Was hinter der „Agenda 2030“ der UN steckt
2015 haben sich die Staaten der Welt auf gemeinsame Ziele geeinigt: Die Sustainable Development Goals. Um sie ranken sich mittlerweile zahlreiche Verschwörungstheorien. Ein Crashkurs über ein offensichtliches Missverständnis.
„Still a conspiracy ? They don’t even hide their plans and intentions from you … yet you still turn a blind eye because the media don’t shove it in your face! Pandemic – lie.“
Dieser Text aus einem Social-Media-Posting könnte genauso gut aus dem ein oder anderen österreichischen Facebook-Feed sein. Verschwörungstheorien sind ein beliebter Weg, um in Zeiten der Krisen einfache Antworten zu finden. Vor allem im rechten Spektrum gibt es zahlreiche Telegram-Kanäle, die quasi rund um die Uhr Falschinformationen bieten. Corona, Migration, „Great Reset“: Mit diesen Themen bespielen rechte Influencer ihre Zielgruppen, um danach mit Merchandise und Fanshops reich zu werden.
Jetzt hat die Verschwörungs-Bubble ein neues Ziel gefunden: Die UNO. Denn die Staaten der Welt haben sich alle miteinander zu einer „Agenda 2030“ bekannt, deren Ziel nicht mehr und nicht weniger als das Ende der Freiheit auf der ganzen Erde sein soll. Dabei sind die Ziele dieser Agenda öffentlich einsehbar – und beeindruckend unkontrovers. Aber der Reihe nach.
Was soll jetzt schon wieder passiert sein?
Die Verschwörungstheorie kurz zusammengefasst: Böse Mächte haben sich in den Vereinten Nationen verschworen, die Menschheit zu versklaven. Unter dem Deckmantel der „Sustainable Development Goals“ arbeiten die UN daran, die Freiheiten der Bürgerinnen und Bürger einzuschränken, auch und vor allem durch die Pandemieprävention. Und obwohl einige angeblich mutige Länder wie Weißrussland, Kuba, Syrien, Russland oder der Iran diese Ziele nicht mittragen, ist der Plan in vollem Gange.
Wer diese Ziele mitträgt, zieht die Kritik rechter Telegram-Communities auf sich: Etwa Verkehrsministerin Leonore Gewessler oder Bundespräsident Alexander Van der Bellen. Wer sich zu internationalen Institutionen bekennt, ist Teil der „Globalisten“, deren dunkler Plan es ist, die Menschheit zu versklaven. Unter diesem Banner sammeln sich zahlreiche Feindbilder: Für die Linken gibt es die Reichen, für die Rechten die Kulturmarxisten, und für die echten Nazis immer noch schlecht versteckten Antisemitismus. Ob George Soros, Bill Gates, die Illuminaten oder die Echsenmenschen – das Böse ist immer und überall.
Aber es ist wie immer mit Verschwörungstheorien: Es steckt einfach nichts dahinter. Denn die „Sustainable Development Goals“ der UNO sind 17 Ziele, die eine Art Minimalkonsens sind, auf den sich die Staaten der Welt einigen können. Und daher dermaßen unkontrovers, dass man eigentlich gar nichts dagegen haben könnte.
Das besagen die 17 Ziele der UN
Gehen wir also in aller Kürze durch, was diese dubiosen Ziele konkret besagen. Auf der Website der Vereinten Nationen kann man all diese Ziele im Original nachlesen und mit Klick auf die Ziele die Details dazu sehen.
- Armutsbekämpfung: Es gibt ein globales Bekenntnis, Armut in allen Formen zu beenden.
- Kein Hunger: Die Staaten bekennen sich dazu, den Welthunger zu besiegen und wollen die Lebensmittelsicherheit und nachhaltige Landwirtschaft unterstützen.
- Gesundheit: Hier geht es um ein Bekenntnis dazu, ein gesundes Leben und gesundheitliches Wohlergehen für Menschen jeden Alters zu sichern.
- Bildung: Qualitativ hochwertige, inklusive und zugängliche Bildung für alle und die Förderung des lebenslangen Lernens fallen unter dieses Ziel.
- Geschlechter: Die UN bekennen sich zur Verwirklichung der Gleichstellung und Stärkung der Rolle aller Frauen und Mädchen.
- Wasser: Die Verfügbarkeit und nachhaltige Bewirtschaftung von sauberem Wasser und sanitären Einrichtungen für alle gehören gesichert.
- Energie: Hier geht es um den Zugang zu leistbarer, zuverlässiger, nachhaltiger und moderner Energie für alle.
- Arbeit: Darunter fallen mehrere Bekenntnisse, darunter: Nachhaltiges Wirtschaftswachstum, produktive Vollbeschäftigung und menschenwürdige Arbeit für alle.
- Industrie: Die Staaten der Welt wollen widerstandsfähige Infrastruktur, nachhaltige Industrialisierung und Innovationen unterstützen.
- Gleichheit: Unter dieses Ziel fällt die Verringerung der Ungleichheit innerhalb und zwischen den Ländern.
- Städte: Diese sollen sicher, widerstandsfähig, nachhaltig und inklusiv sein.
- Konsum: Dabei geht es um nachhaltigen Konsum und nachhaltige Produktion.
- Klima: Unter diesen großen Punkt fallen Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels und seiner Auswirkungen.
- Ozeane: Ein weiteres Umweltziel: Die Erhaltung und nachhaltige Nutzung der Ozeane, Meere und Meeresressourcen für eine nachhaltige Entwicklung.
- Land: Hier geht es um die nachhaltige Nutzung von Ökosystemen an Land bzw. ihren Schutz und die Wiederherstellung. Außerdem sollen Wälder nachhaltig bewirtschaftet, Wüstenbildung bekämpft und die Artenvielfalt erhalten werden.
- Gerechtigkeit: Gesellschaften sollen friedlich sein, alle Menschen sollen gleichen Zugang zum Rechtsstaat und seinen Institutionen haben.
- Partnerschaft: Damit die Staaten der Welt ihre Ziele erreichen können, braucht es ausreichend Mittel zur Umsetzung und eine Neubelebung des „Global Partnership for Sustainable Development“.
All diese Ziele hören sich an wie absolute „no-brainer“ – aber darum geht es bei den Vereinten Nationen auch. Es ist ein Forum für alle Staaten. Darum gehört etwa nicht das Bekenntnis dazu, keinen Krieg zu führen: Weil eben auch Staaten wie Russland Teil der UN sind, gibt es dazu keinen gemeinsamen Konsens. Aber kein Land ist dagegen, den Hunger zu bekämpfen, kein Land ist „pro Armut“. Das Erhalten einer intakten Umwelt hilft allen, und auch sauberes Wasser ist wirklich unumstritten. Daher liest sich diese Liste eben nicht wie ein böser Plan der Verschwörung der Globalisten, sondern wie eine Sammlung guter Ideen.
Die UN-Ziele sind nicht perfekt
So gut diese Ziele auch klingen, so kann man doch einiges kritisieren, wenn man unbedingt will.
Nummer Eins: Wir verpassen diese Ziele. Nur 15 Prozent der konkreten Zielvorgaben werden laut aktuellen Prognosen erreicht. Gerade bei Zielen in Bezug auf Kinder ist das besonders auffällig: Nur sechs Prozent der Kinder weltweit haben überhaupt das Glück, die Hälfte dieser Ziele zu erreichen. Für viele bleibt nach wie vor Kinderarmut, Hunger und unsauberes Wasser. Das wissen wir übrigens, weil die UN auch ihren eigenen Fortschritt überprüfen: Wie stark die Ziele verpasst werden, wissen wir etwa aus dem letzten Bericht des UN-Entwicklungsprogramms.
Nummer Zwei: Es ist fraglich, ob die UN das überhaupt erreichen können. Denn eigentlich ist sie nicht das Gremium dafür. Auf Ebene der globalen Diplomatie können sich die Staaten der Welt gerne auf alles mögliche einigen – am Ende ist es die nationalstaatliche Politik, die diese Ziele erreichen muss. Auf EU-Ebene kommen ambitionierte Entscheidungen im EU-Parlament dazu, aber im Wesentlichen liegt die Verantwortung überall bei den Regierungen. Das räumt auch die Website der UN ein:
„Implementation and success will rely on countries’ own sustainable development policies, plans and programmes“
Und da sind eben viele wenig ambitioniert. Wie passt das ÖVP-Bekenntnis zum Verbrennungsmotor zum Ziel des Klimaschutzes? Wie passt der Abbau der Demokratie in Ungarn zum Ziel des gerechten Zugangs zur Justiz? Wenn diese hehren Ziele erreicht werden sollen, müssen sich auch Nationalstaaten dazu überwinden, nicht dem Populismus zu verfallen, sondern schwierige Entscheidungen zu treffen. Mit Verschwörungen hat das nichts zu tun.
Und was ist jetzt mit der Verschwörung?
Wie immer bei Verschwörungstheorien reichen einige Fragen, um zu erkennen, dass es sich um eine handelt.
Die erste ist: Wer profitiert davon? Warum sollten die Staaten der Welt sich auf unpopuläre Ziele einigen, die der eigenen Bevölkerung schaden? Puren Menschenhass in allen Regierungen der Welt können wir hoffentlich ausschließen. Aber selbst wenn: Auch Despoten brauchen die Menschen in ihren Ländern, weil sie ohne sie keine Macht hätten. Es sind Bürgerinnen und Bürger, die etwas aufbauen und Steuern zahlen, die dem Staat überhaupt erst ermöglichen, seine Aufgaben wahrzunehmen. Der Mythos der „Bevölkerungskontrolle“ hält sich trotzdem hartnäckig. Warum eigentlich?
Die zweite Frage ist aber fast noch wichtiger: Glauben wir wirklich, dass sich fast 200 Staaten auf eine Verschwörung einigen können und dicht halten? Sind sich alle dermaßen einig in ihren bösen Machenschaften? Wer in der Schule oder an der Uni eine Gruppenarbeit hatte, weiß, wie unrealistisch es ist, sich auch nur in einer kleinen Gruppe perfekt abzusprechen. Das Auffliegen der NSA-Überwachung durch Edward Snowden zeigt, dass es nur eine Person braucht, die ausschert, um das ganze System offenzulegen. Selbst, wenn sich eine globale Elite auf intransparente Ziele einigt, die der Bevölkerung schaden – was nicht der Fall ist –, müssten wir davon ausgehen, dass das nicht lange geheim bleibt.
Die dritte Frage ist eine, die man sich nicht nur in der Politik stellen sollte: Kann es auch einen anderen Grund als Bösartigkeit geben? Im Alltagsleben können viele angeblich böse Menschen einfach mit Dummheit erklärt werden, in der Weltpolitik geht es meist um widersprüchliche Interessenslagen. Aber nicht viele beschäftigen sich Tag für Tag damit, und man muss auch keine große Expertise haben, um zu politischen Themen eine Meinung zu haben. Darum fallen viele auf die „einfache Erklärung“ herein, was „die Globalisten“ wohl wollen könnten: Böse, böse Menschen.
Fazit: So böse sind die UN-Ziele gar nicht
Von der Wahrheit ist das ganz weit weg. Die UN-Ziele sind ein globaler Mindestkompromiss für eine Vision, der niemand widersprechen wird. Ja, viele Staats- und Regierungschefs sind sicher Menschen, mit denen man wenig zu tun haben will, aber daran haben nicht nur Politikerinnen und Politiker mitgearbeitet. Auch die Diplomatie, der Beamtenapparat, Expertinnen und Experten haben sich in diesen Prozess eingebracht, und das Ergebnis kann sich – für einen weltweiten Kompromiss – sehen lassen.
Auch die, die ihren ganzen Tag auf Telegram verbringen, sind nicht gegen sauberes Wasser oder für unsichere Städte. Aber sie haben sich nicht damit beschäftigt, wie es wirklich sein könnte – und denken viel weniger kritisch, als sie eigentlich glauben.