Wahlen in Polen: Comeback der Demokratie
An Superlativen vor den Parlamentswahlen im Polen am 15. Oktober 2023 wurde nicht gespart: Oft wurde von der wichtigsten Wahl seit der demokratischen Wende gesprochen. Und tatsächlich ging es um viel – um ein Ende des Abgleiten in den Autoritarismus wie in Ungarn.
Nachdem am Dienstag das Endergebnis feststand, kann vorsichtig optimistisch gesagt werden: Die rechtskonservativ-nationalistische Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) ist abgewählt, sofern sie nicht noch eine unwahrscheinliche Mehrheit aus dem Hut zaubert. Das gibt Polen und Europa Grund zur Hoffnung. Eine Einschätzung.
Eine Mehrheit abseits der PiS
Polen wählte am Sonntag die PiS ab. Zwar bleibt sie die stimmenstärkste Partei – doch auch mit dem einzig möglichen Koalitionspartner, der rechtsextremen Konfederacja, erreicht sie keine Mandatsmehrheit. Diese erlangt das aus drei Parteien bestehende Oppositionsbündnis aus liberaler Bürgerkoalition (KO), der christlich-konservativen Partei Dritter Weg und dem Linksbündnis Lewica. Die Bürgerkoalition, die vom Oppositionsführer und ehemaligen Präsidenten des Europäischen Rats, Donald Tusk, geleitet wird, ist auf Platz zwei der einzelnen Parteien gelandet.
Dem Ergebnis ging ein erbitterter Wahlkampf voraus. Die PiS unter Parteichef Jarosław Kaczyński versuchte Tusk, vor allem wegen seiner Karriere in der EU, als Handlanger Brüssels, Berlins und sogar Moskaus darzustellen. Nur eine Stimme für die PiS würde die Souveränität Polens garantieren. Das langsame Abdriften des Landes in den Autoritarismus wurde als Kampf gegen Brüssel inszeniert, eine Masche, die direkt von Viktor Orbáns Ungarn übernommen wurde.
Doch Kaczyński hat sich verkalkuliert. Neben der von der EU und der Zivilgesellschaft massiv kritisierten Justizreform und der Einflussnahme auf die Medien gab es auch genug andere Konflikte, die zusammen zu viele Bereiche der Gesellschaft gegen die PiS aufgebracht hatten. Das restriktive Abtreibungsrecht und der reaktionäre Umgang mit der LGBTIQ-Community schreckte die Mitte der Gesellschaft ab, die hohe Inflation und ein Skandal rund um die Vergabe von Schengen-Visa an polnischen Konsulaten säte weiteres Misstrauen. Am Ende ging es sich nicht mehr aus.
Wie geht es weiter?
Die Wahl in Polen galt als Richtungsentscheidung zwischen der PiS und der KO. Die PiS hatte das EU-Mitgliedsland Polen in den vergangenen acht Jahren immer mehr auf einen isolationistischen Kurs gebracht und dabei eine Reihe von Konflikten mit Brüssel in Kauf genommen. Insbesondere die bereits erwähnte umstrittene Justizreform sorgte immer wieder für Auseinandersetzungen, und das nicht nur innerhalb Polens. Die Opposition im Land, die Europäische Kommission in Brüssel und auch die meisten europäischen Partnerstaaten sorgten sich zusehends um die Unabhängigkeit polnischer Gerichte und warfen der Regierung in Warschau die Politisierung der Justiz vor. Auch wenn die PiS keine Aussicht auf eine Regierungsmehrheit im Sejm hat, ist der Weg zu einer demokratisch-liberal gesinnten Regierung noch lang.
Denn laut der Verfassung beauftragt der polnische Präsident eine:n Vertreter:in der stimmenstärksten Partei mit der Regierungsbildung. Und Präsident Andrzej Duda gehört ebenfalls der PiS an. Nur wenn diese Person im neu zusammengekommenen Sejm keine Mehrheit für eine Regierung findet, kann das Parlament von sich aus frei eine Regierung mit einfacher Mehrheit wählen – und das Bündnis rund um Tusk, der bereits von 2007 bis 2017 einmal Ministerpräsident Polens war, hat diese Mehrheit. Mit dem absehbaren Fristenlauf dürfte es bis zu dieser Abstimmung im Sejm allerdings noch bis Mitte Dezember dauern. Das bedeutet, dass Tusk und seine Partner:innen bis dahin einig bleiben müssen. Und das Regieren danach wird nicht leicht werden.
Aufräumen nach der PiS
Drei große Faktoren könnten die Durchschlagskraft der neuen Regierung, wenn sie an die Macht kommt, massiv vermindern: die extreme Spannweite der ideologischen Ansichten der Partner:innen, der Präsident Polens und die Verwaltung.
Die wahrscheinlichen drei Koalitionsparteien Bürgerkoalition, Dritter Weg und Lewcia decken nicht nur unter sich ein weites Spektrum politischer Ansichten ab, sie sind auch noch teilweise nach innen aufgeteilt. Tusks Bürgerkoalition besteht aus Fraktionen, die teilweise im Europäischen Parlament der Europäischen Volkspartei (EVP) angehören, teilweise den Grünen. Und der Dritte Weg besteht aus zwei Teilen, die sich der EVP sowie der Liberalen Fraktion Renew Europe zugehörig fühlen. Dazu auch noch das Linksbündis Lewcia – diese drei Parteien(bündnisse) einte im Wahlkampf das Ziel, die PiS von der Macht zu wegzudrängen. Doch wird der kleinste gemeinsamen Nenner im Regieren selbst oft eine Herausforderung sein.
Darüber hinaus kann auch Staatspräsident und PiS-Mitglied Duda mit seiner Vetomacht ein Problem werden. Um ein Veto überstimmen zu können, braucht es laut der polnischen Verfassung eine 3/5-Mehrheit im Sejm – über die die drei Parteien aber nicht verfügen. Dudas Amtszeit läuft 2025 aus. Es kann also gut sein, dass sich die neue Regierung zuerst einmal auf jene Bereiche konzentrieren wird, für die es nicht unbedingt Gesetze braucht – und damit sind wir bei der Verwaltung des Landes.
Denn Kaczyńskis PiS hatte Jahre Zeit, um alle zentralen und entscheidenden Posten in der Verwaltung, in der Justiz, in den Medien und in staatsnahen Betrieben mit Parteigänger:innen und Vertrauten zu besetzen. Die Bürgerkoalition und Lewcia haben beide in ihren Wahlprogrammen bereits angekündigt, dass alle Stellen, bei denen es möglich ist, neu und transparent ausgeschrieben werden. Die Reformkoalition will neue, nachvollziehbare und offene Bewerbungsabläufe etablieren, um eine funktionierende Verwaltung, Justiz und Medienpolitik zu ermöglichen. Der Weg dahin ist weit, doch unbedingt notwendig. Und auch ein Bereich, in dem das drohende Veto Dudas kaum Einfluss haben kann – wenn die drei Koalitionsregierungen sich nicht intern zerstreiten.
Vorsichtiges Aufatmen in der EU
Was auch von Anfang an eine Notwendigkeit der neuen Regierung sein muss: Vertrauen in die EU wieder aufbauen. Unter der PiS geriet Polen regelmäßig in Konflikte mit der EU, vor allem wegen der Politisierung der Justiz und der Medien, und verlor deshalb an Einfluss bei den so wichtigen entscheidenden Gremien wie den Ministerräten und vor allem den Europäischen Rat der Staats- und Regierungschefs. Hier hat die wahrscheinliche neue Regierung mit Donald Tusk gute Chancen. In Europa kennt man Tusk als ehemaligen Präsidenten des Europäischen Rats, damit wäre seine Rückkehr – sollte er Regierungschef Polens werden – kein großer Kulturschock.
Gleichzeitig kann auch die EU als Ganzes vorsichtig aufatmen. Nachdem Viktor Orbán in Ungarn 2022 wiedergewählt wurde und in der Slowakei erst diesen September der Putin-freundliche Linkspopulist Robert Fico mit seiner Partei Smer wieder an die Macht kam, ist die Abwahl der PiS in Polen ein Hoffnungsschimmer, dass der europaweite Schwenk zum Populismus nicht unaufhaltsam ist. Eine gut aufgestellte, ernsthaft bemühte und organisierte Opposition kann also eine Alternative zu autoritärem Populismus sein. Eine Lektion, die sich auch nächstes Jahr in Österreich bewahrheiten könnte.