Wer Vollzeit fördern will, sollte Teilzeit verstehen
Nach einem Vorstoß des Arbeitsministers ist die Debatte um Vollzeit und Teilzeit in vollem Gange. Eine Studie zeigt, welche Motive es für die Wahl der Arbeitszeit gibt – und gibt auch Aufschluss darüber, an welchen Stellschrauben man drehen müsste.
Wer Arbeit sucht, hat es am Arbeitsmarkt gerade leichter als sonst. Denn der Fachkräftemangel, von dem seit Jahren die Rede ist, ist in vielen Bereichen längst zu einem Arbeitskräftemangel geworden: Bäckereien und Gastronomiebetriebe etwa äußern auch medial ihren Unmut darüber, dass „niemand mehr arbeiten will“. Für jede:n Einzelne:n am Arbeitsmarkt ist das sogar oft eine gute Nachricht – immerhin bemühen sich Unternehmen mit flexibleren Arbeitszeitmodellen, höheren Gehältern und sonstigen Boni mehr um Personal als noch vor wenigen Jahren.
Aber für den Staat ist es weniger positiv: Wenn die Wirtschaft ihren Personalbedarf nicht decken kann, leidet die Produktivität. Der Industrie droht Produktionsstillstand, Unternehmen sperren zu. All das sind schlechte Nachrichten für den Wirtschaftsstandort. Und weniger Steuereinnahmen, die wir nicht nur für die immer weiter steigenden Pensionsausgaben, sondern auch für Zukunftsinvestitionen wie Bildung und Klimaschutz dringend bräuchten. Der Vorstoß von Arbeitsminister Kocher lautete, Teilzeit-Arbeitenden die Sozialleistungen zu kürzen, um einen Anreiz für Vollzeit zu geben. Aber ist das der richtige Weg?
Wer eine Lösung für den Arbeitskräftemangel finden will, tut gut daran, das Problem besser zu verstehen. Die Marktforschungsagentur MindTake hat dazu im Auftrag der Recruiting-Plattform StepStone eine repräsentative Studie mit 2.000 Personen durchgeführt. Die Ergebnisse können auch für die Politik wertvolle Einblicke geben, wie man Vollzeit wieder attraktivieren kann.
Warum so viele in Teilzeit arbeiten
Sieht man sich die Angaben an, warum die Befragten in Teilzeit arbeiten, gibt es mehr Gründe als das dominante Narrativ, dass „keiner mehr was arbeiten will“. Ja, viele wollen nicht – aber viele können auch nicht.
Wer nicht will, das sind vor allem jene, die mehr Zeit für sich selbst und ihr Umfeld haben wollen. Mit 55 Prozent stimmt mehr als die Hälfte der Befragten dieser Aussage zu – mit Abstand das stärkste Motiv gegen Vollzeit. So geben 33 Prozent der Befragten an, dass sich Teilzeit steuerlich und finanziell mehr lohne. 30 Prozent stellen sogar die Frage, wofür sie überhaupt mehr verdienen sollten – immerhin wären ihre großen Träume ohnehin nicht finanzierbar. Wer diese Motive bekämpfen will, schafft auch mit Bestrafung nichts: Solange z.B. Immobilienpreise wesentlich stärker wachsen als Einkommen, werden viele auch dann keine Vorteile in Vollzeitarbeit sehen, wenn sie für Teilzeit „bestraft“ würden.
Aber das ist nicht der einzige Grund: Mehr als ein Drittel der Befragten gibt an, Vollzeit nicht zu schaffen, weil 40 Stunden sie körperlich oder mental zu sehr fordern würden. Und 30 Prozent geben an, aufgrund von Betreuungspflichten nicht aufstocken zu können. Nicht nur Kinder, sondern auch Familienmitglieder, die Pflege brauchen, sind für viele am Arbeitsmarkt immer noch ein Hindernis: Wie lange Kindergärten geöffnet haben, ist je nach Region und Bundesland unterschiedlich geregelt. Außerhalb von Wien ist Kinderbetreuung, die mit zwei Vollzeit-Jobs vereinbar ist, teilweise eine Seltenheit. Auch das ist also ein klassischer Teilzeit-Grund, der nicht selbstverschuldet ist. Im Gegenteil: Er wird in manchen Ländern durch das mangelnde Betreuungsangebot auch noch gefördert.
Was für Vollzeit spricht
Viele können oder wollen also nicht länger arbeiten. Und auch die Gründe für Vollzeit geben keinen Anlass für Optimismus: Denn die wichtigsten Gründe laufen darauf hinaus, dass viele keine andere Wahl haben. Altersarmut vermeiden, Pension sichern und das Risiko, sonst zu wenig zu verdienen – das sind mit über 70 Prozent die häufigsten Angaben unter den Befragten.
Auch sonst sind nicht alle Gründe für Vollzeit selbst gewählt. So lassen sich manche Arbeiten nicht in Teilzeit ausführen – entweder aufgrund der Tätigkeit, oder aber, weil die Arbeitgeberseite die Stelle nur in Vollzeit besetzen will. „Mein Arbeitgeber ist dafür nicht offen“ wird von 30 Prozent der Befragten angegeben. Ganz unten in der Aufzählung stellen auch viele fest, dass Teilzeit im sozialen Umfeld nicht gut ankommen würde, mehr als ein Viertel der Befragten (27 Prozent) stimmt dieser Aussage zu.
Aber immerhin: 64 Prozent der Befragten geben an, schlicht und einfach gerne in Vollzeit zu arbeiten.
Was also tun?
Wer in Teilzeit arbeitet, hat also zusammengefasst zwei Motivationen: Entweder man will nicht Vollzeit arbeiten, oder man kann nicht.
Für alle, die nicht wollen, hätte die Politik die Aufgabe, die Rahmenbedingungen zu verbessern, z.B. in Form eines Vollzeitbonus. Man kann aber auch an anderen Stellschrauben drehen und z.B. dafür sorgen, dass Wohneigentum wieder leistbarer wird, etwa mit einer Reform der Grunderwerbsteuer. Wenn mehr Einkommen wieder mit mehr Lebensqualität und (gerade für Jüngere) mit einem Aufstiegsversprechen verbunden ist, werden auch viele wieder motiviert sein, mehr Stunden zu arbeiten.
Und für jene, die nicht können? Mit einem Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung könnten gerade Frauen, die einen Großteil der Betreuungsarbeit übernehmen, am Arbeitsmarkt echte Wahlfreiheit bekommen. Auch pflegebedürftige Angehörige sollten kein wirtschaftliches Hindernis sein – ein Fall für die nächste Pflegereform.
Wird man so alle in Vollzeit bekommen? Sicher nicht. Das muss aber auch nicht das Ziel sein. Es wird immer Menschen geben, die sich aus persönlicher Präferenz oder anderen Umständen für Teilzeit entscheiden. Aber wenn in Zeiten des Arbeitskräftemangels jene, die man motivieren könnte, motiviert werden, und jene, die gerne wollen, aber nicht können, die Möglichkeit bekommen, wäre das vielleicht auch schon genug, um den Bedarf der Wirtschaft für Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite zu decken. Man müsste es ganz einfach ausprobieren.