei einer Wahlkampfrede in Mailand im August an. Und die Chancen stehen gut, dass Meloni ihr Ziel erreichen – und damit auch die erste Premierministerin Italiens werden könnte.
Am Sonntag wählt Italien beide Parlamentskammern neu. Die Umfragen zeigen, dass die weit rechts stehende Partei Fratelli d’Italia (Brüder Italiens, FdI) die stärkste Partei werden und der von ihnen angeführte Rechtsblock die Mehrheit erreichen dürfte. Italien würde damit auf einen prononcierten Rechtskurs zusteuern. Die Sorge in der EU darüber wächst.
Italien droht ein Rechtsbündnis
Die Meinungsforschung sieht FdI mit rund 25 Prozent der Stimmen klar vorne, ein Rechtsbündnis aus ihnen, der Lega unter Matteo Salvini und Silvio Berlusconis Forza Italia dürfte in beiden Kammern eine deutliche Mehrheit erringen. Damit würde es nach einer für italienische Verhältnisse ruhigen innenpolitischen Zeit der Koalitionsregierung unter dem ehemaligen EZB-Chef Mario Draghi wieder erheblich mehr Aufregung und Konfrontation geben. In Italien, aber auch in der EU.
Die Fratelli wurden 2012 von Meloni gegründet, gehen aber auf eine Sammelbewegung für Anhänger Benito Mussolinis zurück. Und zwar der in den 1990er Jahren aufgelösten postfaschistischen Partei Movimento Sociale Italiano. Bei den Wahlen 2018 hatte die FdI nur knapp über 4 Prozent der Stimmen geholt. Seither aber lief die Partei vor allem dank Meloni der Lega den Rang als stärkste rechte Kraft ab – auch, weil sie sich als einzige weigerte, in der Konzentrationsregierung Draghis mitzuarbeiten. Nun stehen die Partei und ihre Gründerin vor dem Triumph und damit vor der Möglichkeit, Italien so umzubauen, wie man es seit der Gründung geplant hat.
Das Italien, das Meloni will
Innenpolitisch will das Rechtsbündnis auf eine harte Linie bei den Flüchtlingen setzen, die aktuell wieder vermehrt auf der Mittelmeerinsel Lampedusa ankommen. Und auch beim Thema Abtreibungen wollen die Fratelli, angestoßen durch den Konflikt darüber in den USA, den Zugang stark einschränken. Bei den Rechten der LGBTIQ-Community setzen Meloni und die Rechts-Koalition auf konservative Positionen: Sie lehnen die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare ab, allerdings gibt es bereits seit 2016 die Möglichkeit der eingetragenen Partnerschaft. Ein Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare, wie es der Linksblock in seinem aktuellen Wahlprogramm ankündigt, lehnt Meloni scharf ab. Für Aufregung unter den Fratelli sorgte Anfang September auch die Ausstrahlung einer Folge der Kinder-Zeichentrickserie Peppa Pig, in der ein Eisbärenkind zwei Mütter hat. Der Kultursprecher der FdI, Federico Mollicone, forderte die RAI auf, die Folge nicht auszustrahlen.
Doch während es bei solchen gesellschaftspolitischen Fragen einen Konsens zwischen den rechten Parteien der Wahlkoalition gibt, könnten andere Positionen innerhalb einer etwaigen Regierung für Konflikte sorgen. Im aktuellen Russlandkrieg stehen die FdI klar auf Seite der Ukraine und sind auch transatlantisch ausgerichtet, außerdem pflegen sie gute Kontakte zu den US-Republikaner:innen. Salvinis Lega spielt dagegen, so wie die FPÖ in Österreich oder Ungarn unter Viktor Orbán, eine ambivalente Rolle, soll Salvinis Partei doch Geld von Russland bekommen haben. Solche Fragen könnten ein Minenfeld bei Regierungsverhandlungen werden, auch wenn andere Punkte die rechten bis weit rechten Parteien einen, etwa ihre kritische Haltung zu Europa.
Die Fratelli und Europa
Mit Giorgia Meloni im Reigen der EU-Staats- und Regierungschef:innen könnten Einigungen noch schwieriger werden. Italien war meistens ein verlässlicher, vernünftiger Partner in der EU und spielte oft eine unterstützende Rolle für die Vorschläge der anderen großen Reformstaaten Deutschland und Frankreich.
Meloni hat bereits klar gemacht, dass das mit ihr im Europäischen Rat nicht passieren wird. Damit könnte sich das Machtverhältnis nachhaltig verschieben, denn mit Italien zusammen mit anderen ECR-Regierungschef:innen würde es kaum möglich sein, eine qualifizierte Mehrheit gegen diese Staaten zu bilden. Entsprechend euphorisch haben sich bereits Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki und Tschechiens Regierungschef Petr Fiala über den wahrscheinlichen Wahlsieg Melonis geäußert. Und Meloni hat auch bereits angekündigt, weiter daran arbeiten zu wollen, Viktor Orbáns Fidesz in die ECR zu holen, mit dem sie enge Kontakte geknüpft hat. Das würde auch bei den nächsten Wahlen zum EU-Parlament, die turnusmäßig 2024 anstehen, einen starken Mandatszuwachs für die europaskeptische Fraktion bedeuten – und eine mögliche Kooperationsalternative mit der EPP, die dadurch eine konservative Mehrheit erreichen könnte.
Giorgia Meloni, die Fratelli d’Italia und das Rechtsbündnis könnten, wenn die Umfragen sich am Wahlsonntag bestätigen, für eine neue, interessante Ära in Italien und der EU sorgen. Eine ruhige Zeit wird es nicht werden. Am Sonntagabend werden auf jeden Fall nicht nur in Italien sehr viele Menschen dem Ergebnis entgegenfiebern.