Warum es nicht egal ist, was der ORF darf
Die Reformpläne für den ORF stoßen auf wenig Liebe bei privaten Medien. Es geht aber nicht nur darum, dass sie die Konkurrenz fürchten – sondern auch darum, wie der Medienmarkt Österreich funktionieren soll.
Wir alle kennen den ORF. Generationen sind mit ihm aufgewachsen, können Serien-Klassiker zitieren, verfolgen Großveranstaltungen und politisch brisante Ereignisse über ihn. Mit Fernsehen, Radio und mittlerweile auch sozialen Medien erreicht der öffentlich-rechtliche Rundfunk einen Großteil der Menschen in Österreich. Der Journalismus, den er produziert, hat Gewicht – genau wie die Rahmenbedingungen, zu denen das passiert.
Das ist auch das große Argument aller, die dafür eintreten, dass der ORF mehr dürfen soll: Da ohnehin jede:r ab und zu Inhalte des öffentlich-rechtlichen Rundfunks konsumiert – egal ob im Fernsehen, auf orf.at oder auf TikTok –, müsse es auch legitim sein, dass wir alle dafür zahlen. Auch die grüne Klubchefin Sigrid Maurer erklärte bei ihrer Pressekonferenz, 95 Prozent aller Menschen in Österreich würden angeben, Inhalte des ORF zu konsumieren.
Welche Pressekonferenz? Am 26. April stellte die Regierung ihren Entwurf einer ORF-Reform vor. Mit diesem will sie die Finanzierung des ORF neu regeln, aber auch ändern, was der Öffentlich-Rechtliche wo senden darf.
Was die ORF-Reform vorsieht
Das Wichtigste zuerst: Der ORF wird in Zukunft anders finanziert. Statt der GIS kommt eine Haushaltsabgabe. Wer bisher GIS gezahlt hat, spart sich rund 7 Euro, wer sie bisher nicht bezahlt hat, wird wohl bald betroffen sein. Wer bisher von der GIS befreit war, soll übrigens auch weiterhin nicht zahlen, auch Nebenwohnsitze sind ausgenommen.
Neu ist, dass auch Unternehmen betroffen sind – als „Haushalte“ gelten nämlich streng genommen auch Geschäftslokale, z.B. ein Gastronomiebetrieb, der über den ORF ein Fußballspiel zeigen könnte. Die Höhe des Beitrags richtet sich nach Anzahl des Personals. Und auch die Landesabgaben, über die die Bundesländer einen Teil der bisherigen GIS in ihr Budget einnehmen, bleiben in vielen Bundesländern.
Am Küniglberg freut man sich aber nicht nur über die neue Finanzierung, sondern auch über neue Möglichkeiten: Er bekommt auch online neue Möglichkeiten. So darf er „online only“ produzieren – bis jetzt musste alles, was der ORF sendet, auch in irgendeiner Form im Fernsehen laufen. Und gerade für tagesaktuelle Berichterstattung soll er auch „online first“ dürfen, also Inhalte zuerst online veröffentlichen. Außerdem fällt die 7-Tage-Frist, die bisher festlegte, dass die Inhalte nur eine Woche lang auf orf.at online bleiben durften.
Aber auch in Zukunft wird der ORF nicht alles dürfen. Die Regierungspläne sehen vor, dass orf.at nur noch 350 Meldungen pro Woche bringen darf, zuvor waren es rund 900. 70 Prozent aller Inhalte, die der ORF produziert, sollen künftig „Bewegtbild“, also Video-Inhalte sein – Text soll maximal 30 Prozent ausmachen. Außerdem kommen Werbeeinschränkungen und Sparmaßnahmen, z.B. bei Pensionen der Angestellten.
Kleines Land, großer Rundfunk
Die Reaktionen privater Medien sind verständlich, es wäre auch überraschend, wenn sie sich über besonders starke Konkurrenz freuen würden. Noch dazu, weil der ORF in seiner journalistischen Arbeit nicht vor den gleichen Finanzierungsfragen steht: Während er sich über Abgaben finanziert, müssen Medien auf dem Publikums- und Werbemarkt bestehen, also Abos und Werbung verkaufen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk bezieht 22 Prozent seiner Einnahmen aus Werbung, kommt aber mit einem Budget von über einer Milliarde Euro auch ohne ganz gut über die Runden.
Insofern kann diese Reform den Privatmedien gar nicht egal sein. Denn unabhängig davon, was man von einer Haushaltsabgabe hält, ist der ORF eine Wettbewerbsverzerrung. Private Medien haben es schwer, gegen ein Unternehmen zu bestehen, das nicht nur mehr Geld hat, sondern sich auch wesentlich weniger darum kümmern muss. Darum wird in der Reform auch explizit der Text-Aspekt begrenzt: Wenn der Rundfunk schon mehr darf, dann soll er weniger Konkurrenz im „zeitungsähnlichen“ Bereich machen. Ein Verleger stellt dazu im Kurier korrekt fest:
Jeder Mensch hat 24 Stunden. Wir schlafen, wir arbeiten, und eine gewisse Zeit ist reserviert für Medienkonsum. Und da treffen wir Entscheidungen, welches Medium wir nutzen. Es kann der ORF sein, das kann der STANDARD sein, es kann der KURIER sein. Und wenn bei einem dieser Medien plötzlich der Hinweis kommt, dass es kostenpflichtig ist, ist es nur natürlich, dass man ausweicht. Und zwar auf jenes, das vermeintlich gratis ist, weil man es ohnehin schon bezahlt hat.
Alexander Mitteräcker, Geschäftsführer „Der Standard“
Qualität oder Vielfalt?
Wenn das Publikum durch das breite Angebot des ORF profitiert, ist das also nicht nur eine gute Nachricht, weil die privaten Medien dadurch leiden. Im Sinne der Medienvielfalt muss die Medienpolitik also auch auf den Rest des Medienmarkts Rücksicht nehmen – auch, wenn das Beschränkungen bedeutet, z.B. im Textangebot.
Es gibt aber auch Gründe, die für einen starken öffentlich-rechtlichen Rundfunk sprechen. Manche sehen in einem gut ausfinanzierten ORF auch eine Garantie, dass sich nicht nur Falschinformationen und freche Schlagzeilen in der öffentlichen Debatte durchsetzen, sondern auch die Fakten. Mit dem Geld, das der ORF bekommt, werden auch Nischenprogramme produziert, an denen Private oft kein Interesse haben, z.B. Inhalte für Volksgruppen oder für den sehr ländlichen Raum, in dem nicht viele leben. Und ein hochwertiges Angebot an Informationen ist auch für die Demokratie enorm wichtig: Auch bei Wahlen braucht es eine gemeinsame Faktenbasis, die viele vor allem durch den ORF gesichert sehen.
Diese Faktenbasis kann der ORF aber nicht alleine herstellen – würden wir uns nur auf ihn verlassen, wären wir von ihm abhängig. Und da sein Stiftungsrat immer noch politisch besetzt wird, ist auch der politische Einfluss immer ein Thema. Es braucht also zwangsläufig Alternativen, auch wenn man mit dem Angebot des ORF zufrieden ist. Das ist das Dilemma: Es gibt einerseits ein starkes Interesse daran, dem ORF möglichst viel Freiheit zu erlauben, andererseits führt genau das auch zu Problemen.
Die Hintergründe der ORF-Reform
Dass der ORF sich überhaupt verändert, ist nicht einmal Absicht. Zwar haben Vertreter des Öffentlich-Rechtlichen schon lange gefordert, online mehr zu dürfen, aber bisher blieben sie damit weitgehend erfolglos – auch, wenn zumindest die Nachrichtensendung „Zeit im Bild“ erfolgreiche Social-Media-Seiten betreibt. Die Reform geht auf den Verfassungsgerichtshof zurück, der die Aufhebung der sogenannten Streaminglücke forderte, also eine Lösung des Problems, dass man bisher nur für den ORF-Konsum auf einem Fernsehgerät bezahlen musste.
Was jetzt passiert, liegt aber auch an den Diskussionen der letzten Jahre. Jede:r, der öfter die Inhalte des bisher GIS-finanzierten Mediums konsumiert, hat sich wohl schon mal gefragt, warum auch zeitlose Inhalte nach sieben Tagen wieder verschwinden. Auch das ist eine Regel, die vor allem private Medien vor Konkurrenz schützen sollte. Diese sehen sich aber nicht erst seit der Reform großem Druck ausgesetzt: Neben dem ORF zu bestehen, gerade als Privatmedium ohne öffentliche Finanzierung oder Medienförderung, war auch bisher schon schwierig. Und das führt wiederum zu Problemen: der Abhängigkeit von der Medienförderung und öffentlichen Inseraten.
Was die ORF-Reform offenlässt
Der ORF bekommt also mehr Geld und darf mehr – und nicht alle sind glücklich damit. Für das Publikum werden diese Änderungen jedenfalls definitiv merkbar: mehr Sport auf ORF1, eine eigene Sport-App, ein offenes ORF-Archiv für Dokumentationen, Magazine und mehr, und eben eine Änderung im Beitrag. Das schwierige Verhältnis des Medienhauses zum restlichen Medienmarkt bleibt allerdings weiterhin ungelöst.
Vorschläge dazu gibt es. Der ORF könnte sich beispielsweise, ähnlich wie in Deutschland, auf Bewegtbild-Inhalte beschränken – eine noch weitere Einschränkung des Text-Angebots, die Text-Medien ein bisschen Luft verschaffen könnte. Aber auch eine Art „Public-Value-Medienhaus“, also ein Medienunternehmen, das nicht nur für sich selbst und die eigenen Social-Media-Profile, sondern auch für andere Medien produziert, wird immer wieder andiskutiert. Und auch ein junges, digitales Angebot nach dem Vorbild des deutschen „Funk“ wird oft als Lösung angesprochen.
Was aber definitiv offen bleibt, ist die Entpolitisierung. Eine Gremienreform, die politischen Einfluss auf die Berichterstattung weiter erschwert. Auch die Landesabgaben, die direkt ins Budget der Bundesländer fließen, aber durch das ORF-Gesetz finanziert werden, könnten über das Budget eingehoben werden. Und apropos Bundesländer: Dass der ORF-Chef eines Bundeslandes durch das Anhörungsrecht der Landeshauptleute politisch bestimmt wird, sorgt nicht nur in Niederösterreich für politische Beeinflussung.
Wie auch immer es weitergeht: Die Reform bringt zumindest Klarheit, was die Finanzierung des ORF in den nächsten Jahren betrifft. Sie lässt aber auch noch vieles ungelöst – denn die Frage, wie man einen öffentlich-rechtlichen Riesen betreibt, ohne die private Konkurrenz dadurch stark zu benachteiligen, bleibt weiterhin offen.