Was eine Revolution im Iran für den Westen bedeuten würde
Am 16.9. jährt sich der Todestag von Jina Mahsa Amini. Für diesen Tag sind wieder Proteste im Iran und vielen Städten im Westen angesagt. Zu diesem Anlass stellen wir uns die Frage, welche Folgen eine Revolution für den Westen hätte.
Die Proteste im Iran wurden und werden vor allem von Personen getragen, die einen demokratischen, säkularen Iran wollen. Einige Beobachter:innen sprechen davon, dass sich das iranische Regime über früher oder später nicht halten können wird. Wie die zukünftige Regierungs- und Staatsform des Iran genau aussehen wird, lässt sich noch nicht sagen, doch die Protestierenden wollen Demokratie und Menschenrechte. Mit dieser Annahme werden wir uns der Frage stellen, was eine Revolution für den Westen bedeuten würde.
1. Ende der Unterstützung des russischen Angriffskriegs in der Ukraine
Der Iran unterstützt Russland mit militärischen Drohnen, den sogenannten Kamikaze-Drohnen, im völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Diese werden von Russland auch gegen zivile Ziele und ukrainische Zivilist:innen eingesetzt.
Ein Ende des Regimes würde ein Ende der militärischen Unterstützung Russlands und damit eine Schwächung Russlands zugunsten der Ukraine bedeuten, was in weiterer Folge eine Stärkung der gesamteuropäischen Sicherheit bedeuten würde.
2. Ende der Destabilisierung des Nahen und Mittleren Ostens
Das iranische Regime propagierte von Beginn an den Export der „Islamischen Revolution“. Das manifestiert sich in der Unterstützung der Houthis in Jemen im Stellvertreterkrieg gegen Saudi-Arabien und der Unterstützung des blutrünstigen Assad-Regimes sowie zahlreicher Terrororganisationen wie der Hisbollah, der Hamas und dem Islamischen Jihad.
Die Hisbollah destabilisiert den Libanon, die Hamas und der Islamische Jihad terrorisieren die israelische Zivilbevölkerung mit wahllosen Raketenangriffen auf israelisches Gebiet. Sie alle verbindet der Hass auf Israel – und der Wille, es zu zerstören. Der Iran unterstützt die verschiedenen Gruppen finanziell mit hohen Millionenbeträgen und teilweise auch militärisch. Dies stößt in breiten Teilen der Bevölkerung auf Unverständnis, insbesondere in Anbetracht der andauernden Wirtschaftskrise trotz der großen Erdölreserven.
3. Neuer außenpolitischer Kurs
Seit der Revolution 1979 erkennt der Iran Israel nicht mehr als Staat an, bezeichnet es als „kleinen Satan“ (und die Vereinigten Staaten als großen), negiert dessen Existenzrecht und droht mit dessen Auslöschung. Die Feindschaft gegenüber Israel und den USA ist einer der Grundpfeiler des iranischen Regimes. Vermutlich werden sich noch einige an den ehemaligen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad erinnern, der vehement den Holocaust geleugnet hat.
Insbesondere die iranische Protestbewegung teilt die absolute Ablehnung Israels nicht. Die Reise des Sohnes des letzten Shahs des Iran nach Israel wurde als große symbolische Geste gewertet, die auch klarmachen soll, dass die Ablehnung des Regimes auch die Ablehnung ihrer Israel-Politik beinhaltet. Eine Revolution würde eine Normalisierung der iranisch-israelischen Beziehungen mit sich bringen, wie sie schon vor 1979 bestanden haben. Bedeutet: Anerkennung Israels als Staat und partnerschaftliche Beziehungen auf verschiedenen Ebenen. Das kann nur im Interesse Österreichs sein, für das die Sicherheit Israels zur Staatsräson gehört.
Durch eine Revolution würden sich auch die Beziehungen zu den USA wieder normalisieren. Vor der Revolution waren der Iran und die USA wichtige strategische Partner, die eng zusammen gearbeitet haben. Seit 1980 bestehen keine diplomatischen Beziehungen mehr.
4. Ende der Geiseldiplomatie
Regelmäßig werden im Iran vor allem westliche sowie Doppelstaatsbürger:innen festgenommen, falscher Tatsachen beschuldigt und in Scheinprozessen wegen Spionage oder anderer Verbrechen verurteilt. Das Regime benutzt dann diese Personen, um sie gegen verurteilte Regimeleute im Westen auszutauschen oder um Druck gegenüber dem Westen aufzubauen, um sich aus der selbstverschuldeten Isolation befreien zu können. Man nennt diese Vorgangsweise „Geiseldiplomatie“.
In den letzten Monaten gab es mehrere brisante Fälle. So wurde vor wenigen Tagen bekannt, dass ein schwedischer EU-Beamter seit April 2022 in Teheran inhaftiert ist. Damals war er auf Urlaub im Iran, als er von den Sicherheitskräften festgenommen wurde und nun der Spionage bezichtigt wird – ein typischer Vorwurf für Geiselnahmen. Ein weiterer brisanter Fall: Die USA lassen fünf iranische Bürger im Gegenzug für fünf US-Bürger frei und erlauben die Freigabe von sechs Milliarden Dollar an das iranische Regime.
Erst vor wenigen Monaten wurden die Österreicher Kamran Ghaderi und Masoud Mossaheb aus iranischer Haft entlassen und konnten nach jahrelanger Inhaftierung endlich zu ihren Familien zurückkehren. Die beiden waren Teil eines größeren Gefangenenaustauschs, bei dem auch ein belgischer Mitarbeiter einer Hilfsorganisation freigekommen ist.
5. Keine iranischen Terroranschläge mehr in Europa
Was vielen nicht bekannt ist: Im Zuge dieses Gefangenenaustauschs wurde Asadollah Asadi, ein iranischer Terrorist, in den Iran überstellt. Asadi war als Diplomat an der iranischen Botschaft in Österreich akkreditiert, hatte einen Terroranschlag gegen eine Veranstaltung des Nationalen Widerstandsrats des Iran, einer Exilorganisation, geplant und wurde in Belgien zu 20 Jahren Haft verurteilt.
Das Regime versucht seit der Entstehung der Islamischen Republik, sich jeder Opposition im In- und Ausland zu entledigen. Mehr als 160 iranische Oppositionelle im Ausland wurden ermordet – viele dieser Morde geschahen in Europa.
Was kann die EU tun?
Für die iranische Bevölkerung ist die Unterstützung des Westens besonders wichtig. Nicht im Sinne eines „Regime Change“, sondern vielmehr in der Art des Sichtbarmachens der Verbrechen des Regimes an der eigenen Bevölkerung, damit das Regime im Iran begreift, dass die Augen der Weltöffentlichkeit auf ihn gerichtet sind.
So wurde beispielsweise die Aktion des österreichischen Parlaments, bei der 183 Abgeordnete und Bundesräte politische Patenschaften für inhaftierte und zum Tode verurteilte Personen übernommen haben, von der iranischen Bevölkerung dankbar angenommen und massenhaft auf Social-Media-Kanälen geteilt.
Für die Iraner:innen ist es ein fatales Signal, wenn westliche Regierungen wieder zu„business as usual“ übergehen und weiterhin Wirtschaftsbeziehungen pflegen. Die „Islamische Revolutionsgarde“ des Regimes gehört auf die Terrorliste der EU – sie terrorisiert die eigene Bevölkerung, wütet aber auch im Nahen Osten, z.B. in Syrien, und nimmt möglicherweise auch Ziele in Europa ins Visier. So gibt es den Verdacht, dass die Revolutionsgarde in Anschläge auf Synagogen in Deutschland involviert war. Die Listung als Terrororganisation wäre nicht nur ein rechtliches Zeichen, sondern vor allem ein politisches mit enormer Symbolwirkung für die iranische Bevölkerung. Auch das Europäische Parlament hat sich dafür ausgesprochen.
Europäische Politiker:innen dürfen aber nicht den Fehler machen, sich von einzelnen Exilorganisationen vereinnahmen zu lassen. Als Beispiel kann man den Nationalen Widerstandsrat des Iran nennen. Dabei handelt es sich um eine sektenähnliche Organisation, die mit den (militaristischen) Volks-Mudschahedin verbunden sind, die wiederum im Angriffskrieg des Irak gegen den Iran von 1980 bis 1988 auf der Seite des Irak gekämpft haben. Die Organisation ist zwar im Westen, vor allem in den USA, sehr gut vernetzt, in der iranischen Bevölkerung aber verhasst. Auch ist ihr Bekenntnis zur liberalen Demokratie sehr zweifelhaft.
Was kann Österreich tun?
Die Vorstellung Österreichs, durch gute Wirtschaftsbeziehungen mit dem Iran auch menschenrechtliche Probleme ansprechen zu können, ist krachend gescheitert. Man kann wahrlich nicht behaupten, dass die Islamische Republik seit ihrem Bestehen irgendeinen Wandel hin zu einem System vollzogen hat, das Frauen- und Menschenrechte und Minderheiten achtet und schützt. Eher das Gegenteil ist der Fall: Das Regime geht heute noch brutaler vor als sonst. Das haben die letztjährigen Proteste gezeigt.
Wichtig wäre es, das Botschaftspersonal des Iran auf das Notwendigste zu reduzieren, damit nur der minimal erforderliche diplomatische Austausch sichergestellt ist. Dadurch würde man auch die Spionage durch den Iran unterbinden, der auch laut Verfassungsschutzbericht 2022 einer der Hauptakteure der Spionage in Österreich ist, und unter anderem die iranische Diaspora ausspäht.
Immer wieder wird gefordert, dass Österreich die iranische Botschaft in Wien schließen soll. Das ist aber gar nicht so unproblematisch: Als Gegenreaktion würde nämlich der Iran die österreichische Botschaft in Teheran schließen lassen. Dadurch würden zwei wichtige Funktionen sofort wegfallen: Österreicher:innen, die im Iran festgenommen werden, könnten sich nicht mehr an die österreichische Botschaft wenden, und österreichisches Botschaftspersonal ist wichtig, um die Lage im Iran verlässlich beurteilen zu können. Das würde vor allem dann relevant werden, wenn wieder Proteste ausbrechen sollten.
Die Revolution ist nicht tot
Manch einer mag sich die Frage stellen, wieso sich die westlichen Staaten mit der Frage der Revolution befassen sollen, wenn die Proteste nach dem brutalen Durchgreifen der Sicherheitskräfte abgeebbt sind. Ja, sie sind für das Erste abgeebbt – aber der Widerstand gegen das Regime ist nicht gebrochen. Weiterhin gehen die Menschen in Sistan-Belutschistan, der ärmsten Region Irans, jede Woche nach dem Freitagsgebet auf die Straße, in Teheran sieht man viele Frauen, die den Zwangshijab abgelegt haben, Arbeiter:innen streiken immer wieder.
Im Gegensatz zu den Student:innenprotesten 1999, den Massenprotesten gegen den Wahlbetrug 2009, welche von der Mittelschicht ausgingen, und den Protesten der Ärmsten gegen die Steigerung der Preise 2019, ist diese Bewegung nicht auf einen Faktor beschränkt. Das zeigt sich auch anhand des Todes von Jina Mahsa Amini. Sie symbolisiert die Unterdrückung auf dreifache Weise: denn sie war Sunnitin, Kurdin und eine Frau. Die sunnitischen Belutsch:innen begehren wie die Kurd:innen, die Frauen, die Jugend (vor allem die Gen Z), die Arbeiter:innen, die Pensionist:innen und die Mittelschicht gegen das Regime auf.
Der Geist ist aus der Flasche, für die iranische Bevölkerung ist der „point of no return“ erreicht. Sie wollen keine Reformen, denn das Regime hat in 44 Jahren mehrmals bewiesen, dass es nicht reformierbar ist. Das Regime wird sich auf kurze oder lange Sicht nicht halten können.